Kapitel 35

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Kiara

Bereits seit Minuten starrte ich aus der Autoscheibe. Ich tat so, als würde ich mir die Landschaft ansehen. Das tat ich nicht. Mein Fokus lag auf Pablo. Er saß neben mir und telefonierte. Da wir gefahren wurden, konnte er gestikulieren. Bei der schlechten Laune von ihm tat er das ziemlich oft. Mit der Zeit wurde er immer lauter. Im Gespräch handelte es sich um eine verzögerte Lieferung. Juan bekam das Problem von gestern wohl noch immer nicht geregelt. Nun musste der Boss das Steuer wieder übernehmen. Und dies half mit der Drohung, welche er machte, bevor er auflegte. Er vergaß dabei sicher, dass ich mich mit im Wagen befand. Ich merkte bereits, wie er wage über seine Geschäfte sprach oder nicht weiter darauf eingehen wollte. Jetzt fing er am Handy davon an zu sprechen, wie er dem Mann, mit dem er telefonierte, ein Stück Haut abschnitt und in damit fütterte, wenn die Lieferung nicht spätestens morgen ankam.


»Gott, manchmal hasse ich diesen Job«, fluchte der Mexikaner. Ich guckte zu ihm. Sichtlich gestresst fuhr er sich durch sein schwarzes Haar. »Du solltest dich nicht stressen«, riet ich ihm. Von zuhause kannte ich dieses Verhalten nur zugut. Wenn mal nicht etwas so lief, wie gewollt gab's schnell schlechte Laune.

»Mi vida, in diesen Geschäften geht das nicht so einfach, wie du dir das vorstellst. Läuft etwas schief, gibt es Verluste. Sind die Kunden unglücklich, habe ich den Stress und und und. Da muss man eben Druck machen und jemanden drohen. So ist diese Welt«, erklärte er mir. Ich wusste genau, wovon er sprach, somit konnte ich ihm nur zustimmen.

»Vermutlich hast du recht.« Ich schaute von ihm weg, wieder aus dem Fenster. Mir fiel auf, dass wir in die völlig falsche Richtung fuhren. Wir waren nicht auf dem Weg zu meiner Wohnung, sondern zu seinem Zuhause.

»Warum bringst du mich nicht in meine Wohnung?« Ich wandte mich ihm wieder zu. »Jetzt wo wir zusammen sind, kannst du nicht mehr in dieser Bruchbude wohnen. Mal ganz abgesehen davon hast du kein Geld und bald ziehen wir um. Morgen haben wir bereits einen Besichtigungstermin«, erklärte er mir gelassen. Ich glaube, mich verhört zu haben. Er bestimmt einfach, dass wir nun zusammen waren und zusammenzogen. Ich wusste ja bereits, dass die Männer in meiner Familie sich nahmen, was sie wollten und auch bekamen, aber dass Pablo genauso schlimm war, kam dann doch ein wenig unerwartet. Nein, nicht unerwartet. Mir fiel seine Art bereits von Anfang an auf, nur sprachen wir dort noch nicht von »wir sind nun zusammen« oder »wir wohnen nun zusammen«. Vorgestern redeten wir nur darüber. Jetzt schien das Thema für ihn beschlossene Sache zu sein.

»Wir sind nicht zusammen«, widersprach ich seine Aussage. So leicht machte ich es ihm nicht. Einfach nur um daran Spaß zu haben, wie er mich fragte, ob ich seine Freundin sein will.

»Doch, das sind wir«, gab er gereizt zurück. »Nein, du hast mich nicht gefragt.« Er atmete hörbar laut aus. Unser Chauffeur bekam von unserer Meinungsverschiedenheit nichts mit. Die Trennscheibe wurde hochgefahren.

»Du willst ernsthaft, dass ich dich frage? Sowas macht man heutzutage nicht mehr.«
»Ja, ich will, dass du mich fragst. Ohne die Frage werde ich nicht deine Freundin.« Schmunzelnd schüttelte er seinen Kopf.

»Komm her.« Mit seinen Händen klopfte er auf seinen Schoß. Ein wenig verwirrt schnallte ich mich ab und kletterte zu ihm hinüber auf seinen Schoß. »Ich würde ja jetzt sagen, dass das, was ich hier tue, gefährlich ist, nur ist das nichts zu dem, was mir in diesem gefährlichen Leben alles passieren könnte.«

»Du musst dir keine Gedanken um dein Leben machen. Ich werde dich mit meinem Leben beschützen«, versicherte er mir. Fast wäre meiner Kehle ein Lacher entflohen. Bedachten wir mal nicht, dass ich selbst auf mich aufpassen konnte und konzentrierten und darauf, dass er mich mit seinem Leben beschützen wollte. Mit dem Leben, welches ich ihm irgendwann nahm.

KIARA - Wenn Rache süß istWo Geschichten leben. Entdecke jetzt