Nächtlicher Besucher

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Als sie das nächste Mal die Augen aufschlug, war es stockdunkel im Zimmer. Benommen setzte sie sich auf. Jeder Teil ihres Körpers schmerzte und ihre Wunden, die sie gestern nicht mehr versorgt hatte, spannten und kribbelten unangenehm. Dazu hatte sie rasende Kopfschmerzen. Mit trockenem Mund schleppte sie sich zum Fenster und sah, dass es tiefste Nacht war. Hatte sie den ganzen Tag verschlafen? Sie schlürfte hinüber ins Badezimmer und trank das Wasser direkt aus dem Hahn. Als sie sich wieder aufrichtete, drehte der Raum sich unkontrolliert um sie und sie konnte sich im letzten Moment noch am Waschbeckenrand festheben. Sie begutachtete sich in dem Spiegel, der im Bad hing und zuckte zusammen. Ihr Körper war überseht von blutigen Kratzern und quer über ihren Arm zog sich eine hässliche Wunde, genauso wie über ihren rechten Hüftknochen. Ihre Handgelenke wiesen blaue Flecken auf, dort, wo Dolohow sie gepackt hatte, und sie rieb abwesend darüber. Das einzige, was der Todesser verschont hatte, war ihr Gesicht. 
So ein hübsches kleines Puppengesichtchen. Wäre schade, es zu verschandeln, oder?, schoss ihr wieder Dolohows hämische Stimme in den Kopf. 
Sie schüttelte grob die Erinnerungen daran ab, was er ihr sonst noch zugeflüstert hatte in den Minuten, bevor ihr Bruder sie gerettet hatte und sie ihm hoffnungslos ausgeliefert gewesen war, und ging aus dem Bad. 
Da sie nicht in ihrem Nachthemd nach draußen wollte, zog sie sich hastig eine Jeans und einen Pullover über, bevor sie nach ihrem Zauberstab greifen wollte und abrupt erstarrte. Ihr Zauberstab. Der Schock war so groß, dass sie aufkeuchte. Er musste immer noch in Dolohows Umhangtasche stecken, wo er ihn hin verfrachtet hatte, nachdem er ihn ihr gewaltsam abgenommen hatte. Jocelyn stürzte zu ihrem Bett und zog die Reisetasche darunter hervor. Jocelyn riss sie ungeduldig auf und in der Seitentasche fand sie schließlich, was sie suchte. Sie nahm den Zweiwegespiegel an sich und öffnete ihn. „Lorcan“, wisperte sie. 
Verzweifelt blickte sie in den Spiegel, aber sie sah nur ihr eigenes, blasses Gesicht. Ihr Bruder reagierte nicht auf ihren Ruf. Sie ließ sich auf das Bett fallen und war einen Moment lang völlig von dem Gefühl der Schutzlosigkeit beherrscht. Was sollte sie denn ohne ihren Zauberstab tun?! 
Irgendwann rissen sie ihre immer stärker werdenden Kopfschmerzen und das Pochen ihrer Wunden aus ihrer Hoffnungslosigkeit. Sie raffte sich auf und ging aus ihrem Schlafsaal. Wieder fand sie den Gemeinschaftsaal leer vor und auch auf ihrem Weg zu Madam Pomfrey begegnete ihr niemand. Die mütterliche Krankenschwester eilte direkt auf sie zu, als sie den Krankenflügel betrat. „Meine Güte, du siehst ja gar nicht gut aus! Richtig blass bist du! Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?“, bestürmte sie Jocelyn besorgt und führte sie eilig zu einem der Betten. 
„Ich möchte nur etwas gegen meine Kopfschmerzen.“, murmelte das rothaarige Mädchen, aber Madam Pomfrey überhörte sie und verschwand eilig aus dem Raum.
Wenig später kam sie mit einem Tablett zurück, das sie auf dem Tischchen neben dem Bett abstellte. Sie reichte ihr den Teller voll warmer Suppe, der darauf stand, und Jocelyn aß gehorsam, während Madam Pomfrey ihr einen Trank gegen Schmerzen jeglicher Art zubereitete. 
Schließlich zog Jocelyn vorsichtig ihren Pullover nach oben, damit Madam Pomfrey die zwei offenen Wunden behandeln konnte, und die Schulkrankenschwester schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Was machst du nur, dass du immer so schlimm zugerichtet bist?“
Glücklicherweise verlangte sie keine Antwort auf diese Frage. Jocelyn zog scharf die Luft ein, als Madam Pomfrey die Wunde an ihrem Arm desinfizierte und biss eisern die Zähne zusammen, um nicht vor Schmerz aufzustöhnen. Schließlich tropfte Madam Pomfrey etwas Diptam auf die Wunde, woraufhin sie sich schloss und plötzlich mehrere Tage alt aussah. Als die andere Wunde schließlich auch versorgt war, ließ Madam Pomfrey Jocelyn widerwillig gehen, auch wenn sie so aussah, als hätte sie das Mädchen gerne noch über Nacht da behalten. 
Auch auf dem Rückweg traf sie niemanden an. Sie ging zurück in den Gemeinschaftsraum der Slytherins und überlegte für ein paar Augenblicke, ob sie das Feuer im Kamin entzünden und sich in einer der Sessel setzen sollte, aber der große Raum kam ihr so leer ohne die anderen Schüler vor, dass sie sich dagegen entschied und stattdessen zurück in ihren Schlafsaal lief. Dabei hoffte sie, dass sie Lorcan nun vielleicht erreichen können würde. Die Abwesenheit ihres Zauberstabs machte ihr immer mehr zu schaffen. Sie spürte, dass der Trank, den Madam Pomfrey ihr gegeben hatte, bereits zu wirken begann, da ihre Kopfschmerzen langsam schwächer wurden und einem angenehmen Gefühl von Benommenheit Platz machten. Sie betrat die Treppe zu ihren Schlafsaal und stieß geradewegs gegen jemanden.
„Tut mir leid.“, murmelte sie reflexartig, bis ihr wieder einfiel, dass sie den Schlafsaal im Moment für sich alleine hatte, und sie erschrocken den Kopf hochriss.
Draco. Sie konnte gerade noch einen Blick auf seine umschatteten grauen Augen erhaschen, als er sie auch schon zu sich zog und so fest die Arme um sie schlang, dass sie den Boden unter den Füßen verlor.
Sie japste überrascht auf und hörte ihn zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorstoßen: „Bist. Du. Wahnsinnig?!“
Erst als er sie wieder losließ, kam sie dazu, etwas zu erwidern. „Ehem, warum genau?“, fragte sie überrumpelt, während er sie auf Armeslänge von sich wegschob und sie wütend anblickte.
„Denk mal scharf nach, Fortescue. Warum spazierst du in ein Haus voller Todesser, ohne auch nur auf die Idee zu kommen, mir davon zu erzählen?!“
„Du hättest es mir sowieso nur ausgeredet.“, erwiderte sie grummelnd.
„Zu recht!“, knurrte er und schüttelte sie leicht. „Wie konntest du nur so unglaublich hirnrissig sein?“
„Ich habe mich nicht erwischen lassen, okay? Es wäre alles gut gegangen, wenn nicht auf einmal Dolohow aufgetaucht wäre.“ Ohne ihren Willen schauderte sie, als sie den Namen des Todessers aussprach.
Draco musterte sie scharf. „Was hat er getan? Snape hat es mir nicht sagen wollen.“
„Daher weißt du es also. Professor Snape ist ja schlimmer als jedes Klatschweib.“, murrte Jocelyn und wich seiner Frage mit Bedacht aus.
„Jocelyn“, knurrte Draco warnend. Offenbar hatte er ihren schwächlichen Versuch, ihn abzulenken, mühelos durchschaut.
Sie zuckte die Schultern und bereute es kurz darauf, da immer noch jeder Teil ihres Körpers schmerzte.
Draco griff nach ihrem Handgelenk und schob ihren Ärmel nach oben. Er wusste, nach was er zu suchen hatte: Genau wie sie, hatte er auch schon zu öfters mit dem Cruciatus- Fluch Bekanntschaft gemacht, als dass er nicht wüsste, was für Spuren er hinterließ. Während er die unzähligen kleinen Kratzer auf ihrer Haut und schließlich, als er den anderen Ärmel hochschob, die Wunde entdeckte, die sich quer über ihren rechten Arm zog und die Madam Pomfrey verbunden hatte, fluchte er leise. „Ich hätte ihn umbringen sollen, als er winselnd vor mir gelegen hat, diesen dreckigen Bastard!“
„Er ist tot.“, sagte sie leise. Bilder zuckten vor ihrem inneren Auge auf. Lorcan, der Dolohows Kopf immer und wieder gegen den schwarzen Flügel schlug. Lorcan, der Dolohow am Arm zu dem brennenden Kamin zerrte...Die unglaubliche Wut in seinen blassblauen Augen...
Dracos Stimme riss sie zurück in die Gegenwart: „Du hast ihn umgebracht?“
Sie sah ihn an und schüttelte den Kopf. „Lorcan“, sagte sie lediglich.
Bei der Erwähnung ihres Bruders blitzte eine Gefühlsregung in Dracos Augen auf, aber er gab sich Mühe, sie vor ihr zu verbergen.
„Es war leichtsinnig von mir, Dolohow am Leben zu lassen.“, sagte er finster.
„Nein“, widersprach Jocelyn entschieden. „Du bist kein Mörder. Er wäre es nicht wert gewesen.“
Draco sah auf und einen Moment verlor sie sich in seinen grauen Augen. Sachte berührte er mit den Fingerspitzen ihre Wange und sie lehnte sich in die Berührung. Er trat einen Schritt auf sie zu und ließ die Stirn gegen ihre sinken. Sie schloss die Augen, während sie seinen angenehm warmen Atem auf der Haut spürte. Seine Nähe ließ den Schmerz und den Ekel in ihrem Innerem für einen Moment in den Hintergrund rücken.
„Weißt du, was für Sorgen ich mir gemacht habe?“, murmelte er.
„Wann hat Snape es dir erzählt?“
„Heute Morgen, als ich aus dem Gemeinschaftsraum wollte. Er hat mich quasi dazu gezwungen, dich schlafen zu lassen, anstatt dich direkt zur Rede zu stellen.“, sagte er finster und Jocelyn sagte verwundert: „Was ist nur mit Snape passiert? So rücksichtsvoll kenne ich ihn gar nicht.“
„So ist er auch nur zu uns.“, grinste Draco.
Sie schnaubte. „Unglaublich, anscheinend hat er mich nun auch in den expliziten Kreis seiner Lieblingsschüler gelassen.“
„Vielleicht duldet er dich auch nur, weil er weiß, dass du nicht mehr so schnell von meiner Seite verschwinden wirst. Ein notwendiges Übel sozusagen.“, feixte Draco mit einem frechen Grinsen.
Jocelyn trat mit einem „Pff“ einen Schritt zurück und stieß Draco in die Seite. „Wenn du nicht ruhig bist, wirst du gleich erleben, zu was so ein 'notwendiges Übel' nicht alles in der Lage ist!“
Er lachte auf und fragte mit hochgezogenen Brauen: „Ist das eine Drohung?“
„Eine gut gemeinte Warnung.“
Er schüttelte grinsend den Kopf und zog sie zu sich zurück. „Die Vorstellung, dass du laufender Meter eine ernsthafte Gefahr für mich darstellen könntest, ist lachhaft, Süße“, hauchte er in ihr Ohr und wich lachend aus, als sie ihn erneut knuffen wollen.
Seufzend legte sie den Kopf auf seine Brust und schloss die Augen. Sie wünschte, sie könnten ewig so stehen bleiben. Erst jetzt bemerkte sie, was für eine Last sie seit ihrem Streit mit sich herumgetragen hatte.
„Geht's dir besser?“, fragte sie Draco zögernd.
„Ich...denke schon.“, erwiderte er stockend.
Liebe und Mitgefühl durchfluteten sie. Jocelyn wusste genau, wie schlecht es ihm ging. Ihr war es nach dem Tod ihrer Tante ja nicht anders ergangen. Wie öfters hatte sie ohne Vorwarnung Tränen in den Augen gespürt, wie lange hatte sie das Bild von dem brennenden Zuhause ihrer Tante in ihren Träumen verfolgt. Ja, es war erträglicher geworden mit der Zeit, aber sie würde lügen, wenn sie sagen würde, dass die Leere, die der Tod ihrer Tante in ihrem Leben hinterlassen hatte, sie nicht immer noch manchmal schmerzte.
Sie schloss die Augen und verstärkte den Griff um Dracos Mitte. Sie wusste nicht, wie sie ihm helfen sollte und konnte nur hoffen, dass ihre bloße Gegenwart genügte, um ihm etwas Trost zu spenden.
Eine Erinnerung flackerte in ihrem Kopf auf. „Drei Tage, Jocelyn.“
Sie zuckte zusammen. Bisher hatte sie die Möglichkeit, dass ihr Bruder sie tatsächlich in drei Tagen von hier wegholen würde, erfolgreich verdrängt, aber nun kämpfte sie sich immer mehr an die Oberfläche.
Wie? Wie sollte sie Draco zurücklassen können? Er hatte gerade erst seinen Vater verloren. Sie konnte doch jetzt nicht einfach verschwinden. Nein, allein die Vorstellung bereitete ihr Höllenqualen. Draco hatte ihr das Leben gerettet, in mehr als einer Hinsicht, und sie würde es niemals über das Herz bringen, ihn nun so zu im Stich zu lassen.
Aber Lorcan...Er war so entschlossen gewesen. Würde er sich umstimmen lassen? Würde er ihre Entscheidung respektieren?
Ihr Bruder mochte es nicht, wenn sie sich ihm widersetzte. Die Erinnerungen daran, wie zornig er dann früher immer geworden war, standen ihr auch heute noch klar vor Augen, und ließen sie verkrampfen. Aber er hatte sich verändert, oder nicht? Er würde nicht mehr so wütend auf sie werden.
„Erzählst du mir, was gestern Nacht passiert ist?“, durchbrach Dracos drängende Stimme ihre Gedanken. Anscheinend hatte er bemerkt, wie aufgewühlt sie war.
Sie hob den Kopf von seiner Brust und sah zu ihm hinauf.
„Nicht heute.“, murmelte sie. Jocelyn wollte nicht, dass die schrecklichen Bilder, die sie mit ihren Erzählungen unwillkürlich wieder in sich heraufbeschwören würde, das warme Gefühl zerstörten, das Dracos Nähe in ihr ausgelöst hatte.
Beim Sprechen merkte sie, wie schwer ihre Zunge geworden war. Plötzliche Müdigkeit benebelte ihr Gehirn. „Alles klar?“, fragte Draco und umgriff ihre Arme.
„Madam Pomfreys...Schmerzmittel...ist... ganz schön stark…gewesen.“, murmelte sie schleppend. Sie registrierte, dass Draco sie die Treppe hinunter manövrierte. Er zog sie mit in seinem Schlafsaal und brachte sie zu seinem Bett. Sie ließ sich kraftlos darauf plumpsen. Ihre Hände fielen schwach in ihren Schoß und nur am Rande nahm sie wahr, dass Draco sich neben sie setzte. Er legte eine kühle Hand auf ihre Stirn und sie lehnte sich ihm seufzend entgegen, während ihre Augen wie allein zufielen. Als er die Hand wieder wegzog, murrte sie unzufrieden und vermisste die Berührung sofort schmerzlich.
„Du solltest schlafen gehen“, hörte sie seine Stimme wie durch dichten Nebel. Als er Anstalten machte, aufzustehen, riss sie mühsam die schweren Augenlider auf. „Nicht“, stieß sie undeutlich hervor. „Bleib hier.“
Draco musterte sie abwägend und Jocelyn krabbelte zu ihm herüber und schlang die Arme um ihn. Plötzliche Angst überkam sie, die Angst davor, dass er sie verlassen könnte. Sie zitterte unkontrolliert und rutschte noch näher zu ihm, bis sie schließlich auf seinem Schoß saß. Er streckte die Hand aus und strich ihr über die Haare und sie schmiegte sich an ihn, bis kein Blatt mehr zwischen ihre Körper gepasst hätte.
„Jocelyn...“, sagte er zögernd. „Du solltest dich jetzt besser ausruhen.“
Sie schüttelte den Kopf, was das nebelige Gefühl darin noch verstärkte, und suchte ungeduldig seine Lippen mit ihren.
Sie spürte, wie er immer noch zögerte, und zog unzufrieden an seiner Unterlippe, während sie die Hände über seinen Rücken gleiten ließ und den Saum seines Hemdes aus seiner Hose zupfte. Sie ließ ungeduldig die Hände darunter wandern und seufzte leise gegen seine Lippen, als sie endlich seine warme, weiche Haut unter ihren Fingerspitzen spürte.
Endlich gab er seinen Widerstand auf und im nächsten Moment lagen seine Hände auf ihrer Hüfte und pressten sie noch enger an sich, während er den Kuss leidenschaftlich erwiderte. Der Nebel in ihrem Kopf löschte alle Empfindungen und Gedanken aus, die sich nicht um Draco drehten und sie fühlte sich wie losgelöst, als sie sich nach hinten in die Kissen sinken ließ und Draco mit sich zog. Sie schlang die Beine um seine Mitte, während sie sich seinen Lippen entgegen drängte. Stürmisch riss sie sein Hemd auf und ließ die Hände über seinen Brustkorb wandern. Er stemmte sich auf seine Arme und stieß keuchend hervor: „Bist du sicher, dass...“
„Mir geht's gut.“, nahm sie ihm die Frage vorweg. Das war zwar nicht wahr, aber sie wollte um keinen Preis, dass er sich von ihr zurückzog. Sie brauchte seine Nähe jetzt dringender als je zuvor. Sie bewahrte sie vor den Bildern, die in ihrem Unterbewusstsein auf sie lauerten, vor der Angst, dem Schmerz und der Sorge.
Als Antwort auf ihre Worte ließ er sich wieder auf sie herabsinken und sie schloss die Augen, während sie seine warmen Lippen an der empfindlichen Haut ihres Halses spürte. Sanft strich er über die Narbe, die von ihrer Begegnung mit Greyback übrig geblieben war und ohne Vorwarnung schossen ihr die Tränen in die Augen, während er sanft einen Kuss darauf hauchte. In diesem Moment wusste sie mit berauschender Intensität, dass ihn die Narbe nicht störte, dass sie trotz all ihrer Schwächen perfekt für ihn war. Sie sah es in seinen Augen und fand die gleiche Gewissheit in ihrem Inneren. Sie vergrub die Hände in seinen Haaren und erneut trafen sich ihre Lippen. Sie wusste nicht, ob ihr je zuvor so deutlich vor Augen gestanden hatte, wie sehr sie ihn liebte. Liebe. Das Wort war so bedeutungsschwer, so mächtig, aber sie wusste nicht, wie sie das Gefühl in ihrem Inneren anders beschreiben sollte.
Sie konnte nicht einmal mehr den genauen Zeitpunkt bestimmen, in dem sie angefangen hatte, ihn zu lieben, aber irgendwann im Laufe der letzten Monate war es passiert.
Sie hätte nie gedacht, dass sie einmal das Glück hätte, sich zu verlieben.
Wie denn auch? All die Jahre war sie mit niemand anderem in Kontakt gekommen als mit ihrer Tante und ihrem Bruder. Erst als sie nach Hogwarts gekommen war, hatte sie erstmals Kontakt zu anderen gehabt. Dennoch hätte sie nicht im Traum daran gedacht, dort jemanden zu finden, der ihr so viel bedeutete wie Draco es nun tat.
Jocelyn zog sich mit einer raschen Bewegung den Pullover über den Kopf. Sie wollte nicht, dass auch nur ein Kleidungsstück mehr zwischen ihr und Draco war. Sie blickte zu ihm hinauf und sah überrascht, dass sich seine Miene verdüstert hatte.
„Dieser Bastard.“, zischte er und sie zuckte zusammen. Sie sah, dass sein Blick über die Wunden glitt, die Dolohow ihr zugefügt hatte, und sie umfasste sein Gesicht mit ihren Händen.
„Nicht.“, murmelte sie sanft. „Lass nicht zu, dass er uns diesen Moment vermiest.“
Widerwillig sah er ihr wieder in die Augen und sie strich zärtlich über seine Wangen und berührte mit den Fingerspitzen seine Lippen.
„Ich liebe dich.“, sagte sie und in ihrer Stimme klang ein dringlicher Unterton mit. Sie wusste nicht wieso, aber sie wollte um jeden Preis, dass er sich dessen bewusst war.
Dracos Gesichtsausdruck änderte sich und in seine Augen trat ein seltsamer Ausdruck, eine Mischung aus Verwunderung und Zärtlichkeit.
„Ich habe keine Ahnung, was du mit mir machst, aber es ist verdammt unheimlich. Noch nie...Ich habe niemals zuvor...“, er rang sichtlich mit Worten, was ihr Herz enger wurden ließ. Ein Draco Malfoy, der um Worte verlegen war?
„Bisher habe ich allen anderen nur Gleichgültigkeit entgegengebracht. Ich bin es nicht gewohnt, dass mir jemand so wichtig ist.“, fand er schließlich die richtigen Worte.
Die verschiedensten Gefühle durchfluteten sie und sie öffnete den Mund, aber da lagen Dracos Lippen schon wieder auf ihren. Sie erwiderte den Kuss leidenschaftlich, versuchte ihm ohne Worte zu vermitteln, was sie fühlte. Eine ganze Zeit lang sprachen sie nichts mehr.

Burning DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt