Jocelyn betrat als letzte den Kerker, in dem Snape Zaubertränke unterrichtete, und ging mit gesenktem Kopf zu einem freien Platz, aber natürlich ließ Snape ihr die Verspätung nicht durchgehen.
„Miss Fortescue!", donnerte er und sie erstarrte. Langsam wandte sie sich zu dem hakennasigen Professor um und glaubte zu fühlen, wie sie unter seinem tödlichen Blick ein paar Zentimeter schrumpfte. „Was bilden Sie sich ein, ohne ein Wort der Entschuldigung exakt drei Minuten zu spät zu meinem Unterricht zu kommen?!", zischte er bedrohlich.
„Entschuldigung.", sagte Jocelyn kleinlaut. Ihr Blick glitt kurz zu Draco, er sah sie mit reglosem Gesicht an.
„Das genügt nicht! Es kann ja sein, dass solch ein Verhalten bei Ihrer Privatlehrerin", er lächelte höhnisch, „kein Problem war, aber hier herrschen andere Regeln!"
Sie starrte ihn wütend an. Anscheinend wusste er Bescheid darüber, dass Tante Fiona sie zuvor unterrichtet hatte und sie spürte, wie sein höhnisches Lächeln ihr Blut zum Kochen brachte. „Meine Tante ist die beste Lehrerin gewesen, die ich mir hätte wünschen können!", fuhr sie ihn an, bevor sie sich zurückhalten konnte.
Im Kerker wurde es abrupt still, als hätte jemand den Ton abgeschaltet. Alle starrten gespannt zwischen Snape und ihr hin und her. Snape ging um seinen Schreibtisch herum und sein Umhang flatterte hinter ihm her.
Er baute sich vor Jocelyn auf, die seinen Blick mit mutig hervorgerecktem Kinn erwiderte, und fauchte: „So gut kann sie nicht gewesen sein, wenn sie es versäumt hat, Ihnen beizubringen, wie man sich richtig benimmt!"
„Ich weiß sehr wohl, wie man sich richtig benimmt! Ich habe eher das Gefühl, dass sie das nicht wissen, Professor!"
Oh, oh. Das war eindeutig zu viel. Auf Snape blassen Wangen breitete sich schlagartig eine ungesund wirkende Röte aus.
„Wie können Sie es wagen!", herrschte er sie an, wurde aber von einem Räuspern unterbrochen. Snapes Kopf fuhr so abrupt herum, dass ihm das fettige Haar ins Gesicht peitschte. Jocelyn wandte sich ebenfalls um und erblickte Draco, der sich auf seinem Stuhl aufgerichtet hatte und nun zum Sprechen ansetzte. „Professor, es ist meine Schuld.", sagte er ruhig.
Snapes Augenbrauen schellten in die Höhe und Jocelyns Gesichtszüge entgleisten ungläubig. „Seien Sie nicht albern, Malfoy. Was sollten Sie damit zu tun haben, dass Miss Fortescue", Snape maß Jocelyn mit einem durch und durch hasserfüllten Blick, „unverschämter Weise zu spät zu meinem Unterricht gekommen ist?"
„Ich habe sie gebeten, ein Buch für mich zur Bibliothek zurückzubringen.", log Draco ungerührt. Jocelyn musste gegen ihren Willen leicht grinsen, als sie den betont schuldbewussten Gesichtsausdruck wahrnahm, den Draco zur Schau trug. Snape sah mit schmalen Augen zwischen ihm und ihr hin und her.
„Nun gut.", sagte er schließlich mit mühsam gezügelter Wut in der Stimme. „Dann haben Sie heute noch einmal Glück gehabt, Miss Fortescue."
Jocelyn nickte und wollte sich schon hinsetzen, als er drohend den Finger hob und zischte: „Nächstes Mal kommen Sie nicht so leicht davon!"
Jocelyn schwieg klugerweise und konnte sich nun endlich setzen. Als Snape wieder hinter seinen Schreibtisch huschte, sah Jocelyn kurz zu Draco und formte lautlos mit den Lippen: „Danke." Er nickte knapp und sie wandte sich wieder nach vorne, nicht ohne davor noch fast von Pansy mit Blicken erdolcht zu werden. Die ganze Stunde grübelte sie über Dracos Verhalten nach. Sie wurde einfach nicht schlau aus dem Slytherin, so sehr sie es auch versuchte. Zu allem Überfluss bemerkte sie, dass Harry sie mit einem enttäuschten Ausdruck in den Augen musterte. Anscheinend war sie jetzt wohl wirklich unter durch bei ihm. Sie wusste, dass es genau das war, was sie erreichen wollte, aber gleichzeitig machte es sie traurig. Unser Leben ist ein anderes als das Leben von Potter und seinen Freunden!, hörte sie wieder Dracos Worte. Vielleicht hatte er recht, dachte sie resigniert. Vielleicht waren ihre Leben tatsächlich nicht kompatibel.Es dämmerte langsam und draußen hatte es angefangen, wie aus Eimern zu schütten. Jocelyn saß in einem der hohen Stühle, die vor dem Kamin im Slytherin-Gemeinschaftsraum aufgestellt waren, und sah wie hypnotisiert in die durch Magie entzündeten Flammen. Auf ihrem Schoß hatte sie die Hausaufgaben für Zaubertränke – Snape hatte ihnen heute besonders viel aufgegeben -, aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Das Gespräch mit Draco am Morgen beschäftigte sie immer noch. Seufzend strich sie sich eine einzelne, rote Locke aus der Stirn, die sich aus ihrem nachlässig gebundenen Knoten gelöst hatte, und senkte den Blick wieder auf ihr Pergament. Es ging um die Wirkung eines Krautes, das einen furchtbar kompliziert klingenden Namen hatte, und so sehr sie sich auch bemühte, die Wörter verschwammen vor ihren Augen und wollten einfach keinen Sinn ergeben. Sie sah auf, als sich jemand auf den Stuhl neben sie fallen ließ. Draco schenkte ihr einen knappen Seitenblick, bevor er sich ebenfalls in irgendwelche Hausaufgaben vertiefte. Grabbe und Goyle, die sich in die Stühle neben Draco gesessen hatten, holten nun auch lautstark raschelnd irgendwelche Pergamente hervor und Grabbe schielte ziemlich offensichtlich zu Draco hinüber.
„Mach deine Hausaufgaben alleine, Grabbe.", schnauzte Draco ihn gereizt an, der seine Abschreibversuche bemerkt hatte. Grabbe murrte irgendetwas und sah dann zu Goyle herüber, dessen Pergament aber genauso weiß war wie seines. Jocelyn grinste in sich herein und las dann denselben Satz nochmal, den sie schon zweimal gelesen hatte, in der Hoffnung, ihn dieses Mal endlich zu verstehen. Als auch dieser Versuch scheiterte, legte sie ihre Hausaufgaben vor sich auf den Boden und zog die Beine an. Sie schlang die Arme darum und sah erneut in die Flammen. Plötzlich zuckte das Bild von Tante Fionas brennendem Haus vor ihrem inneren Auge auf und sie schloss gequält die Augen. Sie würde Isidor niemals verzeihen, dass er ihr die einzige Person genommen hatte, die sie wirklich geliebt hatte. Sie schlug die Augen auf und versuchte die Traurigkeit abzuschütteln, die sie mal wieder zu überwältigen drohte. Ihr Blick ging zu Draco, der gerade mit gerunzelter Stirn nachdachte, bevor er schließlich fortfuhr, das Blatt mit seiner elegant geschwungenen Schrift zu füllen. Sie musterte gedankenverloren seine scharf geschnittenen Gesichtszüge und er musste ihren Blick gespürt haben, da er im nächsten Moment aufsah. Hastig sah sie wieder in die Flammen, aber sie spürte, dass er sie immer noch anblickte. Er beugte sich vor und warf einen flüchtigen Blick auf ihre Hausaufgaben, die sie achtlos vor sich auf den Boden gelegt hatte, und fragte gleichmütig: „Kommst du nicht weiter?"
Sie zuckte mit den Schultern und konnte ihn aus irgendeinem Grund nicht ansehen. „Soll ich dir helfen? Ich bin sowieso fertig."
Jetzt blickte sie ihn doch an und hob verwundert eine Braue. Doch Draco hatte sich schon vorgebeugt und ihre Hausaufgaben an sich genommen. Wollte er ihr tatsächlich gerade helfen? Sprachlos sah sie zu, wie er die paar Sätze, die sie geschrieben hatte, überflog und dann begann Verbesserungen daran vorzunehmen. Dann sah er sie an und deutete ihren sprachlosen Blick als Zeichen ihres Unverständnisses. Er schob seinen Stuhl näher zu ihrem, beugte sich vor und begann, ihr die Verwendungszwecke des Krautes zu erklären. Sie ärgerte sich über sich selber, dass sie kaum etwas mitbekam, von dem was er sagte, da sie ihn nur völlig verwirrt anstarren konnte. Irgendwann verstummte er und sah sie fragend an. Sein Gesicht war so nah vor ihrem, dass sie die dunkelgrauen Sprenkel in seinen hellen Augen sehen konnte.
„Hast du es verstanden?", wollte er mit einem leicht belustigt wirkenden Lächeln wissen. Jocelyn nickte hastig. Er lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück und reichte ihr das Pergament. Sie setzte die Feder an und begann, das niederzuschreiben, was ihr von seinen Worten noch in Erinnerung geblieben war. Er las mit was sie schrieb, das Kinn in die Handfläche gestützt, und saß dabei immer noch dicht neben ihr- so dicht, dass sich ihre Arme fast berührten, was sie törichterweise etwas vom Schreiben ablenkte. Aber schließlich hatte sie das Pergament gefüllt und seufzte erleichtert.
„Danke.", Jocelyn sah Draco ehrlich dankbar an. „Ich hätte bestimmt noch ewig daran gesessen."
„Tja, kann halt nicht jeder so schlau sein wie ich.", erwiderte er feixend. Jocelyn verdrehte die Augen, musste dabei aber grinsen. Plötzlich bemerkte sie Pansy. Sie saß wohl schon einige Zeit in dem Stuhl neben Goyle und ihr Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. Sie stand abrupt auf und ging zu Draco herüber. Sie setzte sich auf seine Stuhllehne und bat ihn mit jammernder Stimme:
„Draco, hilf mir bitte auch mit meinen Hausaufgaben, ich komm einfach nicht weiter."
Draco machte sich nicht einmal die Mühe, aufzuschauen. „Frag Blaise.", sagte er abwesend.
Jocelyn biss sich auf die Lippe, um nicht zu lachen, als Pansys Mund empört aufklappte. Aber gleichzeitig verspürte sie ein wenig Mitleid mit der Slytherin.
„Ach, aber dieser Schlampe hilfst du, oder was?!", schrie Pansy im nächsten Moment schrill und Jocelyns Mitleid wich abrupt wieder.
Sie sah erstaunt, wie Wut über Dracos Züge glitt. „Bei Merlin, verzieh' dich einfach, Pansy!"
Pansy sprang auf und ihr Körper bebte vor Entrüstung. „Du bist so ein Idiot, Draco Malfoy!", schleuderte sie Draco wutentbrannt entgegen, bevor sie in den Mädchenschlafsaal rannte. Millicent, eine bullige Slytherin, sah Jocelyn mit verengten Augen an, bevor sie Pansy eilig hinterherlief.
Blaise prustete los. „Noch nicht mal zwei Tage hier und schon machst du Pansy ihren Draco streitig, hm, Jocelyn?"
Lorcan, der gerade den Gemeinschaftsraum betreten hatte, schnaubte abfällig. „Ich denke kaum, dass sich Draco mit Abschaum wie meiner Schwester einlassen würde, oder?", er klopfte Draco kumpelhaft auf die Schulter und lächelte höhnisch in ihre Richtung. Jocelyn erhob sich ruckartig und ging nun ebenfalls in Richtung Schlafsaal, nicht ohne ihren Bruder im Vorbeigehen wütend anzurempeln.Wie durch ein Wunder jagte ihr Pansy in der Nacht keinen Fluch auf den Hals, obwohl Jocelyn schon halb damit gerechnet hatte, am nächsten Morgen mit lauter Furunkeln im Gesicht oder ähnlichem aufzuwachen. Doch als sie morgens die Augen aufschlug, war sie alleine im Schlafsaal. Hastig richtete sie sich in ihrem Bett auf und warf einen Blick auf ihren Wecker. Sie sah, dass sie in einer Viertelstunde in Zaubertränke sein musste. Oh, Merlin! Wenn sie wieder zu spät kam, würde Snape sie erwürgen. In Windeseile sprang sie aus ihrem Bett und riss sich den Pyjama vom Körper, um hastig in ihre Schuluniform zu schlüpfen. Sie ging einmal kurz mit der Bürste durch ihre roten Locken und band sie dann zu einem unordentlichen Zopf zusammen. Sie rannte ins Badezimmer und putzte sich hektisch die Zähne und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Dann lief sie zurück in den Schlafsaal, wobei sie beinahe über irgendwelche Schuhe stolperte, die auf dem Boden herumlagen. Fluchend erlangte sie gerade so ihr Gleichgewicht wieder und schnappte sich ihre Schultasche. Sie hetzte durch den Kerker und erreichte das Zaubertränke-Klassenzimmer gerade noch rechtzeitig. Sie betrat hinter Parvati den Raum und ging zu ihrem Platz. Atemlos ließ sie sich darauf fallen und wartete, bis sich ihr Herzschlag wieder beruhigt hatte. Snape verkündete unfreundlich, dass er jetzt die Hausaufgaben kontrollieren würde, und Jocelyn suchte in ihrer Tasche danach. Doch zu ihrem Erschrecken musste sie erkennen, dass sie nicht da waren. Dabei hatte sie sie gestern extra noch eingepackt! Sie wandte sich abrupt nach hinten und sah Pansy mit schmalen Augen an. Diese lächelte ihr triumphierend ins Gesicht. Diese Schlange!, dachte Jocelyn kochend vor Wut. Mit Sicherheit war es auch ihre Schuld, dass ihr Wecker nicht geklingelt hatte!
„Ihre Hausaufgaben!", Jocelyn fuhr erschrocken herum und sah Snape vor ihrem Tisch stehen.
„Ich habe sie nicht.", sagte sie mit mühsam beherrschter Stimme.
In Snapes schwarze Augen trat ein beunruhigendes Funkeln. „Soso, sie haben sie nicht?", wiederholte er langsam. Jocelyn presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. „Nachsitzen!", donnerte Snape im nächsten Augenblick. Pansy begann hämisch zu kichern und Jocelyn musste sich beherrschen, um nicht von ihrem Stuhl aufzuspringen und ihr an die Gurgel zu gehen. Snape ging weiter und es sah aus, als hätte sich seine Laune rapide gebessert. Der Schultag verging schleichend langsam und Jocelyn schleppte sich lustlos von einer Unterrichtstunde zur nächsten. Als sie schließlich nach der letzten Stunde – Verwandlung – den Klassenraum verließ, war ihre Laune auf den Nullpunkt gesunken. Sie war kurz davor, aus der Haut zu fahren, als Pansy an ihr vorbeilief und ihr voller Häme viel Spaß beim Nachsitzen wünschte.
„Na, warte, du kleine Schlange...", murmelte sie hasserfüllt vor sich hin. Da vernahm sie hinter sich ein amüsiertes Lachen.
Sie drehte den Kopf und sah Blaise, der zu ihr aufholte und nun neben ihr lief. „Tja, ich hätte dir gleich sagen können, dass man sich lieber nicht mit Pansy anlegt.", sagte er feixend.
„Dafür wird sie büßen.", murmelte Jocelyn düster. Blaise grinste breit. „Wie lauten deine Rachepläne? Wenn sie gut sind, helfe ich dir vielleicht."
„Schön, dass dich das Ganze so amüsiert.", merkte Jocelyn gereizt an.
„Also?", fragte er mit ungetrübt guter Laune.
Jocelyn verdrehte genervt die Augen. „Keine Ahnung, ihr im Schlaf Furunkel ins Gesicht hexen oder ihre Haare grün färben?", schlug sie schulterzuckend vor.
Blaise prustete los. „Mein Gott, du hast wirklich keine Ahnung, wie man sich richtig rächt!", stellte er fest, als er sich wieder beruhigt hatte.
„Was wären deine Vorschläge?" Ein merkwürdiges Funkeln trat in seine Augen und sie fügte mit hochgezogenen Brauen hinzu: „Okay, ich glaube, ich will's gar nicht wissen."
Sie hatten inzwischen den Kerker betreten und Jocelyn wandte sich nun seufzend in Richtung von Snapes Klassenzimmer. „Hey, Jocelyn", rief Blaise und Jocelyn wandte sich fragend zu ihm um. „Glaub mir, du willst es wissen. Nachher, okay?"
Sie schüttelte mit einem leichten Grinsen den Kopf und wurde plötzlich grob angerempelt.
„Steh hier nicht im Weg herum, Fortescue.", zischte Draco. Sie starrte ihn verständnislos an, aber er schenkte ihr nur einen verächtlichen Blick und lief weiter.
„Was hat der denn für ein Problem?", sprach Jocelyn ihre Gedanken ausversehen laut aus. „Keine Ahnung.", lächelte Blaise, aber sein Lächeln war etwas zu glatt. Stirnrunzelnd machte Jocelyn sich auf den Weg zum Nachsitzen.
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Burning Darkness
Fanfiction„Vertraust du mir?" Jocelyn drehte den Kopf, um Draco anzuschauen und ein aufgeregtes Zittern überkam sie, als sie erfolglos versuchte, den unbekannten Ausdruck auf seinem Gesicht zu entziffern. „Ja", flüsterte sie schließlich. Er verzog den Mund...