Jocelyn befand sich in einem fast schon fieberhaften Zustand. Sie fühlte sich benommen und erhitzt, durch ihren Kopf jagten düstere Gedanken. Erinnerungsfetzen. Und immer wieder ein Gesicht - das ihres Bruders. Sie verlor das Zeitgefühl, wusste nicht, ob Minuten oder Stunden oder vielleicht sogar Tage vergangen waren, bis sie von Voldemorts durchdringender, körperloser Stimme erschrocken auf die Beine gerissen wurde.
„Harry Potter ist tot. Er wurde getötet, als er wegrannte, als er versuchte, sich selbst zu retten. Der Krieg darf nicht länger währen. Jeder, der Widerstand leistet, wird niedergemetzelt werden. Kommt aus dem Schloss und kniet vor mir nieder und ihr werdet verschont werden. Gemeinsam werden wir eine neue Welt errichten."
Jocelyn keuchte auf, das Geräusch drang von weit weg an ihre Ohren. Aus der Großen Halle vernahm sie entsetzte Rufe und der ganze Raum schien plötzlich von leisem Weinen erfüllt. Die Menschenmenge, die sich darin versammelt hatte, strömte nach und nach aus der Tür, und ohne, dass Jocelyn sich bewusst dafür entschied, ging sie mit ihnen. Sie nahm kaum war, dass Draco dicht neben ihr lief. Sie setzte einfach nur benommen einen Fuß vor den anderen, wie eine Schlafwandlerin.
Das Gefühl, zu träumen, verstärkte sich, als Jocelyn das Schloss verließ und obgleich des Anblicks, der sich ihr bot, abrupt stehen blieb.
Die Todesser hatten sich in mehreren Reihen vor dem Eingang des Schloss aufgestellt, eine einzige, reglose schwarze Wand. Sie wirkten gespenstisch mit ihren Masken. Doch das war nicht das Schlimmste. In ihrer Mitte stand Voldemort und vor ihm, zu seinen Füßen, lag eine leblose Gestalt. Harry. Jocelyn durchzuckte der Schock, als sie seine verschobene Brille sah, sein strubbeliges Haar. Die geschlossenen Augen.
Das war ein Ausgang, mit dem sie niemals gerechnet hatte. Den sie nicht einmal in Betracht gezogen hatte. Gemeinsam werden wir eine neue Welt errichten.
Jocelyns Augen huschten panisch über die Reihen der Todesser und erst da bemerkte sie, dass hinter Voldemort, verborgen in seinem Schatten, jemand stand. Eine schlanke, bewegungslose Gestalt mit dunklen Haaren und blassem Gesicht. Lorcan.
Während Jocelyn ihrem Bruder in das Gesicht schaute, suchte sie verzweifelt nach etwas Vertrauten, aber seine Miene war maskenartig und einen Augenblick lang fiel es ihr schwer zu glauben, dass hinter diesen blauen Augen noch Leben, noch Lorcan, steckte. Was hatte er nur durchleben müssen?
Jemand drängte sich dicht an Jocelyn vorbei und sie erkannte McGonagall. Als sie Harrys Leiche erblickte, blieb sie ruckartig stehen und taumelte zurück . „NEIN", der Schrei, der sich der Kehle der alten Professorin entriss, ging Jocelyn durch Mark und Bein - vielleicht, weil er ihr eigenes Entsetzen widerspiegelte.
Das Wort wurde wie ein Echo von anderen Stimmen wiederholte, wurde durch die Reihen getragen, immer wieder. „Nein", „Nein", „Nein". Jocelyn erkannte Ron und Hermine unter den Stimmen, sie konnte den Kopf nicht drehen, um sie anzuschauen, glaubte auch so, den Ausdruck auf ihren Gesichtern zu erahnen.
Ihr Blick lag auf ihrem Bruder, sie klammerte sich mit aller Macht an seinem Anblick fest, während wirre, panische Gedanken durch ihren Kopf hüpften. Sie würden sie gefangen nehmen, sie und Draco. Oder direkt töten. Sie würde wieder gefoltert werden - oder, noch schlimmer...
Ihr Blick suchte nun Dracos, der so dicht neben ihr stand, dass sie das Zittern seines Körpers spüren konnte. Doch er blickte sie nicht an. Sie sah, dass er mit seinen grauen Augen die Reihen der Todesser absuchte, immer und immer wieder. Jocelyn wusste, wen er suchte. Doch Narcissa Malfoy war nirgends zu sehen. Steckte sie hinter einer der Masken?
„RUHE!", rief Voldemort und die wehklagenden Rufe und Schreie erstarben, als es einen lauten Knall und einen Lichtblitz gab. „Es ist vorbei! Harry Potter ist tot! Er wurde getötet, als er sich selbst retten wollte!"
Plötzlich drückte sich erneut jemand an Jocelyn vorbei und stürmte geradewegs auf Voldemort zu. Sie unterdrückte ein entsetztes Aufstöhnen - es war Neville. Voldemort entwaffnete ihn mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung seines Zauberstabs und Jocelyn hörte sein kaltes Lachen. „Wen haben wir denn da? Wer hat sich hier freiwillig gemeldet, um vorzuführen, was mit denen passiert, die weiterkämpfen, obwohl die Schlacht schon verloren ist?"
Durch die Reihen der Todesser ging Gelächter. Voldemort drehte sich zu Lorcan um und dieser sagte mit ausdrucksloser Stimme: „Das ist Neville Longbottom."
Neville kam gerade wieder auf die Beine, der Entwaffnungszauber hatte ihn von den Füßen gerissen.
Voldemort machte eine weitere Bewegung mit seinem Zauberstab und dann sah Jocelyn etwas Unförmiges aus einer der zerbrochenen Schlossfenster fliegen. Es landete direkt auf Voldemorts ausgesteckter Hand. Es war der alte, zerschlissene Hut, der die Erstklässler in die vier Häuser aufteilte. „Das erscheint mir passend als Lektion. Es wird an dieser Schule keine Auswahl mehr geben. Das Haus meines edlen Vorfahrens Salazar Slytherin wird für jeden genügen, nicht wahr, Neville?", zischte Voldemort und Hohn verzerrte seine schlangenartigen Züge.
„So wird es jedem ergehen, der mir weiterhin Widerstand leistet."
Er hob den Zauberstab und rammte Neville damit grob den Hut über den Kopf. Dieser wurde stocksteif und unbeweglich und einen Moment später ging der Hut in Flammen auf. Jocelyns eigener Schrei wurde von anderen erwidert und in diesem Moment passierten so viele Dinge gleichzeitig, dass sie Mühe hatte, sie alle zu begreifen.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie mehrere Schüler und Lehrer ihre Zauberstäbe hoben und Sekunden später flogen in Richtung der Todesser und Voldemort Flüche. Neville warf mit einer raschen Bewegung den Körperklammerfluch ab, der brennende Hut fiel dabei von seinem Kopf, und zog aus den Tiefen des Stoffes plötzlich ein Schwert mit einem rubinbesetztem Griff hervor.
Jocelyn konnte einen Blick auf sein vor Ruß schwarzes Gesicht erhaschen, bevor er herumwirbelte, das Schwert erhoben, mit einer fließenden Bewegung nach vorn trat und die silbern blitzende Klinge des Schwerts in Lorcans Brust rammte.
DU LIEST GERADE
Burning Darkness
Fanfiction„Vertraust du mir?" Jocelyn drehte den Kopf, um Draco anzuschauen und ein aufgeregtes Zittern überkam sie, als sie erfolglos versuchte, den unbekannten Ausdruck auf seinem Gesicht zu entziffern. „Ja", flüsterte sie schließlich. Er verzog den Mund...