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Sie rannte, nicht in vollem Tempo, aber doch sehr schnell. Von der Grenze zum Forster-Rudel war sie weit entfernt und auch zu den Verstecken der Rudellosen hielt sie großen Abstand. Sie wollte niemanden sehen, sie wollte mit niemandem reden. Sie wollte einfach nur laufen.

Manches ergab nun einen Sinn. Diese latente Unruhe in ihr, das ständige Bedürfnis, sich behaupten zu müssen, ihr Starsinn, wenn etwas geschah, was ihr nicht passte, ihre Freiheitsliebe und Selbstständigkeit. Die Burmanns waren schon auch stark und selbstständig, aber sie übertraf sie alle. Sie war mental wesentlich stärker und sturer als ihre Familie.

Ihre Familie? Die Burmanns waren nicht ihre Familie.

Tonya hechelte, aber sie lief weiter. Sie gehörte nicht zu der Familie in der sie aufgewachsen war. Melli war nicht ihre Mutter, David nicht ihr Vater, Max, Mark, Bente und Cosmo nicht ihre Brüder. Sie war die Fremde in dieser Familie. Jetzt hatte sie gar keine Familie mehr.

Von irgendwoher hörte sie Wölfe heulen und schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie bisher achtlos durch den Wald gerannt war. Ohne langsamer zu werden, schärfte Tonya nun ihre Sinne für ihre Umgebung. Ihre Ohren lauschten, ihre Nase witterte und ihre Augen scannte den Bereich vor ihr.

Sie rannte auf eine kleine Lichtung zu. Zu spät bemerkte sie, dass zwei Rudellose auf der Lichtung standen und ihr gierig entgegensahen.

‚Yani. Ich brauch dich', flüsterte sie.

‚Bin da.'

Ohne langsamer zu werden rannte Tonya auf die beiden zu. Unsicher wichen die Rudellosen zurück. Sie konnten nicht begreifen, warum diese kleine Wölfin nicht anhielt, den Schwanz einzog und versuchte zu fliehen. Und dann ging alles sehr schnell. Tonya setzte zum Sprung an. Noch in der Luft schlossen sich ihre Zähne um die Schnauze des größeren Wolfes. Sie nutzte den großen Wolf als festen Haltepunkt, um den sie sich schwang. In diesem Schwung fegte sie den anderen Wolf mit ihrem Hinterteil um, und bog den Hals des großen Wolfes so stark, dass dieser nachgeben musste und winselnd zu Boden ging.

Tonya landete auf ihren Pfoten und griff sofort erneut an. Es knackte und eine der Vorderpfoten des großen Wolfes brach. Schon sprang sie über dessen Körper auf den zweiten Wolf zu und erwischte sein Ohr. Sie fasste nach und grub ihre Zähne in seine Schnauze.

Sie hörte weitere Wölfe heulen. Ohne groß nachzudenken, rannte sie davon, zunächst in die entgegengesetzte Richtung, schlug dann einen Hacken und rannte weiter in die Richtung, die sie ursprünglich eingeschlagen hatte. Sie hatte ein Ziel.

Kurz darauf hatte sie das moorige Gebiet erreicht. Sie wälzte sich ausgiebig in der dunklen feuchten Erde und lief nun deutlich langsamer weiter um das Moor herum. Sorgfältig sicherte sie nach allen Seiten. Erst als sie die andere Seite erreicht hatte, sprang sie in den See und wusch sich.

Es war nicht mehr weit bis zu ihrem Versteck. Doch obwohl sie sehr müde war, ließ sich nicht nach in ihrer Aufmerksamkeit. Sie konnte niemanden riechen, sie konnte nichts Verdächtiges hören oder sehen und schnell zwängte sie sich unter dem Busch hindurch in ihr Versteck.

Sie verwandelte sich, kuschelte sich in die Decken und legte sich auf das Strohbett im hinteren Eck der Höhle. Sekunden später war sie erschöpft eingeschlafen.

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Die Jungs waren in der Schule und David in der Arbeit. Melli wollte auf den Markt gehen und Vicki überredete Dina, die Mate ihres Schwagers, sie zum Trainingsplatz zu begleiten.

Dina war anzusehen, dass sie sich als Mensch unter lauter Wölfen noch nicht wirklich wohl fühlte, obwohl Mark, ihr Mate und Tonyas jüngerer Bruder sich sehr viel Mühe gab, Dina die Welt der Wölfe näher zu bringen. Dina liebte Mark und sie mochte auch seine Familie, aber alle anderen aus dem Rudel machten ihr noch immer Angst.

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