Es war ein schlechtes Zeichen, dass sie mich so früh am Morgen in ihr Büro zitierte. Ein verdammt schlechtes Zeichen.
Ich sah sie durch die gläserne Abtrennung wild gestikulierend telefonieren. Dieser Anblick war für mich nichts Neues. Ohne zu zögern, betrat ich den Raum der Hölle auf Erden, wo Praktikanten und Mitarbeiter regelmäßig zur Sau gemacht wurden. Und wohin ich von ihrem Sekretär keine halbe Stunde zuvor regelrecht beordert wurde. Er hatte nicht einmal versucht die Aufforderung nett klingen zu lassen, sondern war einfach davon ausgegangen, dass ich sprang, wenn meine Mutter rief. Was ich – ich hasste mich selbst dafür – so gesehen ja auch tat.
» ...ausgeschlossen. Ohne Labore und Ausrüstung. Wir sind doch nicht die verdammte Wohlfahrt. Ja ... Ich weiß, was das bedeutet.«
Sie registrierte meine Ankunft mit einer hektischen Handbewegung. Ohne ihrem Telefonat weiter Beachtung zu schenken, ließ ich mich auf das einzige gemütliche Möbelstück, dass das Büro meiner Mutter zu bieten hatte, einem schwarzen Ledersessel am Schreibtisch, nieder. Der klare Vorteil, den der Sessel bot, war jedoch nicht sein weiches Sitzpolster, sondern der Ausblick über die Stadt. Egal, wie sehr Jessica in den nächsten Minuten an mir herummäkeln würde – und das würde sie definitiv-, ein Blick nach draußen genügte, um meinen inneren Seelenfrieden wiederherzustellen.
»Ich melde mich später. Ja ... Er ist hier.« Dann legte sie auf und starrte durch das bodentiefe Fenster auf die belebten Straßen New Yorks. Ich betrachtete ihr Profil. Die rostroten Haare waren zu einem strengen Dutt zusammengebunden und betonten ihre scharfen Gesichtszüge. Das einzige Merkmal, das mir an ihr bekannt war, waren ihre Augen, denn es waren die gleichen, die mir im Spiegel entgegenblickten. Die gleichen, die auch meine Geschwister geerbt hatten. Grüne Augen mit einem schmalen goldbraunen Ring um die Pupillen. Es waren Augen, mit denen sie alles fordern konnte. Für gewöhnlich bekam sie, was sie wollte. Neuerdings sah sie allerdings ungewohnt ernst aus. Das heißt noch ernster als normalerweise.
Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich angenommen, sie hätte ein Problem, das sie vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben nicht allein lösen konnte. Im Hause Cavendish gab es grundsätzlich keine Probleme, nur unangenehme Neuigkeiten. Nicht mehr als Nichtigkeiten, an die man keinen weiteren Gedanken verschwendete, wenn sie erst verschwanden.
Jessica Cavendish flog das Glück einfach so zu. Klar, sie hatte schließlich genug Personal, um die Angelegenheiten ihrer Kinder zu regeln – oder in ihrem Fall regeln zu lassen. Unsere Lunchboxen hatten Heather und ich von unseren ständig wechselnden Nannys bekommen, was manchmal gut und meistens katastrophal endete. Mein absolutes Highlight waren die gegrillten Heuschrecken. Ich hatte noch Wochen später Angst gehabt meine Lunchbox zu öffnen, wegen meiner Befürchtung, dass das Essen darin mich anspringen könnte. Jessica hatte zu meinem Leidwesen darauf bestanden, dass wir eine Nanny hatten, selbst als ich bereits 16 Jahre alt und im Stande gewesen war auf Heather aufzupassen.
Die Anwesenheit einer Aufsichtsperson hatte mich natürlich nicht davon abgehalten, meine Freunde zu Saufgelagen zu uns ins Loft einzuladen, Möbel zu zertrümmern und die Bar meines Vaters zu plündern. Nanny elf und zwölf hatten deswegen gekündigt. Wegen >unzumutbarer Zustände< um genau zu sein.
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Me Because Of You
Teen Fiction»Soll ich wieder gehen? Ich kann draußen warten. Oder unten. Wenn dir das lieber ist.« »Das ist ja das Problem! Ich will nicht, dass du gehst.« Julia Wentworth hatte nicht vor, sich zu verlieben, als sie nach drei Jahren Studium in Oxford an New Yor...