ich köpfe beinahe Viktoria

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"Magnus, irgendwas ist hier fauler als Hel's halbes Gesicht.", schimpfte ich vor dem Abendessen in mein Handy. 
Maggie am anderen Ende der Leitung hatte sich gerade einen dreißig Minütigen Monolog von mir darüber anhören müssen, wie falsch mir hier alles vorkam, wie sehr ich es vermisste mein Gender zu ändern und was für ein Ruin es für Töpferdings sein würde, wenn ich ein ganzes Schuljahr nichts verkaufte.
Ich liebte ihn dafür, dass er das aushielt. Ich liebte ihn dafür, dass er mich aushielt. Das war wirklich der große Unterschied zwischen Magnus und meinem Vater.

"Wie wäre es, wenn du morgen mal in der Chase Klinik vorbeischaust? Dann können mein Dad und ich dich mal durchchecken und vielleicht den Grund finden, warum deine üblichen Veränderungen so hängen.", schlug er vor.
Ich stutzte. Die Chase Klinik. Ich hatte total vergessen, dass ich nicht die einzige Einherje war, die einen Teilzeitjob außerhalb von Walhalla hatte. Und dass mein eigener Freund Arzt, Heiler oder was auch immer war und mir bei dem Problem eigentlich helfen konnte.
Ich seufzte. "Da hast du Recht. Ich komme morgen zu dir in die Klinik. Ich muss sowieso mal wieder aus diesem bescheuerten Haus raus, bevor ich jemanden kille, da kann ich ja vorbeischauen und danach auch nochmal in der ChaseSpace aushelfen. Ich brauche das jetzt irgendwie." 
Ich konnte das Lächeln in Magnus Stimme hören, als er sagte: "Kann ich verstehen. Oh - TJ hat gerade geklopft, er und Jack wollen mich unbedingt zu irgendeiner Party in Walhalla schleppen. Kann sein, dass ich heute noch sterbe und nicht mehr anrufen kann. Hab dich lieb, Al."
"Ich dich auch, Maggie."

Magnus legte auf und ich ließ mich mit einem Jammern auf mein Bett fallen. Eine Party in Walhalla! Da wäre ich jetzt auch gerne.
Von unten rief mich meine Stiefmutter zum Abendessen. Ich schnaubte, stand aber auf und ging hinunter. 
Das Essen war mal wieder nur ein klägliches Häufchen von dem was es im Hotel gab. Entsprechend war auch meine Stimmung. 

Gegen Ende des Abendessens sagte Dad: "In Ordnung, Alex. Am besten du packst heute noch deine persönlichsten Gegenstände zusammen, die du zur Schule mitnehmen willst, vielleicht dein Lieblingsbuch, oder ein Plüschtier? Deinen Koffer mit deiner Kleidung und den Schuluniformen habe ich schon für dich packen lassen. In der Schule lässt du am Besten kein Wort darüber verlauten, dass du mehrere Jahre lang nicht hier gewohnt hast. Offiziell warst du niemals weg, haben wir uns verstanden?"
Ich starrte meinen Vater verständnislos an. Was zur Hel war jetzt schon wieder los?
Dad sprach aber schon weiter: "Du benimmst dich anständig in der Schule. Halte dich an die Regeln, Alex, und mache mir keinen Ärger."
Ich schnaubte. Eigentlich sollte Dad mich besser kennen als das. Ich bin immerhin die Verkörperung von Ärger! Ein Kind des Loki würde sich niemals blind an die Regeln halten. Außer vielleicht Sam. Aber sogar sie konnte Lügen, Tricksen und Regeln brechen, wenn es gerade passte.
"Ich meine es ernst! Deine neue Schule ist ein angesehenes Internat. Dort gehen nur die Kinder von wichtigen Geschäftsleuten hin, ich erwarte also, dass du ausschließlich einen guten Eindruck hinterlässt!" 
"Aha.", knurrte ich nur. Also war mein Internat auch noch ein schickimicki Puppenhaus für kleine Prinzen und Prinzessinnen. Den Laden würde ich mal aufmischen müssen.

Dad hielt mir noch eine Rede über Benehmen, Regeln und guten Eindruck. Währenddessen musste ich wieder den scheußlichen Tee trinken. Ich lenkte mich damit ab eine To-Do Liste in meinem Kopf zu erstellen, was ich alles anstellen könnte, sobald ich im Internat angekommen war.
Endlich war Dad fertig und ich konnte abhauen. 

In meinem Zimmer packte ich meinen Rucksack und steckte einen E-Reader mit meinen ganzen Lieblingsbüchern ein (Sam hatte ihn mir geschenkt) und außerdem alles was ich zum Töpfern aus Walhalla mitgenommen hatte. Die winzige Feuerschale, die ich an meinem ersten Tag in diesem Haus gebastelt hatte, stellte ich auch neben meinen Rucksack um sie mitzunehmen. Warum Dad jetzt schon wollte, dass ich meine Sachen packte, obwohl die Schule erst nächste Woche anfing wusste ich nicht.

Ich ging auf eine Abendliche Streiftour durch das Stadtviertel in dem die Familienvilla stand, fing als Katze eine Maus, dann als Eule noch eine und als Fuchs auch.
Ich markierte als Hund einige Lampenständer und grub mich als Maulwurf durch den Garten unserer Villa um Dads teuren Rasen zu vernichten. Dann sprühte ich als Stinktier Dads Lieblingssitzbank im Garten an.
Erst danach ging ich schlafen.


Am nächsten Morgen rüttelte mich jemand unsanft wach. Pech für diese Person, dass ich meine Garotte immer griffbereit hatte. 
Blitzschnell warf ich mich herum und schlang der Person blind die Drahtschlinge um den Hals. Meine Stiefmutter hatte gigantisches Glück, dass ich noch einmal hinschaut, bevor ich zuzog. "Was zum...!" 
Ich ließ meine Garotte los, doch der Draht hatte trotzdem in ihren Hals geschnitten. Völlig geschockt schrie Viktoria auf und griff sich an den Hals, woraufhin sie vor Schmerzen noch einmal schrie. 
"Halt still!", befahl ich ihr. Ich schob ihre blutigen Finger zur Seite und zog meine Garotte vorsichtig von ihrem Hals, was schwierig war, da sich der Draht schon ein wenig in ihr Fleisch gedrückt hatte. Trotzdem bekam ich ihn schnell heraus und setzte Viktoria auf mein Bett.
"Sitzen bleiben und fass die Wunde ja nicht an!"
Ich sprang vom Bett auf und schnappte mir eine Packung Papiertaschentücher vom Nachtkästchen. Vorsichtig wischte ich Viktorias Blut ab und ging dann ins Bad um eines der Taschentücher nass zu machen, dass ich dann auf die Wunde legte.

Ich schimpfte: "Ernsthaft, was hätte das werden sollen? Ich bin ein Kind des Loki, eine verdammte Einherje! Du hast mich aufwachsen sehen und weißt genau wie sauer ich morgens sein kann! Wieso im  allen neun Welten hast du mich also aufgeweckt? Noch dazu so grob? Ist dir echt nicht klar, dass ich dich hätte töten können?"
Meine Stiefmutter war noch zu geschockt um zu antworten. Ich schaute mir die Wunde genauer an. "Alles klar, du hast extremes Glück, dass ich nochmal hingeschaut habe. Deine Halsschlagader hab ich also nicht erwischt. Trotzdem. Ich rufe jetzt Magnus an, damit er herkommt und sich das anschaut." 
Das tat ich auch. Viktoria saß zitternd auf meinem Bett und schlang ihre Hände um ihren Babybauch.
Zu allem Überfluss kam dann auch noch mein Vater jetzt herein. 

Als er seine Frau sah ging er sofort an die Decke.
"Alex! Was hast du getan? Du Miststück hättest beinahe deine eigene Mutter umgebracht! Und deinen kleinen Bruder! Du... du... du bist wirklich der aller letzte Dreck, Alex! Ich bin froh, dass ich dich bald wieder los bin. Ich schwöre dir, dafür wirst du bezahlen!" 

Ich biss meine Zähne zusammen.
Dad faselte etwas darüber, dass er den Krankenwagen rufen würde und dass er mich dafür verklagen würde, dass ich Viktoria weh getan hatte.
Ich stand nur schweigend am Rand meines Zimmers und biss die Zähne zusammen. Als es endlich an der Tür klingelte verwandelte ich mich in einen Geparden und zischte nach unten um Maggie herein zu lassen. 

Ich führte ihn ohne ein Wort nach oben. "Was macht der hier?", fuhr Dad mich an. Ich atmete durch, bevor ich antwortete: "Seinen Job."
Magnus stellte sich einfach vor Viktoria und legte seine Finger an ihren Hals. Meine Stiefmutter zuckte zwar zurück, aber da begann mein Freund schon zu leuchten und der Schnitt an ihrem Hals schloss sich und verheilte narbenlos. Meine Stiefmutter entspannte sich sichtlich. Auch mein Vater atmete tief aus. 

Magnus drehte sich mit einem schiefen Grinsen zu mir um: "Ernsthaft Al, hast du deine Eltern nicht gewarnt, dass du eine neue, extrem scharfe Garotte hast? Guten Morgen alle zusammen, übrigens."
Ich zog gezwungen einen Mundwinkel hoch und ging zu ihm um ihn zu umarmen. "Maggie, lass einfach gut sein. Ich bin gerade sehr grob aufgeweckt worden, hätte beinahe meine Stiefmutter nach Helheim geschickt und musste mir schon eine Schimpftirade anhören. Mehr halte ich gerade nicht aus, bevor ich wirklich jemanden töte." 

Dad wollte schon zu einer weiteren Schimpf-Flut ansetzten, aber Magnus berührte ganz kurz seine Hand und sein Mund schloss sich wieder. 
"Darf ich?", fragte mein Freund Viktoria und deutete auf ihren Babybauch.
Als sie sich nicht rührte setzte Maggie sich einfach neben sie und ließ seine leuchtende Hand Millimeter über ihren Bauch und dann auch über ihren Kopf gleiten.
"Okay, hier kommt die Diagnose: Alles in Ordnung. Es war nur ein ziemlicher Schock, aber das geht vorbei. Essen Sie etwas gutes, trinken Sie vielleicht eine heiße Schokolade und legen Sie sich für eine halbe Stunde aufs Ohr, dann sollte alles wieder optimal sein."
Ich verdrehte die Augen. "Besten Dank auch, Doc. Und was ist mit meiner Diagnose? Vergiss nicht, dass wir gestern eigentlich einen Termin ausgemacht haben, wegen meinem Gender fluid Problem."
Dad horchte auf. "Du hast dir einen Arzttermin ausgemacht um endlich ein richtiges Mädchen zu werden?"
Ich funkelte ihn sauer an. "Anders rum. Ich habe Maggie gebeten, dass er und sein Vater Frey mich durchchecken, warum ich gerade in einem Gender feststecke."

Dad kniff die Augen zusammen, dann aber fiel sein Blick auf den Wecker auf meinem Nachttisch und er grinste aasig. "Nein."

Unveränderbar! - Oder?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt