Einmal eine Erklärung, bitte.

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Odin drückte mir noch einen dicken Stapel Dokumente und Formulare in die Hand, die ich bis Neujahr ausfüllen und abgeben musste. Und er erwartete, dass ich meinen Job gleich Morgen antreten und bei den Walküren einmal mächtig durchputzen würde, damit sie wieder zur Vernunft kamen.
"Ich soll morgen schon anfangen?", widerholte ich ungläubig und Odin nickte düster.
"Die nehmen mir sonst noch mein Hotel auseinander. Glaub mir, mir ist sehr wohl klar, dass ich dir eigentlich noch die nächsten zwei Jahre freigegeben habe, aber das hier kann nicht mehr warten. Ich habe jede mögliche Methode versucht eine geeignete Generalin zu finden, aber die anderen Walküren sind entweder nicht verantwortungsbewusst, total durchgeknallt oder haben nicht genug Biss für den Job. Und dann dachte ich mir: Hmm... jemand muss sich doch um diese Draugen-Armee kümmern. Wenn Samirah das schafft, bekommt sie den Job, ob sie will oder nicht. Wenn nicht... naja, dann ist sie leider eh tot."
"Tot?!", kreischte Bibi und starrte Odin mit offenem Mund an. 
"Ähm, ich hätte auch einfach aufgeben können!", warf ich schnell ein, damit Bibi sich keine  zu großen Sorgen machte.
"Sam und Aufgeben? Das würde nicht mal während Ragnarök passieren.", murmelte Alex leise, aber er kapierte, warum ich das gesagt hatte.

Bibi dagegen nickte ernsthaft. "Samirah, Kind, versprich mir eines! Bring dich niemals und unter keinen Umständen selbst in Lebensgefahr!"
Ich biss die Zähne zusammen und überlegte, wie ich meiner Großmutter möglichst schonend beibringen konnte, dass das leider einfach nicht möglich war.
Zu meinem Glück kam mir Magnus zuvor: "Mrs al-Abbas, es ist wirklich schön, wie sehr sie sich um Ihre Enkelin kümmern, aber Walküren sind praktisch die Polizei der nordischen Mythologien. Und Polizisten haben eben oft mit gefährlichen Situationen und Kriminellen zu tun, da kann man nichts machen. Sam hat schon ne Menge Übeltäter verhaftet." Dass er den Ausdruck Polizei benutzte, schien für meine Familie sofort alles besser zu machen. Schließlich stand das Wort praktisch für Recht, Ordnung und gutes Benehmen.
Alex mischte sich auch wieder ein. "Jap, Loki zum Beispiel. Götter, das war die Hetzjagd des Jahrhunderts für uns. Aber am Ende haben wir ihn uns geschnappt, auf zwei Centimeter runtergeschrumpft und in eine Walnuss gesperrt. Wo wir schon bei dem Thema sind, in welches Gefängnis habt ihr ihn eigentlich verschleppt, den alten Gauner?", die letzte Frage richtete er an Odin.
Seltsamerweise kniff der König der PowerPoints sofort sein eines Auge zusammen und starrte Alex an, als wolle er ihn auf der Stelle umbringen. Er knurrte: "Das ist strengstens geheim, Alex Fierro! Und wehe dir, wenn du auch nur daran denkst, deine Mutter zu suchen und zu befreien!"

Mein Bruder hob abwehrend die Arme: "Woah, ruhig Blut. Ich bin nicht durch halb Niffelheim gewandert um den Kerl dingfest zu machen, nur um ihn dann wieder auf die Welt loszulassen. Meinetwegen kann Mom im Knast verrotten, solang er nur dort bleibt." Odin sah einigermaßen beruhigt aus.
"Wieso sprichst du von einem Mann, aber nennst ihn deine Mutter?", wollte Mr Fadlan wissen. Daraufhin gab Alex die Meister-Kurz-Version der Geschichte mitsamt Erklärung bezüglich Genderfluid an. Meine Familie sah ziemlich überwältigt aus, als er endete.
"Soll das heißen, du... änderst manchmal dein Geschlecht?", widerholte Jid. Er schwankte sichtlich zwischen beeindruckt und angewidert.
Mein Bruder zeigte sich mal wieder äußerst geduldig und nickte. "Jap. Gestern war ich weiblich, heute bin ich männlich. Mal schauen, was ich morgen sein werde, aber ich hab so das Gefühl, dass ich morgen immer noch auf männlich bleibe. Und bevor ihr fragt, ja, bei mir ändert sich auch mein Körper, aber das funktioniert nur, weil ich ein Kind von Loki und damit ein Werwesen, also Gestaltwandler bin."
"Du kannst wirklich deine Gestalt ändern?", fragte Amirs jüngster Cousin, der gerade erst sieben Jahre alt war, mutig. 

Alex grinste mich an und ich ahnte schon, was er vorhatte. Mein Bruder schrie: "Löwe! Aber dalli!"
Ich reagierte im Bruchteil einer Sekunde und änderte meine Gestalt. Es fühlte sich immer noch ein wenig seltsam an, aber ich versuchte das Gefühl zu ignorieren und konzentrierte mich lieber auf meine neuen, verschärften Sinne und meinen geschmeidigen Körper als Großkatze.
Alex verwandelte sich sogar noch schneller als ich. Wenn er gerade männlich war, konnte er sich als Löwe auch eine ziemlich beeindruckende Mähne wachsen lassen, die ich als dauer-Weibchen natürlich nicht hatte.
Die Reaktionen meiner Familie waren unterschiedlich und reichten von überraschten Schreien, über panisches Keuchen bis hin zu beeindrucktem "Ahhh!" und Ohhh!".
Um weniger gefährlich zu wirken, setzte ich mich auf meine Hinterbeine und legte meinen Schwanz sauber um meine Pfoten, wie ich es von Hauskatzen kannte.
Alex dagegen streckte sich, wobei er die Krallen ausfuhr und übertrieben Gähnte um seine langen Fangzähne zu zeigen.
Ich gab ihm mit der Pfote eine auf die Schnauze, damit er das bleiben ließ.

