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Sie waren die ganze Nacht gelaufen. Tonya voraus, die Männer hinterher. Tonya lief zügig, aber hochkonzentriert und sicherte stets aufmerksam nach allen Seiten. Sie führte die Männer sicher an einigen Camps von Rudellosen vorbei immer weiter nach Süden. Dort umrundeten sie das moorige Gebiet und bogen anschließend nach Westen ab.

Am Rande des Moores blieb sie stehen. Durch das dürre Geäst konnten sie gerade noch den See sehen, der im schwachen Mondlicht leicht schimmerte. Tonya verwandelte sich.

„Ihr bleibt", sagte sie leise, dann nahm sie Hendrik ihren Umhang ab und warf ihn sich über.

„Ihr seid frei", flüsterte sie. „Wenn ihr den See umrundet, kommt ihr automatisch zur Grenze zum Forster-Revier. Und wenn ihr euch beeilt, seid ihr noch vor dem Frühstück zuhause. Geht jetzt."

Die Wölfe blickten in die angegebene Richtung, blieben aber stehen.

„Geht endlich, bitte", flehte Tonya, doch die Wölfe gehorchten nicht.

„Muss ich es euch befehlen?", fragte Tonya knurrend.

Sie zuckte zusammen, als fast augenblicklich Hendrik in seiner menschlichen Gestalt so nahe vor ihr stand, dass sie ihren Kopf in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen sehen zu können.

„Selbst, wenn du deine Alpha-Stimme dabei einsetzt, Kleines", flüsterte er leise an ihrem Mund. „Ich kann dem genauso widerstehen, wie du meiner Alpha-Stimme widerstehen kannst."

Entsetzt starrte Tonya ihn an. Kurz nur zuckte sie zusammen, als sie im Augenwinkel bemerkte, dass auch Max und Florian ihre menschliche Gestalt angenommen hatten. Sofort aber galt ihre Aufmerksamkeit wieder Hendriks stahlblauen Augen, die plötzlich dunkel glänzten und eher wie ein unendlich tiefer See wirkten, in dem sie zu versinken drohte.

„Wie, Alpha-Stimme?"

Max Frage drang nur langsam zu den beiden durch. Doch das Erstaunen in der Stimme half Tonya, sich zurückzuziehen und ihren Blick von Hendrik abzuwenden und verwirrt Max anzustarren.

„Du hast Alpha-Blut in dir, nicht wahr?", fragte Hendrik leise. Er hatte Tonya nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen.

„Das kann nicht sein", warf Max entsetzt ein. „Tonya, sag was."

Ergeben senkte Tonya ihren Kopf. Sie atmete tief ein und langsam aus.

„Folgt mir", sagte sie dann leise, aber bestimmt und ging auf das Moor zu. Nach ein paar Schritte blieb sie stehen. „Geht hinter mir und erschreckt nicht. Ihr werdet etwa knöcheltief einsinken. Aber der Weg unter der Moorschicht ist stark genug, um euch zu tragen. Folgt genau meinen Schritten."

Tonya ging weiter. Ihre Füße versanken tatsächlich im Morast, erhoben sich mit einem schmatzenden Geräusch aus der weichen Schicht und sanken einen Schritt weiter erneut ein. Es war mühsam, Schritt für Schritt weiterzugehen, doch nach etwa hundert Meter wurde der Boden fester. Dichtes Moos verhinderte ein weiteres Einsinken und erlaubte ein normales Gehen. Etwa in der Mitte der kleinen, mit vielen Büschen bewachsenen Insel hielt Tonya an und setzte sich im Schutz der Büsche auf den weichen Boden.

„Woher kennst du diesen Weg?", fragte Florian neugierig und blickte staunend zurück. Ihre Fußtritte im Morast waren bereits verschwunden.

Sie kannten diesen See von der anderen Seite, wussten auch, dass sich hinter dem See ein Moorgebiet befand, aber diese kleine Insel gehörte für sie zum Moor. Noch nie war jemand von ihnen auf die Idee gekommen, den See zu überqueren, eben weil sie auf der anderen Seeseite nur gefährlichen Morast erwarteten.

Tonya aber hatte bei einer Jagd durch Zufall gesehen, wie ein flüchtendes Wild in dieses Moor lief und sich plötzlich auf dieser Insel befand. Panisch hatte das Wild versucht, von dieser Insel wieder in den Wald zu gelangen. Diesen Versuch hatte es aber nicht überlebt.

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