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Langsam brach die Nacht herein. Die Schatten wurden länger und verblaßten allmählich. Während auf der einen Seite die Sonne unterging, war an anderer Stelle der Mond bereits zu sehen. Nicht mehr lange, dann würde er in seiner vollen Pracht am nächtlichen Himmel leuchten. Dank dem wolkenlosen Himmel leuchtete er gemeinsam mit vielen Sternen hell genug, um die Nacht nicht in vollkommene Dunkelheit zu tauchen.

Tonya hatte sehr sorgfältig ihre Kleidung zu einem Bündel geschnürt. Wie ein Rucksack legte sie es um und hoffte, dass es nach der Verwandlung immer noch sicher auf ihrem Rücken gehalten wurde. Sie hatte den Rand der Grasebene erreicht und somit die Grenze des Minster-Territoriums. Bis jetzt war sie unentdeckt geblieben. Jedenfalls hatte sie niemanden gesehen. Aber sie bezweifelte, dass ihr das Glück weiterhin hold sein würde.

Sie verwandelte sich. Zufrieden schnaubte sie. Ihr Bündel saß sicher und fest genug auf ihrem Rücken. Und es würde sie auch nicht behindern, wenn sie schnell lief. Aufmerksam hob sie ihre Nase und sicherte nach allen Seiten. Auch ihre Ohren drehten sich in alle Richtungen. Das Einzige, was sie hören konnte, war das Rascheln von Mäusen. Im Stillen dankte sie Max. Oft waren sie in den Wald gegangen nur um zu lauschen. So hatte sie gelernt, Geräusche zu unterscheiden, ihre Ursachen zu erkennen und die Geräusche, die ungefährlich waren, auszublenden. Eine Fähigkeit, die ihr jetzt zugutekam.

Im Moment jedenfalls war sie sicher. Sie schnaubte kurz, konzentrierte sich auf die Richtung, in die sie laufen wollte und lief los. Sie lief zügig, aber nicht zu schnell. In diesem Thempo würde sie lange durchhalten können und, sollte sie nicht aufgehalten werden, sollte sie die Berge noch vor dem Morgengrauen erreichen.

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Sich demütig zu verhalten war nicht gerade Hendriks Stärke. Bislang brauchte er das auch nie. Doch jetzt war es wichtig, sich zurückzuhalten. Schließlich war er derjenige, der sich auf fremdem Revier befand und der etwas vom Alpha dieses Rudels erfahren wollte.

„Vergiss es", kicherte Florian. „Niemand würde dir diese unterwürfige Haltung abnehmen. Am besten bleibst du du und ich ich. Wir verhalten uns zurückhaltend und friedvoll. Überleg mal. Würdest du jemandem vertrauen, bei dem du sofort bemerkst, dass derjenige dir etwas vorspielt?"

Hendrik verzog missmutig das Gesicht. Florian hatte Recht. Aber es war sehr wichtig für ihn, dass der Alpha des Welter-Rudels ihn anhörte und ihm auch eine ehrliche Antwort gab. Er kannte Alpha Anton nicht. Und obwohl er noch nie etwas negatives über diesen Alpha gehört hatte, wusste er ihn nicht einzuschätzen.

Sie beschlossen, in ihrer menschlichen Gestalt das Territorium des Welter-Rudels zu betreten. In dieser Form waren sie den Wölfen unterlegen. Das musste ausreichend sein, um ihre friedliche Absicht klarzustellen. Trotzdem fühlten sie sich unwohl als sie die Grenze überschritten und weiter nach Osten zogen.

Es dauerte nicht lange, da sahen sie sich mehreren Wölfen gegenüber. Hendrik und Florian blieben stehen und breiteten beruhigend ihre Arme aus.

„Ich bin Hendrik Kaaden und ich komme in friedlicher Absicht", sagte Hendrik laut und deutlich genug, dass alle Wölfe ihn hören konnten. „Das hier ist mein Freund Florian. Wir wollen mit Alpha Anton sprechen."

Neugierig kamen die Wölfe näher. Ihr Verhalten war nicht bedrohlich oder aggressiv, aber sie waren angespannt und misstrauisch. Schließlich schnaubte einer der Wölfe kurz auf und forderte die beiden auf zu folgen, die anderen Wölfe liefen dicht hinter ihnen her. Vorsichtig folgten Hendrik und Florian. Man merkte ihnen die Anspannung an, letztendlich waren sie es nicht gewohnt, von fremden Wölfen umgeben zu sein, und schlimmer noch, fremde Wölfe in ihrem Rücken zu haben.

Doch langsam entspannten sie sich etwas. Zwar waren sie noch immer von den Wölfen umringt, die sie nicht eine Sekunde aus den Augen ließen, aber sie hielten respektvoll Abstand und erweckten nicht den Anschein, als hätten sie einen anderen Befehl als den, die beiden sicher zum Quartier zu begleiten, wo sie bereits erwartet wurden.

„Mein Name ist Goran, ich bin der zweite Beta im Welter-Rudel", stellte sich der stämmige dunkelhaarige Mann vor. „Alpha Anton und Beta Aaron sind unterwegs. Ich hoffe, ihr habt Verständnis dafür, dass ich euch unter Arrest setze, bis Alpha Anton wieder zurück ist."

Hendrik wollte aufbegehren, beruhigte sich aber sofort wieder, als Florian seine Hand schwer auf seine Schulter legte.

„Wir kommen in friedlicher Absicht", sagte Florian.

„Das ist mir klar", nickte Goran und lächelte leicht. „Deshalb werdet ihr auch nicht im tiefsten Kerker auf die Rückkehr des Alphas warten müssen. Aber du hast durchaus ziemlich viel Kraft und Dominanz in dir und dein Freund hier ist ein Alpha. Ich kenne euch nicht und das Wohl und die Sicherheit meines Rudels steht an erster Stelle."

„Dafür haben wir Verständnis", nickte nun auch Florian und Hendrik knurrte widerwillig zustimmend.

Minuten später fanden sich die beiden Männer eingesperrt in einem ausreichend möbilierten Raum mit einem angrenzenden Badezimmer wieder. Er befand sich bereits im Keller, aber noch nicht so tief, so dass die schmalen Fenster unter der Decke noch immer über der Oberfläche waren. Sie waren vergittert, erlaubten aber einen Blick auf den Innenhof des Hauptquartiers.

„Hey", lächelte Florian und klopfte Hendrik auf die Schulter. „Wir würden es nicht anders machen."

Hendrik knurrte nur, antwortete aber nicht. Florian hatte ja Recht. Aber jetzt in diesem Raum gefangen zu sitzen, war für ihn ähnlich schlimm, als die Gefangenschaft bei den Wölfinen. Wobei er dort seine kleine Mate in unmittelbarer Nähe wusste. Jetzt aber wusste er nicht wo sie war und hier gefangen zu sitzen, hinterte ihn daran, sie zu suchen. Das war auch der Grund, weshalb er unruhig in dem Zimmer hin und her ging, während Florian grinsend auf einer der Pritschen Platz genommen und sich, die Beine bequem ausgestreckt, gemühtlich angelehnt hatte.

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