Das Internat

39 6 0
                                    

Ich hasste meinen Vater, hatte ich das schon mal erwähnt? 

Nicht nur, dass er mich ohne ein Wort auf ein beschissenes Internat schickte, nein, das war noch lange nicht der Gipfel der Unverschämtheiten...
Aber alles der Reihe nach.

Nach ungefähr sechs Stunden öder Zugfahrt setzte mich die Bahn irgendwo im nirgendwo ab. Naja, natürlich war nicht im Nirgendwo, aber ich hatte auch keine Ahnung wo genau ich war. Es war ein kleines Dorf, das ich vielleicht hübsch gefunden hätte, wenn ich nicht in so mieser Stimmung gewesen währe.
Mein neues Internat war nicht schwer zu finden. Am Bahnhof wartete jemand auf mich, mit einem sauberen Schild in der Hand, auf dem groß Fierro stand. Also war wohl jemand gekommen um mich abzuholen. Missmutig ging ich auf die Person zu.
Es war eine hochgewachsene Dame im Blazer und mit so hohen Absätzen, dass ich mir die Frage stellte, wie viel es wohl brauchte, damit sie stolperte und sich ein Bein brach.

Als ich zu ihr ging, rümpfte die Dame die Nase und fragte: "Aha, Sie sind also Miss Alexandra Fierro?"
"Alex Fierro.", besserte ich sie aus.
"Nein, in Ihrem Anmeldeformular steht Alexandra. Aber na schön, wenn Sie lieber Alex genannt werden, soll mir das recht sein. Mein Name ist Lady Amanda, ich bin die Stellvertretende Direktorin des Rosevalley Internats und außerdem Ihre Klassenlehrerin."
Mir fiel ein, dass ich mir gar nicht die Mühe gemacht hatte nachzuschauen wie das Internat hieß. Aber anscheinend hieß es Rosevalley. Hieß das Dorf auch Rosevalley?
Ich fragte lieber nicht nach, weil ich die hohe Fistelstimme der Lady nicht länger in den Ohren haben wollte, als unbedingt nötig.

Leider schien es sehr lange nötig zu sein, ihre Stimme hören zu müssen.
Lady Amanda führte mich zu einem teuren Mercedes, der von einem Chauffeur gefahren wurde und setzte sich mit mir auf den Rücksitz. Der Chauffeur packte den weißen Koffer, den Dad mir gekauft hatte in den Kofferraum und fuhr los. Während der Fahrt erzählte LA - ich beschloss Lady Amanda einfach LA zu nennen, auch wenn ich das wahrscheinlich mit der Stadt Los Angelas durcheinander bringen würde  - mir alle möglichen unnützen Details über das Dorf, dass nicht Rosevalley hieß, sondern ganz langweilig 'Miners'. Wann Miners erbaut worden war, wann es zum ersten Mal auf einem Dokument und einer Landkarte erschienen war, wann das Internat hier gebaut worden war, wie oft es inzwischen renoviert worden war und aus welchen Gründen.

Ich blendete sie aus und schaute mir die Gegend an. Eigentlich war es wirklich hübsch hier. Hügelige Landschaft mit vielen Feldern auf denen Getreide, Kukuruz (Mais), und Gemüse wuchsen und ein paar Wäldchen. Ich sah sogar ein Ortsschild, dass zu einem See führte. Das Dorf an sich war auch entzückend. Niedrige, saubere Häuschen, von üblichen Supermärkten bis hin zu niedlichen einheimischen Läden alles durchgemischt, einige Brunnen und Denkmäler an christliche Schutzpatronen der Stadt und eine kleine Kirche.

Das Einzige, was nicht in die Gegend passte, war dieser riesige Klotz von einem Gebäude, der mitten auf einem Hügel aufragte.
Vielleicht konnte man es als moderne Architektur abstempeln, zu genaueren Details hätte ich Annabeth Chase, Magnus' Cousine, fragen müssen, aber mitten in einer idyllischen Hügellandschaft? Das sah einfach nur hässlich und total fehl am Platz aus. Und zu allem Überfluss verkündete ein Schild neben einem Tor auch noch: Rosevalley Internat für junge Mädchen.

Ich glaubte mich verlesen zu haben. 
"Stand da wirklich Internat für junge Mädchen?", fragte ich LA. Diese nickte. "In der Tat, Miss Fierro, und lehnen Sie sich bitte nicht so weit aus dem Autofenster. Das Rosevalley Internat ist eines der besten Mädcheninternate in den ganze USA. Viele bekannte Geschäftsleute schicken ihre Töchter hier her um sie auf das Businessleben vorzubereiten." Sie redete noch weiter, aber ich hörte nicht mehr zu.

Ein Mädcheninternat.
Auf einmal machten so viele Dinge einen Sinn.
Der Mangel an Jungs-Schulunformen in dem Shop in Boston, warum Dad mich meinen Koffer nicht selber hatte packen lassen, warum er so erfreut gewesen war, als ich meine Periode gehabt hatte (was ja wohl der offensichtlichste Beweis meiner aktuellen Weiblichkeit war).
Bestimmt hatte er mich absichtlich so früh hier her geschickt, damit ich keine Zeit hatte auf die Idee zu kommen mir die Webseite des Internats anzusehen.
Und dann waren da natürlich noch seine ewig langen Reden darüber gewesen, dass ich kein Wort über Gender fluid verlieren sollte.
Was hatte er noch gesagt? "Hinterlasse ausschließlich einen guten Eindruck." Ach ja, hier gingen offenbar die Töchter einiger sehr bekannter Unternehmer zur Schule. Ich hätte wetten können, dass mein Vater mich nur deswegen zurück in sein Leben geholt hatte. Damit ich sein Image neu gestaltete und seinen Namen bekannt machte.

Unveränderbar! - Oder?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt