Schuld und Unschuld

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Spätestens zum Abendessen in der Großen Halle hatte sich die Nachricht, dass Ginny im Krankenflügel lag, wie ein Lauffeuer ausgebreitet. Auch dass Jocelyn und Draco sie gefunden hatten, sprach sich schnell herum. Die Slytherins, wie konnte es auch anders sein, waren mehr belustigt als mitleidig. „Warst du das, Draco? Hast du die kleine Weasley verflucht?", gluckste Montague. „Natürlich nicht!", fuhr Jocelyn ihn an, bevor Draco die Möglichkeit hatte, ihm zu antworten.
„Wieso nicht? Hätte doch gut sein können. Die Weasleys sind doch allesamt Blutsverräter."
„Ach, dann denkst du also, dass sie bekommen hat, was sie verdient?", zischte Jocelyn mit verengten Augen.
„Was regst du dich so auf, Fortescue?", fragte Montague mit hochgezogenen Augenbrauen. „Sie ist doch nur eine Gryffindor."
Jocelyn wandte sich zähneknirschend von ihm ab und bemerkte dabei, dass Lorcan ihnen zugehört hatte. Ein seltsamer Ausdruck lag in seinen Augen, aber bevor sie ihn erfassen konnte, senkte er den Blick auf seinen Teller.
Während die Slytherins sich an der Sache belustigten, schienen die Gryffindors vor Wut zu brodeln. Jocelyn fing immer wieder hasserfüllte Blicke von ihnen auf und dem spöttischen Ausdruck in Dracos Gesicht nach, schien es ihm nicht anders zu gehen. Doch erst als sie nach dem Essen aus der Halle liefen, wurde ihr die Frage nach dem Warum beantwortet. „Ganz miese Nummer, Fortescue. Ich wusste ja schon, dass du bei Weitem nicht so nett bist, wie du immer tust, aber so etwas Eiskaltes hätte nicht mal ich dir zugetraut.", zischte Fred ihr zu. Jocelyn wandte überrumpelt den Kopf und sah sich dem feindseligen Blick der Zwillinge gegenüber. „Wovon redet ihr?", fragte sie verständnislos. „Ich weiß genau, dass du und Malfoy Ginny verhext haben. Und danach hat Snape das Ganze vertuscht, der lässt euch Slytherins doch sowieso alles durchgehen!"
„Das werdet ihr sowas von bereuen, das sag' ich euch!", Ron war hinter den Zwillingen aufgetaucht, mit vor Wut rotem Gesicht.
„Nur damit ich das richtig sehe", mischte Draco sich mit gelangweilter Stimme ein. „Du drohst uns, Wiesel?"
„Ganz richtig, Malfoy.", grollte Ron. Hermine, die neben ihm stand, tätschelte beruhigend seinen Arm. Ihr Gesichtsausdruck war ähnlich feindselig wie der von Fred und George, während aus Harrys Gesicht pure Enttäuschung herauszulesen war.
Jocelyn blinzelte sprachlos, die ganze Situation kam ihr völlig surreal vor, vor allem, weil sie und Draco diejenigen waren, die für Ginny Hilfe geholt hatten. Dracos Miene sprach Bände: Er schien bereits zu bereuen, der Gryffindor geholfen zu haben.
„Ist das nicht ein bisschen zu einfach, direkt uns zu verdächtigen? Nur weil wir diejenige waren, die Snape verständigt haben, heißt das noch lange nicht, dass wir Ginny verhext haben!", sagte Jocelyn und sah reihum die Gryffindors an.
„Ja, klar, Fortescue, tu' nur wieder auf unschuldig, aber diese Masche zieht bei uns nicht!", fauchte Seamus, der gerade dazu gekommen war.
