Die Wahrheit sickerte nur langsam zu mir durch. In Wahrheit sickerte erst einmal überhaupt nichts. Ich war der festen Überzeugung, dass Grayson sich in der Uhrzeit geirrt hatte und dass das ein großes Missverständnis war. Wir hatten doch gesagt, wir treffen uns im Diamonds, oder? Warum stand er also plötzlich in unserer Wohnung? Hatten wir beschlossen, dass er mich hier abholen würde? Ich erinnerte mich nicht mehr. Leider dämmerte mir jedoch, dass ich ihm nie gesagt hatte, wo ich wohnte und mir wurde noch mulmiger zumute.
Die Zeit verging wie in Zeitlupe.
Er trat einen Schritt nach vorne und nickte Mr und Mrs Cavendish kurz zu.
Mrs Cavendish strahlte übers ganze Gesicht. Ein Ausdruck, der so surreal wirkte, dass ich glaubte, ihn mir einzubilden. Seine Worte, die Reaktionen, die sein Auftauchen hervorriefen. Nein ... Nein! Das kann nicht sein.
Mein Herz litt unter schwerwiegenden Aussetzern. Diese Augen! Ich war so verdammt blöd. So naiv. Er hatte die gleichen grün stechenden Augen wie seine Mutter. Auch sein Gesicht ähnelte ihren scharfen Zügen. Es waren die gleichen geschwungenen Lippen und die gleichen Grübchen, die sich in seine Wangen gruben. Er hatte mich noch nicht entdeckt.
Heathers Lächeln veränderte sich. Auch sie wirkte erleichtert. Grüne Augen. Diese verdammten grünen Augen. Sie grinste mir verschwörerisch zu, wartete, dass ich eine Reaktion zeigte, vielleicht die Augen verdrehte, ganz nach dem Motto »Was soll diese ganze Show?«, doch die Reaktion blieb aus. Ich konnte nicht reagieren. Auf gar nichts. Da war einfach nur ... Schock. Und das Gefühl, betrogen worden zu sein. Ein grauenhafter Betrug, der einen mitten ins Herz trifft und bei dem man weiß, dass man sich nie von ihm erholen wird. Weil es alles verändert. Einfach alles. Ein Eismantel legte sich um mein Herz und zerquetschte mir die Brust. Wut und Fassungslosigkeit stritten sich um die Oberhand.
Heather legte die Stirn in angestrengte Denkfalten und blickte von mir zu ihrem Bruder (!!!) und wieder zurück. Womöglich stand mir der Schrecken nur allzu deutlich ins Gesicht geschrieben. Ich konnte nicht sagen, ob das Herz in meiner Brust noch schlug, oder ob es so schnell raste, dass ich die Schläge nicht voneinander unterscheiden konnte.
Er hatte mich noch immer nicht bemerkt. Mit einem kumpelhaften Handschlag begrüßte er John. Es war die Art von Handschlag, wenn man jemandem schon öfter begegnet war und sich gut mit ihm verstand – oder einfach gut schauspielern konnte. Hilary umarmte er sogar ohne zusammenzuzucken. Als er Beth gegenüberstand, die in dem dunkelblauen Cocktailkleid wirklich zum Umwerfen schön aussah, sie umarmte und ihr einen Kuss auf die Wange gab, begannen sich die Räder in meinem Kopf zu drehen. Langsam erst und dann immer schneller und schneller. Mir war schlecht und mein Magen rumorte. Eigentlich rumorte alles in mir. Und dann traf es mich wie ein Blitzschlag.
Beths William und mein Grayson waren ein und dieselbe Person. Nur dass er nicht mein Grayson war. Das war er wohl nie gewesen. Und doch, ich hatte es gespürt! Diese Spannung, die über meinen ganzen Körper jagte, wenn wir uns sahen, diese Anziehung, die uns in einer undurchdringlichen Menschenmenge unweigerlich aufeinander zusteuern ließ, war kaum von der Hand zu weisen. Da war definitiv etwas zwischen uns gewesen. Oder hatte ich das alles bloß fantasiert?
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Me Because Of You
Teen Fiction»Soll ich wieder gehen? Ich kann draußen warten. Oder unten. Wenn dir das lieber ist.« »Das ist ja das Problem! Ich will nicht, dass du gehst.« Julia Wentworth hatte nicht vor, sich zu verlieben, als sie nach drei Jahren Studium in Oxford an New Yor...