Im Hause Wentworth herrschte das Chaos. Es war zugegeben ein Zustand, den ich belustigt verfolgte, auch wenn mir Mary leidtat, die gerade zum wiederholten Male von Hilary zurechtgewiesen wurde, weil ein Blumengesteck auf dem Esszimmertisch nicht parallel zur Tischkante ausgerichtet war. Die roten Stressflecken auf Hilarys Hals sprangen mir ins Auge wie eine wild blinkende Verkehrsampel.
»Natürlich Ma'am, das werde ich sofort ändern. Ja, Ma'am, sofort«, nickte Mary und eilte aus dem Schussfeld.
Sie zwinkerte mir im Vorbeigehen zu und ich zuckte hilflos mit den Achseln. Ich war froh, dass sie sich die Schimpfreden meiner Mutter nicht zu Herzen nahm. Über die Jahre hatte sie wahrscheinlich hunderte, wenn nicht sogar tausende Gründe gesammelt, um zu kündigen, doch sie war geblieben. Manchmal glaubte ich, dass sie es für Beth und mich getan hatte. Ohne ihre Unterstützung nach meinem angeblichen Alkohol-Skandal vor neun Jahren wäre ich heute nicht so selbstbewusst, sondern immer noch ein kleines Häufchen Elend, das aus Angst nur noch das tat, was ihre Eltern von ihr verlangten. Ein absoluter Albtraum.
»Wie im Irrenhaus«, flüsterte ich, als sie in Hörweite war.
»Schlimmer«, flüsterte sie zurück und ich grinste verschwörerisch. Ich hatte den Spaß meines Lebens. Unsere Penthousewohnung im 80. Stock hatte sich in kürzester Zeit in ein Bienennest verwandelt. Lauter Arbeiter huschten von einer Ecke zur nächsten, deckten den Tisch, wischten Staub, trugen Blumen herein und kamen einfach nicht zur Ruhe. Wie sie all das Chaos hier in weniger als einer Stunde präsentabel herrichten wollte, war mir ein Rätsel. Zu sehen, wie Hilary mit jeder Minute nervöser wurde, war ein ungewohnter Anblick. Meine Erziehung verbat mir, mich über ihre Misere zu freuen, aber ein kleiner, klitzekleiner Teil von mir jubelte doch. Das hatte sie nun davon, wenn sie Beth an einen dahergelaufenen Kerl verheiraten wollte. Und wenn er auch ein Millionenerbe war. Trotz Beths Beschwörungen wie großartig und charmant er doch war, traute ich dem Braten nicht. Ich ließ den Blick durch den Raum schweifen und schob mich unauffällig in die Schatten, sodass Hilary mich nicht entdeckte.
Mr Rodriguez, unser Familienanwalt, hatte die Einladung offenbar nicht richtig gelesen und war zu früh erschienen. Er war groß gebaut und trug sein dunkles Haar ordentlich zurückgekämmt, wobei sich bereits ein paar graue Strähnen bemerkbar machten. Um die Mundpartie wirkte er immer ein wenig verkniffen, das kam wohl mit dem Beruf. Viel lächelte er nicht, aber wenn er es tat, musste man sich einfach wohlfühlen. Für Beth und mich war er wie der lange verschollene Onkel, der nach einer langen Reise nach Hause zurückgefunden hatte und den man einfach gernhaben musste. Der Onkel, der keinen Sinn für Mode hatte und deswegen immer dasselbe trug. Wie schon seit zehn Jahren präsentierte er sich in einem schicken schwarzen Anzug mit farblich passender Krawatte. Ich hatte einmal ein Urlaubsfoto von ihm und seiner Frau gesehen, auf dem er ein knallpinkes Hawaiihemd auf einer neongrünen Bermudashorts trug. Ich schauderte.
Nun stand er, sich sichtlich unwohl windend, in der Nähe der bodentiefen Verglasung und versuchte nicht aufzufallen. In den letzten Sekunden hatte er bereits zweimal seine Armbanduhr gerichtet. Ich platzierte mich so neben ihn, dass ich das Geschehen im Bienennest weiterhin verfolgen und mich gleichzeitig hinter seinem breiten Rücken verstecken konnte.
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Me Because Of You
Teen Fiction»Soll ich wieder gehen? Ich kann draußen warten. Oder unten. Wenn dir das lieber ist.« »Das ist ja das Problem! Ich will nicht, dass du gehst.« Julia Wentworth hatte nicht vor, sich zu verlieben, als sie nach drei Jahren Studium in Oxford an New Yor...