Fionas Erinnerungen

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Jocelyn spürte, wie alles Blut aus ihrem Gesicht wich. Sie wünschte, sie hätte irgendetwas oder irgendjemand, an dem sie sich nun festhalten könnte, da sie das Gefühl hatte, ohne Halt aus tiefster Höhe herabzustürzen. Sie wünschte sich, dass Draco nun hier wäre, sie nach seiner Hand greifen und sich daran festhalten könnte. Doch sie war auf sich allein gestellt.
Sie spürte Dumbledores Blick auf sich und als sie hochsah, erkannte sie in seinen klugen, hellen Augen hinter der halbmondförmigen Brille, dass er genau wusste, wie sie sich nun fühlte. Jocelyn wandte den Kopf und sah Harry an. Der Blick in seine grünen Augen, die sie stumm musterten, beruhigte sie auf merkwürdige Art und Weise. Sie atmete tief durch und nickte.
Dumbledore stand auf, umfasste das Denkarium mit seinen beiden Händen, der gesunden und der verbrannten, bevor er schließlich die Phiole öffnete und ihren Inhalt in das Becken schüttete. 
Während Jocelyn in das Becken sah, begann sich die Oberfläche der seltsamen Flüssigkeit darin zu kräuseln. 
Dumbledore bedeutete ihnen beiden, dass sie aufstehen sollten. Harry erhob sich und Jocelyn tat es ihm mit zitternden Knien gleich. Sie hielt sich an der Kante von Dumbledores Schreibtisch fest, während alles in ihr schrie, dass sie das nicht tun wollte.
Doch zur Überraschung beider, Harry und Dumbledore, trat Jocelyn nun unvermittelt vor und senkte den Kopf, bis ihre Nasenspitze die Oberfläche der Erinnerung berührte.
Sofort spürte sie, wie sie nach vorne gezogen wurde. Scheinbar körperlos flog sie durch Schwärze, bis sie auf einmal einen winzigen Lichtpunkt vor sich sah, der schnell größer wurde.
Bevor sie richtig verstehen konnte, was passiert war, fand sich Jocelyn in einem Raum wieder, der ihr so schmerzlich vertraut war, dass sie auf keuchte. Fiona saß wie immer in ihrem Lieblingssessel neben dem Kamin und in ihren Händen hielt sie ein aufgeschlagenes Buch. Jocelyn konnte den Blick nicht von ihrer Tante wenden. Wie ferngesteuert lief sie auf sie zu. 
„Fiona!“, rief sie, obwohl ein Teil von ihr wusste, dass ihre Tante sie niemals hören würde, hier, in ihrer Erinnerung, die schon längst Vergangenheit geworden war.
Sie registrierte abwesend, dass neben ihr Harry und Dumbledore aufgetaucht waren, doch Jocelyn blickte unverwandt Fiona an. Sie ging nun vor ihr in die Knie. Wie so öfters trug ihre Tante ein langen, wallenden Rock- dieses Mal ein besonders prächtiges Exemplar, orange mit fliederfarbenen Blumen darauf. Fiona blickte unvermittelt von ihrem Buch auf und einen lächerlichen Augenblick lang glaubte Jocelyn, dass ihre Tante sie doch sehen konnte, aber stattdessen blickten ihre klaren, dunkelblauen Augen an ihr vorbei zur Tür. Sie wirkte so viel jünger, ihr Gesicht merkwürdig glatt. Nur ihre Augen waren dieselben. 
Sie schauten besorgt.
Erst jetzt nahm Jocelyn die Geräusche an der Tür wahr.
Die Szene erinnerte sie mit Schrecken an den Moment, in dem ihre Eltern unerwartet vor der Haustür gestanden und nur wenige Minuten später ihre Tante getötet hatten. 
In diesem Augenblick passierten zwei Dinge gleichzeitig: Fiona sprang auf, den Zauberstab im Anschlag und ein lärmender, heulender Ton ging los. Es war offensichtlich, dass gerade jemand die Schutzzauber durchbrach, die Fiona um ihr Haus gelegt haben musste.
Fiona blickte sich in Eile in dem Wohnzimmer um und war offenbar dabei, die wichtigsten Dinge zusammenzusammeln, als plötzlich ein leuchtendes Wesen in Gestalt eines Fuchses durch die geschlossene Haustür brach. 
Fiona, bitte höre mich an. Ich bin in friedvoller Absicht hier. Ich brauche deine Hilfe. Es geht um mein Kind. Bitte.
Die Stimme war körperlos. Sie klang fürchterlich gequält. Jocelyn glaubte, die Stimme zu erkennen, doch sie war zu erschrocken, um klar denken zu können.
„Geh!“, schrie sie Fiona zu. „Bring dich in Sicherheit!“ 
Eine schreckliche Vorahnung hatte sich in Jocelyn breit gemacht.
Fiona blickte erneut durch sie hindurch und in ihren klaren, dunkelblauen Augen war ihr Zwiespalt zu erkennen. Schließlich senkte sie sekundenlang die Lider und mit einer raschen Bewegung ihres Zauberstabs verstummte der heulende Ton.
Eine weitere Bewegung ihres Zauberstabs ließ die Haustür aufspringen. 
Jocelyn entwich ein Keuchen, als sie sah, wer da über die Türschwelle stolperte und sich hektisch noch einmal umblickte, bevor sie die Tür hinter sich schloss.
Expelliarmus!“, Fionas feste Stimme ließ die Besucherin zusammenzucken und mit einem Ruck wurde ihr der Zauberstab entrissen. Fiona fing ihn in der Luft auf und schenkte ihrer Schwester dann ein schmales Lächeln.
„Verzeihe mir meine Vorsicht, aber du verstehst sicher, dass ich dir nicht mehr trauen kann, seit du dich den Todessern angeschlossen hast.“
Molana wirkte derart verändert, dass Jocelyn sie mit offenem Mund anstarrte.
Die langen, roten Locken ihrer Mutter waren zerzaust und ihr schmales Gesicht darunter kreidebleich und erschrocken. Die dunklen Augen, die sonst immer kalt und herablassend wirkten, waren voller Angst und glänzten tränennass.
„Oh, Fiona.“, stieß sie hervor und zu Jocelyns großem Unglauben ging sie vor ihrer Tante auf die Knie und fing an zu schluchzen.
Das Gesicht ihrer Tante war ausdruckslos, doch Jocelyn sah, wie sie einen zögernden Schritt in Richtung ihrer Schwester machte.
„Ist das eine Falle?“
„Nein.“, Molana blickte zu ihrer älteren Schwester hinauf und ihre Augen schwammen in Tränen. „Ich schwöre dir, Fiona, ich bin allein hier. Nie- niemand weiß, dass ich hier bin.“
„Willst du deine Ehe wirklich mit Geheimnissen beginnen?“, Fiona lächelte erneut und in ihren Augen las Jocelyn Bitterkeit.
Molana weinte leise vor sich hin, während sie das Gesicht in ihren Händen vergrub. Irgendwann hob sie den Kopf und sah Fiona mit vor Verzweiflung verzerrter Miene an.
„Bitte, Fiona, du musst mir helfen. Er will mir meinen Jungen nehmen, mein Baby.“
Fiona erwiderte ihren Blick mit der für sie typischen Ruhe, doch Jocelyn, die ihre Tante gut kannte, sah, dass sekundenlang Entsetzen ihre Augen weitete.
„Wovon redest du?“
Über Molanas blasse Wangen flossen immer mehr Tränen. Sie versuchte zu lächeln. 
„Ich bekomme ein Baby, Fiona.“
Fiona wich einige Schritte zurück, bis sie ihren Sessel erreicht hatte. Kraftlos ließ sie sich darauf nieder, Molanas und ihr eigener Zauberstab in ihrem Schoß.
„Der Dunkle Lord…“, ein Schaudern ging durch Molanas zierlichen Körper, „…möchte ihn für sich beanspruchen.“
„Beanspruchen?“, fragte Fiona scharf.
„Er möchte ihn zu einem Horkrux machen.“, stieß Molana hervor und brach danach in unkontrolliertes Schluchzen aus.
Fiona sprang wieder von ihrem Sessel auf, das Gesicht eine Maske des Schreckens.
„Nein!“, erstmals ließ sie zu, dass ihre Schwester ihre wahren Gefühle sehen konnte. „Molana“, flüsterte sie. „Das kannst du nicht zulassen.“
„Welche Wahl habe ich? E-er wird mich zwi-hingen…“, schluchzte Molana.
„Das ist ungeheuerlich, selbst für seine Maßstäbe.“, murmelte Fiona. „Horkruxe…Das ist also, was er vorhat.“
Molana rappelte sich urplötzlich vom Boden auf, das Gesicht vom Weinen verquollen und tränennass. Sie stolperte auf ihre Schwester zu. Sie packte ihre Hände und ihre dunklen Augen waren nun riesengroß und schreckgeweitet. 
„Bitte, Fiona, du musst mir helfen!“
Auf einmal stieg rund um die beiden Frauen weißer Nebel auf, der sie schon bald verschluckte. Plötzlich spürte Jocelyn, wie jemand ihr Handgelenk packte- Harry. Sie wurde aus der Erinnerung hinaus und zurück in die Gegenwart gerissen.
Sie kam mit den Füßen auf dem Boden vor Dumbledores Schreibtisch auf und in der Stille des Büros klang ihr hastiger Atem überlaut. Harry, der wieder neben ihr stand, murmelte: „Alles klar?“
Jocelyn nickte, mehr reflexartig, während sie versuchte, sich wieder zu sammeln. Sie wusste nicht, was sie mehr aufgewühlt hatte- ihre tote Tante wiederzusehen oder Zeuge davon zu werden, wie ihre Mutter – die stolze, kalte und erbarmungslose Todesserin – vor ihr auf dem Boden gekniet hatte, tränenüberströmt. 
Dumbledore, der sich nun mit ernster Miene wieder hinter seinen Schreibtisch setzte, schien genau zu wissen, was in Jocelyn vorging. Seine hellen, klugen Augen musterten sie nachdenklich.
„Was denkst du, Jocelyn?“
Jocelyn tat es Harry gleich und nahm wieder vor Dumbledores Schreibtisch Platz. Sie merkte kaum, dass sie zitterte. 
Immer noch fassungslos schüttelte sie den Kopf.
„Ich kann nicht glauben, dass Molana tatsächlich meine Tante um Hilfe gebeten hat. Sie…sie hat so anders gewirkt. Nicht wie die Frau, die tatenlos daneben gestanden hat, als ihre Schwester von ihrem eigenen Ehemann ermordet wurde.“, Jocelyn hatte einen bitteren Geschmack auf der Zunge und sie sah, wie Harry betroffen den Kopf senkte.
Dumbledore nickte leicht.
„Ich glaube dir, dass das eine Überraschung ist. Doch du siehst- auch in diesem Punkt hat Voldemort wieder einmal unterschätzt, was Menschen aus Liebe zu tun vermögen. In diesem Fall war es die Liebe für ihren Erstgeborenen, die Molana dazu gebracht hat, ihre Schwester um Hilfe zu bitten.“
Jocelyn versuchte, das, was sie gerade gesehen hatte, mit den Erinnerungen an ihre Mutter in Verbindung zu bringen, aber es gelang ihr einfach nicht. Sie schaffte es nicht recht, daran zu glauben, dass ihre Mutter tatsächlich fähig war, zu lieben.
„Was ist dann passiert?“, fragte Harry und räusperte sich.
Dumbledore sah ihn kurz an und meinte dann erneut: „Nun, was denkst du, Jocelyn?“
Diese blickte hinunter auf ihre verschränkten Hände, während sie antwortete: „Fiona wäre vermutlich außerstande gewesen, ihr nicht zu helfen. Ich kenne…kannte sie. Sie war der großherzigste Mensch, der mir je über den Weg gelaufen ist. Ich bin sicher, auch wenn Molana sie tief verletzt hat, dass sie dennoch versucht hat, ihr zu helfen.“
„Damit hast du vollkommen recht.“, erwiderte Dumbledore und drehte mit gerunzelter Stirn die zweite Phiole in seinen Händen. Schließlich blickte er wieder auf. „Leider entschied sich Molana schlussendlich doch dagegen, die Hilfe ihrer Schwester anzunehmen.“
Er stand auf und lief mit wehendem Umhang hinter seinem Schreibtisch auf und ab. Es machte Jocelyn ganz nervös.
„Wieso?“, fragte Harry und Jocelyn war sehr froh, dass er das Reden übernahm, da sie sich wie gelähmt fühlte.
„Nun, ihren Sohn zu retten, hätte für Molana auch bedeutet, ihren Mann aufzugeben, ihre Stellung an der Seite Voldemorts. Sie wäre auf ewig in Ungnade gefallen und gezwungen gewesen, ein Leben auf der Flucht zu führen. Zu diesem Zeitpunkt war Molana bereits zu weit gegangen, als dass sie noch hätte umkehren können. Obgleich sie noch sehr jung gewesen war, hatte sie bereits Furchtbares getan.“
Dumbledore blieb stehen und blickte Jocelyn an. Sie erwiderte den Blick ihres Schulleiters und zauderte, als sie den Ausdruck darin wahrnahm. Er wirkte gequält.
„Die nächste Erinnerung ist wohl der Grund dafür, dass ich es so lange aufgeschoben habe, dir die Wahrheit zu erzählen.“, er atmete gut vernehmlich durch und dieses Anzeichen von Schwäche machte Jocelyn ganz unruhig.
„Die zweite Erinnerung ist der ersten in vielerlei Hinsicht ähnlich. Wieder ist Molana bei ihrer Schwester aufgetaucht, wieder hat sie Fiona um Hilfe gebeten. Zwischen der Erinnerung liegen jedoch ein paar Jahre. Lorcan ist inzwischen schon fünf Jahre alt gewesen und nicht nur das- sie hat bereits ein weiteres Kind geboren- dich, Jocelyn.“
Jocelyn schluckte, doch ihr Mund war so trocken, dass es mehr ein Würgen war.
„Du bist keinesfalls gezwungen, dir diese Erinnerung anzusehen, Jocelyn. Es ist deine Wahl.“, sagte Dumbledore sanft.
Jocelyns Blick flatterte und sie heftete ihn auf die zweite Phiole.
„Was auch immer es ist, es kann nicht schlimmer sein, als mit ansehen zu müssen, wie mein Vater Fiona tötet.“, flüsterte sie beinahe tonlos.
Dumbledore kippte den Inhalt der Phiole in das Denkarium und erneut tauchte Jocelyn als Erstes in Fionas Erinnerung ein.
Dumbledore hatte recht gehabt: Die Szene war beinahe dieselbe wie zuvor. Das gleiche kleine Wohnzimmer und der gleiche Sessel neben dem Kamin, doch Fiona saß nicht darin- stattdessen lief sie unruhig im Zimmer auf und ab. Jocelyn konnte den Blick nicht von ihr wenden. Sie wirkte etwas älter, als in der Erinnerung davor- ein paar feine Fältchen waren um ihre Augen herum entstanden und der ernste Ausdruck, der auf ihrem Gesicht lag, tat sein Übriges.
Draußen tobte ein furchtbares Unwetter. Der Wind peitschte die Äste der Bäume vor dem Haus gegen die Fenster und es klang wie Fingernägel auf einer Tafel. Es schüttete wie aus Eimern.
Jocelyn bekam ein unwirkliches Gefühl, als erneut der Katzenjammer-Zauber losging. Fiona zuckte mit keiner Wimper, es wirkte fast, als hätte sie damit gerechnet. 
Sie machte eine ruckartige Bewegung mit dem Zauberstab und die Haustür schlug donnernd gegen die Wand dahinter. Es war ein unheimliches Bild, das sich Jocelyn bot. Ihre Mutter stand, angeleuchtet von einem Blitz, der grell über den Himmel zuckte, mit weißem, ausdruckslosen Gesicht auf der Türschwelle- an ihrer Hand hielt sie einen kleinen, schmalen Jungen mit dunklen Haaren, der völlig verängstigt wirkte. Fiona hob mit starrer Miene ihren Zauberstab und Jocelyns Mutter schien zu verstehen. Sie machte einige Schritte in das Haus und ließ den Zauberstab vor sich auf den Boden fallen. Erst jetzt bemerkte Jocelyn das Bündel in ihren Armen und einen Augenblick lang glaubte sie, dass ihr Herz vor Schreck stehen bleiben musste. 
Fionas Blick glitt von dem Jungen, zu ebenjenem Bündel und aus ihrem Gesicht war keine Regung abzulesen.
„Schließ bitte die Tür, Molana. Es zieht.“
Etwas zuckte über Molanas weißes, wächsernes Gesicht. Sie ließ den Jungen los und wandte sich um, damit sie die Tür schließen konnte. Es war nun sehr still, jetzt, wo der heulende Wind wieder ausgeschlossen war.
Molana verharrte noch einige Zeit lang vor der Tür, mit dem Rücken zu ihrer Schwester, bevor sie sich wieder zu ihr umwandte.
„Es ist mutig von dir, dass du immer noch in diesem Haus lebst.“, sagte Molana, während ihre großen, blassen Augen starr auf ihrer Schwester lagen, die sich nun wieder einmal in ihren Lieblingssessel hatte sinken lassen.
Fiona hob nur stumm eine Augenbraue. Der Junge, Lorcan, versteckte sich wimmernd hinter Molanas nassem Umhang und kurz zuckte Molanas Blick zu ihm nach unten. Widerwillen, ja, Abscheu, huschte über ihr Gesicht, doch sie schubste ihn nicht von sich.
„Hast du nicht gehört, was ich gemacht habe? Was wir gemacht haben?“, eine grausame Mischung von Stolz und Qual lag in Molanas Augen.
Fiona wandte den Blick von ihrer Schwester ab, als könnte sie es nicht ertragen, sie noch länger anzuschauen.
„Was willst du hier, Molana?“
„Der Dunkle Lord ist gegangen.“, sagte Molana und ihre Stimme zitterte hörbar. „Ich…konnte es erst nicht glauben, aber es ist wahr.“
Nun stand echter Schreck in ihrem Gesicht.
Molanas Finger glitten zu dem obersten Knopf ihres regennassen Umhangs, rissen daran. „Isidor ist bereits gefasst worden. Sie…sie haben ihn mitgenommen.“
Fionas Gesicht war immer noch bar jeder Emotion. 
„Dann sage ich dir lieber gleich, dass mein Haus umstellt ist von Auroren, die nur auf mein Zeichen warten, um dich festzunehmen.“
Molanas Finger erstarrten in der Bewegung und Fiona lächelte freudlos.
Die beiden Schwestern sahen sich sekundenlang an und Molanas Augen schienen irgendetwas in Fionas Gesicht zu suchen.
„Wirst du für sie sorgen?“
Fionas Schweigen wog Tonnen.
Mit langsamen, steifen Schritten ging Molana auf sie zu, wobei sie Lorcans Umarmung ungehalten abschüttelte- wimmernd drückte er sich gegen die Haustür, die Faust auf den Mund gepresst, während seine Augen ängstlich den Bewegungen seiner Mutter folgten.
Auch Fiona hielt ihre Schwester genau im Blick, als sie langsam vor ihr in die Hocke ging, um das Bündel in ihren Armen vor Fionas Füßen auf dem Teppich abzulegen. 
Darin lag ein Kleinkind, etwa drei Jahre alt und mit roten lockigen Haaren. Es schien zu schlafen, die Hände vor dem Gesicht, als würde es sich dahinter verstecken wollen. 
Jocelyn wandte den Blick ab und wich zurück, nicht sicher, ob sie wirklich stark genug für das hier war. Sie bemerkte zum ersten Mal, dass Harry neben ihr stand und sekundenlang hielt sie sich an seinem Anblick fest, bevor Molanas Stimme sie wieder den Kopf drehen ließ.
„Sie ist gerade erst drei Jahre alt geworden. Ich habe sie Jocelyn genannt.“
Fiona schaffte es nicht länger, ihr Gesicht reglos zu halten. Ihr Mund verzog sich gequält.
„Du hast sie wie Mutter genannt?“
Molana blickte hinunter zu dem Bündel auf dem Boden und Jocelyn starrte ihre Mutter an. Noch nie zuvor hatte sie erlebt, wie Molana sie mit so einem Blick angesehen hatte. Er war ihr fremd, genau wie der Ausdruck von Zärtlichkeit in ihren sonst so kalten Augen.
Jocelyns Mund verzerrte sich und sie verspürte den Drang, aufzuschluchzen, aber das war sinnlos. Sie war ein Geist in der Erinnerung ihrer Tante, diese Szene hier war längst Vergangenheit geworden und ihre Mutter würde sie nie mehr mit Liebe im Blick anschauen.
Fiona sah zu Lorcan, der es nicht länger ausgehalten hatte und wimmernd zu seiner Mutter gelaufen war. Er stand nun einige Schritte hinter ihr, in ihrem Schatten verborgen.
„Was ist mit dem Jungen?“, fragte sie beinahe tonlos.
Molana lächelte und Jocelyn dachte, dass sie niemals zuvor ein freudloseres Lächeln gesehen hatte.
„Er ist verloren.“, sagte sie schlicht. „Ertränke ihn, belege ihn mit dem Avada Kedavra oder noch besser- verbrenne ihn. Es spielt keine Rolle.“
Jocelyn wusste nicht, was schlimmer war: Wie Lorcan mit geweiteten Augen dem Gespräch lauschte oder die Gleichgültigkeit in der Stimme ihrer Mutter.
Fiona starrte ihre Schwester an, als würde sie sie gerade zum ersten Mal sehen. Aus ihrem Gesicht war jedes Blut gewichen.

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