Inzwischen zogen sie einige Aufmerksamkeit auf sich und die Schüler blieben stehen, um zu schauen, was los war, was einen regelrechten Tumult auslöste. „Lassen Sie mich durch!", hörte Jocelyn plötzlich Professor McGonagalls herrische Stimme. Wenig später hatte sie sich zu ihnen durchgekämpft und fragte streng: „Was ist hier los?"
„Die beiden haben Ginny verhext!", brach es aus Ron hervor.
„Hast du auch noch etwas anderes drauf, Wiesel? Diese ständigen Wiederholungen ermüden mich.", sagte Draco gelassen.
Da verlor Ron die Fassung und stürzte sich auf ihn. Er versuchte, Draco zu würgen, aber dessen Hand schoss blitzschnell vor und schloss sich seinerseits um Rons Hals. „Wag es nicht.", zischte er und sah ihn mit zornig funkelnden Augen an, während Ron gegen ihn ankämpfte.
„Mister Malfoy!", sagte McGonagall scharf. Dracos Mundwinkel zuckten spöttisch und er ließ Ron so abrupt los, dass er nach hinten stolperte. Sofort wollte er sich wieder auf ihn stürzen, aber McGonagall bekam ihn am Arm zu fassen und befahl mit entschiedener Stimme: „Aufhören!"
„Wegen denen liegt Ginny jetzt im Krankenflügel!", rief Fred wütend aus.
Professor McGonagall beachtete ihn nicht. „Sie, Sie und Sie: Mitkommen!", beschied sie stattdessen und zeigte nacheinander auf Jocelyn, Draco und Ron. Jocelyn runzelte wütend die Stirn, Ron wirkte kleinlaut und Draco...belustigt. Sie warf ihm einen verständnislosen Blick zu, doch er grinste nur. Hinter ihnen ging ein Raunen durch die Menge und McGonagall wandte sich um.
„Gehen Sie in Ihre Schlafsäle!", rief sie den gaffenden Schülern gereizt zu. Dann eilte sie voraus zu ihrem Büro, während Ron, Draco und Jocelyn ihr folgten. Letztere fühlte sich kein bisschen weniger gereizt als Professor McGonagall; sie war müde und wollte nichts mehr anderes, als in ihr warmes Bett im Schlafsaal der Slytherins zu kriechen, doch stattdessen musste sie nun hinter McGonagall durch die kühlen Flure irren. Langsam verstand sie Draco: Die Gryffindors machten es ihr immer schwerer sie zu mögen.
„Das ist doch total bescheuert! Meinst du, sie tut uns wirklich verdächtigen?", flüsterte sie dem weißblonden Slytherin zu, der mit gelassener Miene neben ihr herlief.
„Wer weiß schon, was in dem Kopf der alten Fledermaus vorgeht.", erwiderte Draco und zuckte die Schultern.
„Siehst du jetzt, was ich meine?", er legte den Arm um ihre Taille und zog sie zu sich. Mit vergnügt funkelnden Augen beugte er sich zu ihr herunter und flüsterte: „Sei froh, dass du nicht mehr bei diesen hirnrissigen Idioten bist. Du bist besser dran als Slytherin."
„Und das hat ja auch gar nichts damit zu tun, dass du da bist?", grinste sie schelmisch.
„Das ist nur ein weiterer Vorteil, den du nicht leugnen kannst.", sagte er feixend und drehte den Kopf, um ihr ein Kuss auf das Haar zu geben. Jocelyn merkte, dass sie über beide Backen grinste und versuchte hastig, ihre Miene wieder dem Ernst der Lage anzupassen. McGonagall hatte sie inzwischen in den siebten Stock bugsiert und Jocelyn wurde klar, dass sie sie nicht wie angenommen zu ihrem, sondern zu Dumbledores Büro brachte. Jocelyn begann nervös auf ihrer Unterlippe herumzukauen. „Professor McGonagall, Sie denken doch nicht wirklich...", entwich es ihr, aber die grauhaarige Professorin hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. Sie standen nun vor dem Wasserspeier, der den Eingang zu Dumbledores Büro bewachte und McGonagall sagte: „Karamellbonbon.", worauf er beiseite glitt.