"Wow, das ist so cool!", kreischte der kleine Junge, ich glaube er hieß Kim, und riss sich von der Hand seiner Mutter los um zu uns zu rennen. Ein paar Schritte entfernt blieb er stehen und starrte uns mit großen Augen an, bevor er fragte: "Darf ich dich streicheln?"
Löwen konnten nicht schnurren, aber ich nickte mit sehr menschlicher Art und kam einen Schritt auf ihn zu. Kim streckte sofort die Hand aus und streichelte meinen Kopf.
"Haha! Sam spielt das Miezekätzchen!", grölte Alex auf löwisch, wobei er zum Glück kein Brüllen von sich geben musste, das hier alle hätte erschrecken können.
"Halt die Klappe, Al. Ich versuche nur niemandem Angst zu machen!", gab ich zurück und ließ mich weiter Streicheln. Aber jetzt versuchte Kim auf meinen Rücken zu klettern. Seine Mutter zog ihn aber sofort weg und sagte: "Sehr schön Kim, du hast einen echten Löwen gestreichelt, aber das reicht auch schon."
"Aber, Mom! Ich bin noch nie auf einem Löwen geritten!", jammerte Kim. 
Alex grummelte vergnügt und trabte zu ihm. Zum Entsetzen der Mutter, schleckte er Kim mit seiner rauen Katzenzunge über die Wange, rieb seinen Kopf an seiner Seite und legte sich dann nieder, als deutliches Zeichen, dass Kim aufsteigen durfte. Seine Mom war noch zu geschockt um zu widersprechen, als ihr Sohn auf den Rücken eines Löwen kletterte und sich an dessen Mähne festhielt.
Kim hatte auf jeden Fall seinen Spaß. 

Ich schüttelte darüber nur meinen Kopf, aber dann hörte ich von hinten Jids Schritte näher kommen und ich drehte mich zu ihm um. Mein Großvater starrte mich mit großen Augen an und murmelte leise: "Meine Enkelin ist eine Löwin..."
"Klar. Samirah al-Abbas. Samirah von den Löwen. Macht doch Sinn, oder?", fand Magnus und lehnte sich an den Tisch während er Alex zusah, wie er mit Kim auf dem Rücken durch den Raum lief. 
Bibi hatte sich beide Hände vor den Mund geschlagen, aber jetzt kam sie näher und streichelte ganz vorsichtig meine Ohren. Ich hielt still um sie nicht zu erschrecken. 

"Amir, wie lange willst du noch starren?"
Ich drehte mich zu meinem Verlobten um, der zusammenzuckte, als sein Vater ihn ansprach. 
"Ich starre nicht!", verteidigte er sich.
Magnus schnaubte. "Du starrst immer, mein Freund. Aber kein Ding, Sam starrt auch und dann..."
Ich wirbelte herum, sprang und warf Magnus zu Boden, bevor er noch mehr sagen konnte. Ich knurrte warnend: "Ein weiters Wort, Magnus und du bist dran!"
Mein Bruder setzte Kim ab und kam zu uns. "Sehr originelle Drohung, Schwester."
"Stimmt, wirklich originell. Kannst du jetzt von mir runter gehen, Sam? Du erstickst mich und ich mag außerhalb von Walhalla nicht sterben.", murrte der Sohn des Frey unter mir.
"Du jammerst immer, wenn du drauf und dran bist abzukratzen.", stellte Alex kopfschüttelnd fest.
"Ist so ne Angewohnheit von mir."

Unsere kleine Auseinandersetzung schien Magnus Friedenszauber dummerweise zu schwächen, denn Amirs Vater sah sehr verstört aus, als er fragte: "Ähm, was passiert hier gerade? Amir, sollten wir uns Sorgen machen?"
"Nö, es passt schon, Dad.", erklärte Amir völlig entspannt, "Außerhalb des Hotels bringen sie Magnus nie um. Ich glaube sie drohen ihm nur. Naja, ich höre auch nur ein drittel des Gesprächs, aber ich glaube zumindest, dass sie ihm drohen."
Magnus hob einen Daumen nach oben und grinste.
Ich seufzte, ließ ihn wieder aufstehen und verwandelte mich in einen Menschen zurück. "Ja, wir drohen ihm nur."
Alex wurde ebenfalls wieder Mensch und schlug vor: "Ich könnte ihn umbringen sobald wir heimkommen?"
Ich warf meinem Bruder einen wütenden Blick zu und drehte mich suchend nach Odin um, aber der war schon Verschwunden. Ohne sich auch nur zu Verabschieden...

Alex klatschte in die Hände und grinste in die Runde, als er fragte: "Okay, sonst noch irgendwelche offenen Fragen? Ich hab so das Gefühl, dass wir eine Fragestunde machen müssen."
Nicht wenige, um nicht zu sagen alle, aus meiner Familie nickten und ich bedeutete ihnen sich wieder an den Tisch zu setzten, damit wir in aller Ruhe reden konnten.

Unveränderbar! - Oder?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt