Diesen Abend ging ich wieder in mein eigenes Zimmer. Ich saß noch eine Weile an meiner Töpferscheibe und genoss das Gefühl von Ton unter meinen Handflächen. Gedankenverloren töpferte ich zwei Tassen, eine Dose und drei Vasen. Es war wirklich beruhigend und gab mir Zeit zum Nachdenken.
Als Magnus mir seine Gedanken gezeigt hatte war alles so schnell gegangen, dass ich fast nur das hatte erkennen können, was er mir hatte zeigen wollen. Doch jetzt, wo ich endlich mal ganz in Ruhe an meiner Töpferscheibe saß, konnte ich das, was ich gesehen hatte, sortieren und in meine eigenen Erinnerungen einordnen.Maggie hatte in den letzten zwei Jahren offenbar doch härter trainiert, als wir alle gedacht hatten. Nur eben in aller Heimlichkeit und ohne dass wir es mitbekamen. Und wir Idioten hatten ihn auch noch damit aufgezogen, dass er so wenige Kurse in Walhalla belegte.
Außerdem schien Magnus in Frey einen Mentor gefunden zu haben. Und nicht nur in ihm.
"Ach mein lieber Neffe, hab ich dir eigentlich schon einmal erzählt, wie Frey und ich damals in Albenheim..." Die Stimme war weiblich gewesen, erinnerte ich mich jetzt. Und mir fiel nur eine weibliche Person ein, die Magnus Neffe nennen würde. Freya, Freys Schwester. Ich war Freya noch nie begegnet, deswegen kannte ich ihre Stimme nicht. Doch je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer wurde ich mir.
Doch eine andere Stimme kannte ich. "Magnus, mein Enkelsohn. Ich soll dir also Bogenschießen beibringen?" Das war eindeutig Skadi. Und die steinerne Halle, in der Magnus mit dem Bogen trainiert hatte? Die hatte ausgesehen, als könnte sie aus ihrem Palast in Niffelheim sein.Ich seufzte und schob meine letzte Vase in den Brennofen.
Als ich von meinem Internat zurück gekommen war, hatte ich Magnus am nächsten Tag nirgendwo finden können und Blitzen und Hearthstone hatten mir erzählt, dass er immer öfter verschwand. Mir war das vorher nie aufgefallen, also musste er damit angefangen haben, als ich nicht da gewesen war. Was durchaus Sinn machte. Hier in Walhalla hielt ich ihn mit Freude immer auf Trapp. Dann hatte er einmal ein paar Wochen frei von mir gehabt und hatte sich mehr auf seine Ausbildung konzentrieren können.Ich fragte mich, wie viel ich sonst noch nicht über meinen Freund wusste.
Ich ging spät ins Bett, doch ich konnte nicht richtig schlafen. Vielleicht vertrug mein Gehirn den Alkohol von der Party doch nicht so gut, wie ich geglaubt hatte, oder Alkohol und gleich darauf Gedankenreisen unternehmen war eine furchtbare Kombi.
Ich hatte Albträume. Zuerst nur der übliche Kram. Erinnerungen aus meiner Kindheit, als mein Dad so fies zu mir gewesen war, Loki, der wieder ausbrach, der Albtraum, dass ich für immer in einem Gender feststeckte und meine Werwesen-Fähigkeiten verlor.
Doch dann änderten sich die Träume. Plötzlich war ich wieder auf der Party. Und noch schlimmer, ich sah Magnus. Wie er eine andere küsste. Es war genau das Mädchen, dem ich als Löwin die Kehle aufgerissen hatte. Ich verwandelte mich wieder, wollte wieder ein Blauwal werden, aber ich schaffte nur eine Hausfliege. Magnus lachte mich aus. Seine Stimme klang viel fieser als sonst. Die anderen Einherjer begannen ebenfalls zu lachen.
Es war das gleiche Geräusch, das ich immer am Schulhof gehört hatte.Zitternd fuhr ich hoch. Mein Herz klopfte und ich war schweißnass. Als sich der Schock legte, stellte sich die Wut ein. Ich schleuderte meine Decke zur Seite und rannte in mein Badezimmer. Dort stützte ich mich auf mein Waschbecken und betrachtete mein Spiegelbild. ich war blass und meine Haare klebten mir im Gesicht. Einzelne Tränen rannen über meine Wangen. "Scheiße, Alex, jetzt reiß dich zusammen!", fuhr ich mein Spiegelbild an, "Magnus wird dich nicht verlassen, das hat er doch bewiesen!"
Doch langsam dämmerte mir, dass genau das das Problem war.Ich hatte in seinen Gedanken so viele Erinnerungen gesehen, die nicht von Walhalla handelten, oder von mir. Und mit jedem Bild, mit jedem Gesprächsfetzten, hatte er irgendeine Form von Glück oder Liebe verbunden. Ich fing an mir Sorgen zu machen, dass er mich verlassen könnte. Nicht für eine andere Person, sondern vielleicht für das. Für diese Orte und Erlebnisse.
"Das ist doch dumm.", redete ich meinem Spiegelbild ein, "Wieso sollte er mich für einen Ort verlassen?"
Er hat an diese Orte schönere Erinnerungen als an dich. meinte diese beschissene kleine Stimme in meinem Kopf, die sich gegen mich verschworen hatte.
Quatsch. gab ich zurück.
Aber es stimmte. In den Erinnerungen über mich, die er mir gezeigt hatte, hatte er sich meistens Sorgen um mich gemacht. Er hatte Angst gehabt, manchmal um mich, manchmal sogar vor mir. In allen anderen gab es keine Sorge. Keine Angst, keine Wut, kein Blut. Die Bilder waren völlig friedlich gewesen.Ich beschloss, dass mich diese Gedanken wahnsinnig machten. Ich ging eiskalt duschen, zum Einen um aufzuwachen, zum Anderen um den Schweiß los zu werden. Als ich aus der Dusche stieg schaute ich nur einmal zum Spiegel, der von Wassertropfen bedeckt war, und verwandelte mich in eine Libelle. Ich hatte mein Bad verlassen, noch bevor mein Handtuch ganz zu Boden gefallen war.
Ich wusste nicht, wie ich als Libelle in Magnus Zimmer gelangt war, aber auf einmal war ich wieder dort. Alles war dunkel. Ich flog zu seinem Bett und erstarrte in der Luft. Das Bett war leer. Die Kopfpolster nicht einmal eingedrückt oder zerknittert. Ich drehte mich surrend in der Luft um und wenn ich ein Mensch gewesen wäre, hätte ich aufgeatmet, als ich Maggie in seinem Innenhof sah.
Ich sank zu Boden und verwandelte mich in eine Katze. Ganz still saß ich auf seinem Bett und betrachtete ihn einfach.Er lag einfach im Gras auf dem Innenhof, hatte sich auf die Seite gerollt und schlief offenbar tief und fest. Er hatte sich nur mit einem dünnen, weißen Laken zugedeckt, ohne einem Kopfpolster. das Mondlicht fiel durch die Zweige in den Innenhof und auf seinen schlafenden Körper.
Ich fragte mich, ob ihm klar war, wie märchenhaft ihn das aussehen ließ.
Wie so ein Elfen-Prinz aus einem der Romane, die ich gelesen hatte. Der Gedanke war eigentlich absurd. Okay, Magnus sah süß aus, wie er so im Mondlicht auf einem grasbewachsenen Innenhof unter den Bäumen lag, aber er war doch kein Elfen-Prinz. Ich versuchte darüber nicht sentimental zu werden.
Doch dann seufzte Magnus im Schlaf. Seine Brust bewegte sich und seine Decke rutschte von seiner Schulter. Er trug kein Shirt.
Leise schlich ich auf Katzenpfoten näher. Als ich direkt vor ihm saß, ging mir auf, dass er nicht einfach nur kein Shirt trug... er trug gar nichts. Unter der Decke schien er nackt zu sein.
Nervös knetete ich mit meinen Pfoten das Moos. Ich war mir selber nicht ganz sicher, was ich jetzt machen sollte.
Zum einen wollte ich super gern mit Maggie kuscheln. Aber es kam mir schon sehr privat vor ihn so zu sehen und ich wusste nicht, wie er reagieren würde, wenn er aufwachte und mich neben sich liegen sah.Schließlich rollte ich mich als Katze neben seiner Brust zusammen. Naja, eigentlich als Kater... Magnus seufzte wieder und ich spürte seinen warmen Atem an meinem Rückenfell. Seine Hand bewegte sich zu mir und strich über meinen Bauch. Ich fing an zu schnurren.
Maggie vergrub sein Gesicht in meiner Seite. Ich schnurrte immer weiter und steckte meine Nase unter meine Schwanzspitze.
Ich war beinahe eingeschlafen, als ich seine leise Stimme hörte. "Alex? Bist du das?" Blinzelnd öffnete ich die Augen wieder und schaute auf. "Ja.", maunzte ich leise, "Konnte nicht schlafen. Aber ich wollte dich auch nicht aufwecken."
Magnus' Wangen röteten sich und er stammelte: "Ähm... ich.. ich hab eigentlich nichts an. Unter der Decke, meine ich."
Ich zuckte mit den Schnurrhaaren. "Ich bin gerade männlich, falls dich das beruhigt. Und keine Sorge, ich habe nichts gesehen." Fast wollte ich schon fragen, ob ich wieder gehen sollte, aber Magnus schien nachdenklich. Er stützte sich auf seine Unterarme, schaute auf mich herunter und streichelte mein Fell.
Langsam setzte er an: "Alex... kann es sein, dass Mallory und du eine Wette darüber hattet, ob wir zwei... du weißt schon... sowas eben zusammen machen würden?"
"Ach das.", murmelte ich, "Ja, zugegeben, wir hatten so eine Wette." Wieso sollte er es auch nicht wissen? Die Wette war schon vorbei. Dafür lief eine andere Wette immer noch. Aber davon musste er nichts wissen."Alex, was ist los mit dir?", fragte Magnus auf einmal. Er legte sich wieder neben mich. So dicht, dass ich die Hitze seines Körpers fühlen konnte und sein Atem meine Schnurrhaare streifte.
"Was sollte los sein?", fragte ich zurück.
"Du bist so ruhig. Keine Witze, kein Necken... wenn nichts los wäre, wärst du doch längst so frech gewesen dich wieder in einen Menschen zu verwandeln und zu mir unter die Decke zu kommen." Bei seinem letzten Satz schmunzelte er.
Ich sah ihn ziemlich lange an, bevor ich antwortete: "Als du mich in deinen Kopf mitgenommen hast, hab ich ein paar Dinge gesehen, naja, von denen ich nicht glaube, dass du sie mir zeigen wolltest."
Magnus Miene verhärtete sich und seine Hand auf meinen Fell stockte. Er schwieg, also redete ich weiter. "Die Dinge... naja, das waren alles Dinge von denen du mir nie erzählt hast. Ich hab immer nur Fetzen gesehen, kleine Ausschnitte ohne Zusammenhang, aber mir ist einfach klar geworden, wie viel du mir verheimlichst."
"Und dir gefällt das nicht.", murmelte Magnus leise. Ich nickte.
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Unveränderbar! - Oder?
FanfictionWARNUNG: VIEL SPOILER Die Götterdämmerung wurde erfolgreich hinausgezögert! Jeder unserer Helden fing ein glückliches Leben an oder kehrte dahin zurück. Bis wieder gewisser Ärger aufkam. Und dieser Ärger nennt sich selbst den Vater von Alex Fierro...