Jocelyn warf Draco einen Seitenblick zu, den er mit hochgezogenen Augenbrauen erwiderte. Schon wieder musste sie grinsen, aber je höher sie die Treppe brachte, desto weniger wurde ihr nach Grinsen zu Mute. Als McGonagall gegen die Tür des Schulleiterbüros klopfte, knetete Jocelyn nervös ihre Hände, bis Draco eine davon packte und mit seiner verschränkte. Ertappt blickte sie ihn an und sah, dass er belustigt lächelte.
„Herein", erklang in diesem Moment Dumbledores Stimme und McGonagall öffnete die Tür. Nacheinander traten sie ein und Jocelyn blickte zu dem Schulleiter, der mit höflichem Lächeln hinter seinem Schreibtisch hockte. „Ah, wie schön, dass ihr die Zeit finden konntet, mir einen Besuch abzustatten.", sagte er und schaute sie und Draco an. Jocelyn runzelte verwundert die Stirn, da sprach Dumbledore schon weiter: „Nun, hat es einen Grund, dass Mister Weasley auch mitgekommen ist?"
Professor McGonagall räusperte sich. „Der junge Mister Weasley ist der Überzeugung, zu wissen, wer seine Schwester verflucht hat."
Bevor Dumbledore nachfragen konnte, platzte Ron heraus: „Die beiden waren es, Professor!"
„Und was bringt dich zu der Annahme, wenn ich fragen darf?", fragte Dumbledore höflich. „Sie...sie...", Ron fing vor Entrüstung an zu stottern. „Sie sind Slytherins! Sie hassen alle Gryffindors und...und sie sind diejenigen, die Ginny gefunden haben, also was sagt ihnen, dass sie es nicht waren, die sie verhext haben!"
„Aber denkst du nicht, dass es etwas engstirnig wäre, sie nur aufgrund ihres Hauses zu verdächtigen?" „Es ist ja nicht nur deswegen.", protestierte Ron schwach. Draco stand die Verachtung deutlich ins Gesicht geschrieben. „Du hast also irgendwelche Beweise?", hakte Dumbledore unverändert höflich nach. Ron schwieg und zog eine finstere Miene. „Nein.", murmelte er schließlich.
„Ich kann verstehen, dass du einen Schuldigen finden willst für das, was deiner Schwester zugestoßen ist, aber blinde Anschuldigungen bringen uns auch nicht weiter.", sagte Dumbledore sanft. Er blickte zu McGonagall und die verstand zugleich.
„Kommen Sie, Mister Weasley, ich begleite Sie noch hinaus.", sagte sie und legte Ron eine Hand auf den Rücken. Widerwillig ließ dieser sich hinaus bugsieren, jedoch nicht, ohne Jocelyn und Draco noch einmal einen finsteren Blick zuzuwerfen. Als die Tür hinter den beiden zugefallen war, wandte Dumbledore sich an die zwei Slytherins. Einen Moment musterte er sie nachdenklich. Es war nur zu überdeutlich, dass sie in den letzten Monaten eine enge Bindung zueinander aufgebaut hatten. Sie standen so dicht nebeneinander, dass sich ihre Arme berührten, und aus den Blicken, die die beiden getauscht hatten, seit sie sein Büro betreten hatten, konnte Dumbledore eine große Vertrautheit herauslesen. Aber dies war ihm spätestens klar geworden, als Slughorn ihm von der Szene erzählt hatte, die sich letztlich in seinem Unterricht zwischen ihnen abgespielt hatte. Dumbledore gluckste vergnügt bei dem Gedanken daran. Doch dann wandte er sich wieder der aktuellen Situation zu und räusperte sich einvernehmlich. „Ich wollte mit euch beiden sprechen, da es mir von großer Bedeutung wäre, genau zu wissen, wie ihr die junge Mrs. Weasley vorgefunden habt."
Jocelyn tauschte einen kurzen Blick mit Draco und kam schließlich zu dem Entschluss, dass er ihr das Reden überlassen wollte. „Na ja, wir waren gerade auf den Weg zurück zum Schloss, als wir sie auf einmal da liegen sahen. Wir sind zu ihr hin und dann hat Draco bemerkt, dass sie wohl unter einem Fluch steht, da ihre Lider und Fingerspitzen gezuckt haben und sie offensichtlich große Schmerzen hatte. Er ist dann zum Schloss gelaufen und hat Professor Snape geholt, während ich bei Ginny geblieben bin.", sie verstummte und blickte zu Professor Dumbledore, der, die Fingerspitzen an die Schläfen gelegt, tief in Gedanken versunken schien. „Haben Sie einen Umschlag bei ihr bemerkt?", fragte er schließlich unvermittelt.
„Einen Umschlag?", wiederholte Jocelyn. Im selben Moment kam ihr die schwache Erinnerung von etwas, das neben Ginny im Schnee gelegen hatte, in den Sinn, und sie sagte nachdenklich: „Doch, da lag irgendetwas bei ihr, ich glaube schon, dass es ein Umschlag war. Das war sicherlich der, von dem Harry, Ron und Hermine unbedingt wissen wollten, was drin war!", fügte sie dann einer plötzlich Eingebung folgend hinzu. Dumbledore sah sie aufmerksam an und Jocelyn erklärte: „Ginny wollte ihn, glaube ich, jemandem bringen, da sie dauernd davon redete, zurück in Schloss zu müssen. Wenn ich genau überlege, hat sie sich schon etwas seltsam benommen, beinahe so, als ob..."
„Als ob sie unter dem Imperius stehen würde?", vollendete Dumbledore den Satz für sie. Sie nickte langsam. „In Ordnung. Vielen Dank, Sie haben mir sehr geholfen.", sagte Dumbledore abgelenkt. Er stand auf und ging zu seinem Schrank, wo er eine flache Schale herausholte, in der sich eine klare, leuchtende Flüssigkeit befand, und brachte sie zu seinem Schreibtisch. Jocelyn und Draco gingen zur Tür und verließen Dumbledores Büro, was dieser nicht einmal mehr mitzubekommen schien. Als sie hintereinander die Treppe hinunterliefen, grübelte Jocelyn über Dumbledores Worte nach. Wer konnte Ginny mit einem Imperiusfluch belegt haben? Und was hatte der- oder diejenige damit bezwecken wollen? Das Schloss war menschenleer, alle waren bereits in ihren Gemeinschaftsräumen, und ihre Schritte hallten in dem großen Gemäuer gespenstisch laut wider. Als sie sich jedoch dem Slytherin- Gemeinschaftsraum näherten, drang ihnen lautes Stimmengewirr und Gelächter entgegen. Jocelyn stöhnte auf. „Montague tut doch nicht schon wieder eine Party schmeißen, oder?"
Draco zuckte die Schultern. „Wenn, dann sollte ich dich besser von dem Feuerwhisky fern halten. Oder...wenn ich so überlege, sollte ich das vielleicht lieber doch nicht.", sagte er grinsend. Sie schob schmollend die Unterlippe vor und knuffte ihn, was ihm zum Lachen brachte. Sie sagte das Passwort und die Öffnung schwang auf. Als sie hindurch kletterten, erklang lautes Gejohle und schon im nächsten Moment waren sie von den Slytherins umgeben, die sie wild durcheinander redend bestürmten. Jocelyn blinzelte überrumpelt. „Herzlichen Glückwünsch!", rief ein Fünftklässler ihr zu, „Gut gemacht!", grölte Bullstrode zu Jocelyns völligen Entgeisterung und Montagues laute Stimme übertönte alle anderen: „Wirklich grandios, Fortescue, nach deiner Unschuldsnummer beim Abendessen wäre ich nie drauf gekommen, dass du es warst!"
„Wovon redet ihr überhaupt?", fragte Draco entnervt.
„Sag bloß, du hast es auch nicht gewusst!", sagte Nott ungläubig. „Was gewusst?", blaffte Jocelyn, der langsam die Geduld ausging. „Komm schon, du kannst aufhören damit, ein auf unschuldig zu tun.", gluckste Montague. „Die kleine Weasley ist aufgewacht."
„Und?", fragte sie ungeduldig. „Wie begriffsstutzig bist du?", ätzte Pansy, die mit verschränkten Armen abseits der anderen stand, und sie mit üblich giftiger Miene anblickte. „Sie hat gesagt, dass sie sich daran erinnern kann, dass du sie verhext hast." „Was?", entwich es Jocelyn ungläubig. „Das kann nicht sein!"
Montague schien sich bestens zu amüsieren. „Dachtest du echt, dass sie dicht hält?", sagte er belustigt. „Was genau hat sie gesagt?", wollte Jocelyn immer noch fassungslos wissen. „Sie hat gesagt, dass das letzte, an das sie sich erinnern könnte, der Blick in blassblaue Augen wäre. Deine Augen.", feixte Bullstrode. Jocelyn, der in diesem Augenblick etwas klar wurde, sah sich hektisch im Gemeinschaftsraum um, doch wie erwartet fand sie nicht, wen sie suchte. „Wo ist mein Bruder?", fragte sie fieberhaft in die Runde.
„Der ist vor einigen Minuten rausgegangen. Hatte es ziemlich eilig.", sagte Bullstrode schulterzuckend. Jocelyn spürte, wie ein eisiges Gefühl von Vorahnung in ihr hochkroch.

Ginny drehte sich unruhig in ihrem Bett im Krankenflügel umher. Obwohl Madam Pomfrey ihr einen leichten Schlaftrank verabreicht hatte, fühlte sie sich immer noch hellwach. In ihrem Kopf herrschte ein einziges Durcheinander. Neben der Unruhe - wann konnte sie wohl wieder zum Unterricht gehen? - und der Ratlosigkeit - waren es wirklich Jocelyns Augen, an die sie sich erinnerte? -, war es vor allem Wut, die ihr Innerstes erfüllte. Wut darüber, dass es erneut jemandem gelungen war, sie zu einer Marionette zu machen, die blindlings Befehle ausführte und die keinen eigenen Willen hatte. Genau wie in ihrem ersten Schuljahr, als Riddle über sein altes Tagebuch Besitz von ihr ergriffen hatte, fühlte sie sich außerdem schrecklich hilflos. Nicht sicher zu wissen, wer ihr das angetan hatte, machte die ganze Sache nur noch schlimmer. Unruhig warf sie sich auf den Rücken und starrte an die hohe Decke des Krankenflügels, der außer ihr vollkommen leer war. Anscheinend war nur sie so dumm, sich verhexen zu lassen, dachte Ginny finster. In ihre düsteren Gedanken versunken, nahm sie die Schritte erst spät wahr. Erst, als sich die Klinke der Tür bewegte, die in den Krankenflügel führte, schreckte sie auf. Jemand kam herein, aber da der Krankenflügel bis auf den Teil, der vom Mondlicht beleuchtet wurde, beinahe völlig im Dunkeln lag, konnte sie nicht sofort erkennen, wer es war. Dennoch war sie in sofortiger Alarmbereitschaft. Sie setzte sich abrupt auf und tastete nach ihrem Zauberstab, der neben ihr auf dem Nachtisch lag, aber kaum hatte sie ihn in der Hand, flüsterte der Eindringling: „Expelliarmus!", und ihr Stab wurde ihr gegen ihren Willen aus der Hand gerissen. Die Gestalt fing den Zauberstab lässig auf und trat in das Licht des Mondes, sodass sie das erste Mal sehen konnte, wer es war. Sie zog scharf die Luft ein, als sie in Lorcan Fortescues blassblaue Augen blickte und ihr wurde schlagartig klar, dass es sein Gesicht gewesen war, an das sie sich erinnern konnte. Seine Mundwinkel zuckten spöttisch und Ginny verfluchte ihre eigene Dummheit. „Warum?", fragte sie und war für einen Moment stolz darauf, wie gefasst sie klang. „Warum was?", sagte er mit einer erstaunlich weichen Stimme, die so gar nicht zu seinem harten Gesichtsausdruck passte. Er kam näher und Ginny rutschte unwillkürlich in ihrem Bett zurück. „Warum hast du mich verflucht?", fragte sie mit gepresster Stimme.
„Ich wollte nicht dich verfluchen, du dummes Mädchen.", sagte er mit seiner irritierend samtenen Stimme. „Nenn mich nicht dumm!", brauste Ginny auf, bevor sie sich zurückhalten konnte. An dem Glitzern in seinen kalten Augen erkannte sie, dass ihm die ganze Sache Spaß zu machen begann. Er kam noch näher und beugte sich so dicht zu ihr herunter, dass sie seinen warmen Atem auf ihrer Wange spüren konnte. Ginnys Blick war wachsam auf seinen Zauberstab gerichtet, den er locker in seiner linken Hand hielt, während er hauchte: „Ich kann tun, was immer ich will. Oder siehst du etwa irgendjemand, der mich daran hindern könnte?"
Er richtete sich leise lachend wieder auf und Ginny lief ein kalter Schauer über den Rücken. „Wen wolltest du denn dann verfluchen?", fragte sie und inzwischen hatte ihre Stimme nichts mehr Festes oder Gefasstes an sich. „Dumbledore.", erwiderte Lorcan knapp. Ginny sah ihn ungläubig an. „Gut, gut, ich gebe zu, die Idee war nicht die Beste, aber wie sagt man so schön- ich übe noch."
„Wieso?", fragte sie fassungslos. Lorcan fing an, neben ihrem Bett auf und ab zu laufen, während er seinen Zauberstab in den Händen drehte. Ginny sah, dass er ihren locker in die Tasche seines Umhangs gesteckt hatte und überlegte, ob sie es schaffen konnte, ihn wiederzubekommen. „Ich habe...Befehle, die ich ausführen muss.", erwiderte er schließlich.
„Von Voldemort?", fragte Ginny kalt und sah zufrieden, dass er zusammenzuckte. „Sag seinen Namen nicht!", zischte er und funkelte sie mit seinen überirdisch hellen Augen an. „Dann bist du also einer seiner Marionetten.", sagte Ginny, die langsam wieder mutiger wurde.
Lorcan blieb stehen und blickte mit verengten Augen auf sie hinunter. „Sei lieber vorsichtig mit deiner Wortwahl, kleines Wieselmädchen." Sie erwiderte seinen Blick nicht minder finster. „Ich denke, es wird Zeit.", sagte Lorcan und warf einen Blick zur Tür.
„Du wirst damit nicht davonkommen! Sie werden herausfinden, dass du es warst!", sagte Ginny hastig. „Womit werde ich nicht davon kommen?", grinste der Slytherin hinterhältig. Plötzlich hörten sie draußen eilige Schritte, die sich dem Krankensaal näherten, und Lorcan richtete blitzschnell seinen Zauberstab auf sie. Ginny hatte keine Zeit mehr, zu reagieren. „Obliviate.", zischte Lorcan. Im selben Moment wurde die Tür zum Krankenflügel aufgerissen und er wirbelte herum und feuerte blindlings ein „Petrificus Totalus!", auf die Person, die in den Raum gestürzt kam. Sie fiel ohne einen Ton um und Lorcan lief gemächlich auf sie zu. „Na, sieh' einer an.", murmelte er, als er seine Schwester erblickte.

Burning DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt