Licht und Schatten

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„Schau mal, wer da ist.", sagte Ron abfällig und riss Harry damit aus seinen Gedanken. Er, Hermine und die Weasleys hatten beschlossen, ihre Schulbücher und die anderen Dinge, die sie für das neue Schuljahr brauchen würden, dieses Mal schon früher einzukaufen und waren deshalb in aller Herrgottsfrühe aus ihren Betten geschlüpft und hatten sich auf den Weg in die Winkelgasse gemacht. Im Moment waren Harry, Ron und Hermine bei Madam Malkin und suchten sich neue Umhänge aus, da ihre ihnen inzwischen nicht mehr passten. Harry folgte Rons Blick und merkte, wie er sich anspannte. Draco Malfoy hatte von ihm unbemerkt das Geschäft betreten - zusammen mit Jocelyn, die dem blondhaarigen Slytherin gerade etwas zuflüsterte. Beide schienen Harry, Ron und Hermine noch nicht bemerkt zu haben. Kalte Wut stieg in Harry auf, wie immer, wenn er Malfoy begegnete, aber sie war dieses Mal noch gemischt mit etwas anderem: Missfallen. Er konnte nicht anders, als finster das Gesicht zu verziehen, als er sah, wie vertraut Jocelyn und sein ärgster Feind miteinander umgingen. Er war so auf sie fixiert, dass er nicht merkte, wie Madam Malkin mit einigen Nadeln zurückgekommen war und damit nun die Ärmel seines neuen Umhangs fixierte. Er zuckte zusammen, als ihn einer der Nadeln pikste und lenkte so Malfoys Aufmerksamkeit auf sich. Seine grauen Augen verengten sich, als er ihn erblickte. „Ach, nein, wenn das nicht der heilige Potter ist.", sagte er verächtlich. Er ließ den Blick über Ron und Hermine gleiten und nickte ihnen mit spöttischem Lächeln zu. „Weasley, Schlammblut."
Madam Malkin gab einen entsetzten Laut von sich. „Ich darf doch sehr bitten!"
Malfoy überging sie. „Wir brauchen Abendkleidung.", forderte er unfreundlich. Harry begegnete Jocelyns Blick und konnte nicht anders, als sie grimmig anzuschauen. Er ließ die Augen über ihr Gesicht gleiten und bemerkte, wie blass und übernächtigt sie aussah. Ihm fiel eine Wunde an ihrem Hals auf, aber als ob sie gemerkt hätte, dass er darauf starrte, schob sie eilig ihre Haare über ihre Schulter nach vorne und bedeckte sie so. Harry runzelte die Stirn. Hatte Malfoy ihr das angetan? Er wandte sich zu Hermine um, die auf dem Schemel neben ihm stand, und wollte sie gerade auf Jocelyns Verletzung hinweisen, als er stockte. Hermine sah mit großen Augen zu Jocelyn, die nun ebenfalls zu ihr blickte und dabei nervös auf ihrer Unterlippe herumkaute. In dem Moment trat Madam Malkin vor Harry und nahm ihm damit die Sicht auf das rothaarige Mädchen. Die stämmige Hexe half ihm aus dem Umhang und er sprang erleichtert von dem Schemel. Nachdem sie noch den Kragen bei Hermines Umhang festgesteckt hatte, war auch sie fertig und während Madam Malkin mit ihren Umhängen davoneilte, gingen die drei aus dem Geschäft- nicht, ohne Malfoy noch einmal einen bitterbösen Blick zuzuwerfen. „'Wir brauchen Abendkleidung!'", äffte Ron Malfoy nach, kaum dass die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war. „Wahrscheinlich sind sie zu einer Todesserparty eingeladen."
„Habt ihr die Wunde an Jocelyns Hals gesehen?", fragte Harry. „Welche Wunde?", fragte Ron verwirrt, doch Harry sah zu Hermine, die irgendwie unruhig wirkte.
„Gestern, als ich das Hauptquartier verlassen habe, um einkaufen zu gehen, habe ich Jocelyn gesehen. Sie wurde gerade von zwei Todessern bedroht. Ich hab ihr geholfen.", platzte sie auf einmal hervor.
„Ach, deshalb hast du gar nichts eingekauft! Ich habe doch gewusst, dass irgendwas gewesen ist!", sagte Ron, während Harry nachhakte: „Ihr geholfen? Meinst du damit, dass du gezaubert hast?"
Hermines Miene wurde schuldbewusst. „Ja. Aber ich hatte keine Wahl! Greyback war kurz davor, sie zu beißen." Rons Mund klappte auf. „Du...hast...gezaubert?", brachte er ungläubig hervor. Auch Harry konnte kaum glauben, dass Hermine außerhalb der Schule gezaubert hatte, obwohl das nicht erlaubt war. Hermine, die sich sonst kleinlich an alle Regeln hielt. „Ich hatte Glück, dass ich mich weit weg von meinem Zuhause befunden habe, sonst hätte das Ministerium bestimmt sofort mitbekommen, dass ich gezaubert habe.", sagte sie tonlos.
„Also ist die Verletzung von Greyback.", stellte Harry fest.
„Nein, die muss älter sein. Sie...hat ihn nämlich getötet, bevor er sie beißen konnte."
„Getötet?!", riefen Ron und Harry wie aus einem Munde. „Pst.", Hermine sah sich hektisch um.
„Mit dem Todesfluch?", fragte Harry mit gesenkter Stimme. Hermine nickte. „Ja."
Bevor sie dies richtig verdauen konnten, kamen Ginny und Mr. und Mrs. Weasley auf die drei zu. „Habt ihr alles bekommen?", fragte Mrs. Weasley.
Sie bejahten und Mr. Weasley, der immer wieder nervös über seine Schulter sah, sagte: „Gut, dann lasst uns zurück zum Hauptquartier gehen. Es ist zurzeit nicht sicher, auf der Straße herumzustehen."
Sie machten sich auf den Weg zu dem Auto, das das Ministerium ihnen zur Verfügung gestellt hatte, und währenddessen grübelte Harry die ganze Zeit über das nach, was Hermine ihnen erzählt hatte. Nachdem Jocelyn den Aufenthaltsort des letzten Hauptquartiers an die Todesser verraten hatte, hatten Harry, Ron und Hermine angenommen, dass sie endgültig die Seiten gewechselt hatte. Hermine und Ron waren sich ja sowieso nicht sicher, ob Jocelyn jemals auf ihrer Seite gewesen war. Harry hingegen hatte immer geglaubt, dass sie auf keinen Fall so sein wollte wie ihre Eltern und ihr Bruder. Wie aber passte das alles dann zusammen? Je länger er nachgrübelte, desto wahrscheinlicher wurde seine Vermutung, dass Malfoy irgendetwas damit zu tun hatte. Vielleicht hatte er sie ja dazu gezwungen, den Aufenthaltsort des Hauptquartiers preiszugeben!
Das Ministeriumsauto hielt auf Mr. Weasleys Geheiß hin und sie stiegen aus. Den Rest des Weges gingen sie zu Fuß, denn Mr. Weasley hielt es für sicherer, wenn so wenige Leute wie möglich wussten, wo sich das neue Hauptquartier des Phönixordens befand. Das neue Hauptquartier gehörte, genau wie das alte, seinem Paten Sirius. Nachdem er in der Öffentlichkeit rehabilitiert worden war, hatte er sich dieses Haus gekauft und dem Orden angeboten, es als neues Hauptquartier zu nutzen. Endlich kam das unscheinbare kleine Haus vor ihnen in Sicht. Es war wahrlich nicht großartig luxuriös; der weiße Anstrich blätterte bereits ab und das Dach war schief, aber trotzdem war es in den letzten zwei Wochen zu einer Art Zuhause für Harry geworden. Das lag nicht zuletzt an Sirius, der sich wahnsinnig freute, Harry wieder um sich zu haben. Seit er sich nicht mehr verstecken musste, war sein Pate wie ausgewechselt. Er hatte jetzt sogar eine Anstellung im Ministerium, aber die meiste Zeit war er im Auftrag des Ordens unterwegs. Während sie nacheinander die schmale Treppe zu Vordertür hochliefen, gingen Harrys Gedanken erneut zu Jocelyn zurück. In dem Moment schwor er sich, herauszufinden, ob und mit was Malfoy sie erpresste.

Burning DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt