Vandalismus oder Kunst?

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Des Schullehrers Liebling war ich jedenfalls nicht.
Beim Frühstück verkündete er das, sollte so etwas noch einmal passieren, er die Polizei rufen würde, damit diese die Schuldige 'fassen und zur Rechenschaft ziehen würden'. Meine Mitschülerinnen wirkten geschockt und begannen wieder zu tuscheln wie Hühner.
Ich lächelte nur still in mich hinein. Die Polizei war genau das, was ich brauchte um meinen dad so richtig zu blamieren.

Der Schultag verlief ohne irgendwelche weiteren Vorkommnisse, was bedeutete, dass er öde war.
Nach der letzten Stunde schickte ich Magnus eine Nachricht mit dem Foto, dass ich von meinem Kunstwerk gemacht hatte.
Er schrieb zurück

Sieht super aus, Al! Hast du vor auch noch Straßenkünstlerin zu werden? 

Außerdem schickte er einen Screenshot von dem Foto zurück, auf dem er das AF+MC=❤️eingekringelt hatte und dazuschrieb: 
Awwwww - Ich hab dich auch lieb 😘

Wenigstens einer, der meine Kunst zu schätzen wusste!
Nach dem Abendessen kam Lady Amanda in mein und Sandras Zimmer. Ich erwartete schon, dass sie mich wegen meines Kunstwerks ausfragen würde. Ob ich das war, was ich mir dabei gedacht hatte und ob ich von der Schule geworfen werden wollte.
Zu meiner Überraschung sagte sie aber: "Miss Sandmann, würden Sie bitte mitkommen?"
Ich schaute zu Sandra, die an ihrem Schreibtisch saß und ihre Hausaufgaben machte. Als LA sie hinaus bat, gehorchte sie sofort. Ich schnaubte abfällig, als sie draußen waren. Die Tussi hatte noch nicht einmal eine Frage gestellt, was überhaupt los war. 
Ich verwandelte mich in eine Stechmücke und folgte ihr durch das Schlüsselloch. 
LA brachte Sandra zum Büro des Direktors. 

Schnell schlüpfte ich hinter ihr hinein und setzte mich an die Wand, wo ich mich in eine winzige Hausspinne verwandelte. Der Direktor sagte förmlich: "Sandra Sandmann! Setzten Sie sich doch bitte."
Sandra lächelte brav und setzte sich ihm gegenüber an den Schreibtisch. "Guten Abend, Herr Direktor. Geht es wieder um Alexandra Fierro?"
"Allerdings, Miss Sandmann. Wissen Sie, wo Miss Fierro letzte Nacht war?"
Sandra rutschte nervös auf ihrem Sessel hin und her. "Nein, leider. Ich habe tief und fest geschlafen, Herr Direktor. Denen Sie etwa, Alex könnte die Wand vollgeschmiert haben?"

Ich zog gekränkt meine Spinnenbeine an. Von wegen vollgeschmiert. Das war pure Kunst!
Der Direktor nickte und drehte seinen Computerbildschirm zu Sandra um. Er hatte wirklich detailliert meine Kunst fotografiert. Er klickte ein Foto an, auf dem mein AF+MC im Mittelpunkt stand. 
"Zu wem, denken Sie, gehören diese Initialen?", fragte er Sandra und spielte sich schon wieder groß al Detektiv auf.
Meine Zimmerkollegin dachte kurz nach, dann sagte sie: "Die könnten durchaus für Alexandra und ihren Freund stehen."
"Miss Fierro ist in einer Beziehung?", hakte der Direktor nach, überraschter, als mir lieb war.
Sandra nickte. "Sie telefoniert oder schreibt jeden Tag mit ihm. Wie hieß er doch gleich? Markus Chase? Maggie.... ach so, Magnus. Magnus Chase. Maggie ist ihr Spitzname für ihn."

"Magnus Chase. MC. Ja, das macht Sinn. Sagen Sie, Miss Sandmann, bekommt Miss Fierro ihre Medikamente regelmäßig?"
Vor Schreck wäre ich beinahe von der Wand gefallen. Medikamente? Was für Medikamente?
"Ja, Herr Direktor. Ich mische sie ihr jeden Morgen in ihr Getränk. Sie hat noch nichts gemerkt.", meinte Sandra selbstzufrieden.
Am liebsten hätte ich dieser Bitch ihr übertriebenes Lächeln aus dem Gesicht gewischt! Sie mischte mir Medikamente in mein Essen?! Das konnte doch nicht wahr sein.

"Sehr gut. Ihr Vater meinte nämlich, dass diese Tabletten fast schon lebenswichtig für sie sind, auch wenn sie sie bis aufs Blut hassen soll. Nun denn, ich habe eine weitere Bitte an Sie, Miss Sandmann. Passen Sie auf, dass Alexandra nachts in ihrem Bett ist, wo sie hingehört. Wir können keine weiteren Verunstaltungen in der Schule brauchen. Hoffentlich können wir auch bald wieder die Wirtschaftsräume benutzen. Ich verstehe wirklich nicht, was da passiert sein könnte, dass es so fürchterlich stinkt!"
Sandra nickte wichtigtuerisch. "Ich verstehe es auch nicht, Herr Direktor, aber auf Alexandra kann ich aufpassen. Sie wird nichts mehr anstellen, versprochen."
Pass auf, was du versprichst, Mädel. dachte ich düster. 
Sandra machte sich wieder auf den Weg in unser Zimmer und ich verwandelte mich in eine Wespe um vor ihr da zu sein. 
Im Zimmer verzog ich mich sofort ins Bad, zog mich dort um und putzte mir die Zähne, um den Eindruck zu erwecken, nichts über die Scheiß-Medikamente zu wissen.
Während ich das Wasser laufen ließ, räumte ich Sandras Schrank aus und durchsuchte ihren Waschbeutel. Aber nichts. Ich fluchte auf Spanisch. Natürlich würde die Zicke die Tabletten niemals dort verstecken, wo ich sie zufällig finden könnte.
Ich beschloss das Thema erst einmal bleiben zu lassen, weil ich momentan eh nichts tun konnte.

In dieser Nacht blieb ich wirklich im Bett, weil Sandra besonders aufmerksam war und ich keine Lust auf Schwierigkeiten hatte. Doch als sie endlich schlief, verwandelte ich mich nochmal in eine Stechmücke und flog zu ihrem Bett. 


Am nächsten Morgen wurde ich von Sandras Geschrei und von der plötzlichen Helligkeit geweckt. Murrend zog ich die Decke über meinen Kopf. Die Bitch hatte allen Ernstes einfach so das Licht angemacht?! Ich warf einen Blick auf den Wecker. Fünf Uhr. Schon wieder. 
Sandras Geschrei ging weiter und ich setzte mich auf.
"Das kann doch nicht wahr sein! Zwei Stiche. Zwei!", kreischte meine Mitbewohnerin und tippelte vor ihrem Schminktisch auf und ab. "So ein blödes Moskito hat ganze zwei Mal gebissen! Mitten auf die Wange! Das sieht  furchtbar aus. Als hätte ich gleich zwei gigantische Pickel!"
In der Spiegelreflektion konnte ich sehen, was sie meinte. Zwei rote Punkte zeichneten sich deutlich auf ihrer rechten Wange ab.
Ich ließ Sandra jammern und schleppte mich zufrieden ins Bad. 

Beim Frühstück zwang ich mich wegzuschauen, als meine Mitbewohnerin mir diese beschissenen Tabletten in meinen Kakao schmuggelte. Meine Rache dafür würde weit schlimmer sein, als die zwei harmlosen Insektenstiche von letzter Nacht.

Den ganzen Tag über starrten mich meine Lehrer misstrauisch an, aber ich spielte weiter meine süße kleine Engelsrolle und ließ mir nichts anmerken. In jeder Stunde merkte ich, wie ich das Misstrauen meiner Lehrpersonen zerstreuen konnte und sie mich nicht mehr verdächtigten. 
Einmal hielt mich am Gang der Direktor auf und sprach kurz mit mir, wobei er das Thema ein wenig zu deutlich unauffällig in Richtung 'Kunst' lenkte.
Obwohl ich ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte, wegen de, was ich gestern belauscht hatte, lächelte ich und tat so als würde ich mich tatsächlich für Kunst interessieren, allerdings nur für Töpfern und nicht fürs Malen an Leinwänden mit Farbe, oder Schulwänden mit Lippenstift.
Insgeheim dankte ich meiner Mutter für das Erbe der Silberzunge und vorgetäuschten Unschuldigkeit, auch wenn ich das niemals offen zugeben würde.

Unveränderbar! - Oder?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt