Er wusste, dass sie nach Süden gehen wollte, genauer nach Südosten. Aber er wusste nicht, welchen Weg sie nehmen wollte. Also entschied er sich, seine Suche dort zu starten, wo er sie zuletzt gesehen hatte und zunächst in die Richtung zu laufen, in die sie verschwunden war.
Egal welchen Weg sie genommen hatte, ihr Geruch würde sich längst schon verflüchtigt haben. Doch vielleicht fand er irgendwo Haare von ihr, die ihm den Weg wiesen.
Aufmerksam lief er durch den Wald. All seine Sinne waren aktiv. Jeder Geruch, jedes Geräusch, jede noch so kleine Bewegung, die er sah, wurde beachtet, ausgewertet und entweder verworfen oder genauer beobachtet.
Ganz schwach glaubte er plötzlich ihren Geruch wahrzunehmen. Täuschte er sich? Doch je näher er der Quelle kam, umso sicherer war er sich. Und wirklich, er fand ein paar Haare von ihr und ein paar Meter weiter nochmals, mehr nicht. Vielleicht hatte sie sich kurz gekratzt. Doch die Stellen, an denen er ihre Haare fand, wiesen ihm den Weg, den sie genommen hatte. Und er lief weiter.
Nur wenig später nahm seine Nase einen unangenehmen Geruch war. Es war ein widerlicher gammliger Geruch von feuchtem schimmligem Schmutz. Rudellose. Rudellose, die sich scheinbar seit Wochen schon nicht mehr gewaschen hatten und deren Felle bereits verfilzt und verlaust waren.
Hendrik hatte nicht wirklich Lust darauf, sich mit dreckigen Rudellosen auseinanderzusetzen. Obwohl er nun selbst ein Rudelloser war, war er sich sicher, niemals so zu enden. Er war sich aber auch darüber sicher, zurückzukommen und seinen rechtmäßigen Platz wieder einzunehmen. Aber erst dann, wenn er seine Kleine gefunden hatte und sie mit ihm als Luna zurückkehren würde.
Hendrik lief schneller. Aber der widerliche Geruch wurde stärker. Die Rudellosen hatten wahrscheinlich seine Spur aufgenommen und folgten ihm. Hier im Wald allerdings hatte er keine großen Chancen, gegen mehrere Wölfe zu gewinnen. Wenn er schon kämpfen musste, dann bevorzugte er offene Flächen. Also fiel er in leichten Trab, immer mit seinen Ohren aufmerksam auf jedes Geräusch lauschend.
Sie folgten ihm. Fünf verwahrloste Wölfe. Mager, tatsächlich mit verfilzten Fellen, welches an einigen Stellen ausgerissen war und dort die blanke Haut zeigten. Felle, die so schmutzig waren, dass man nicht einmal mehr die eigentliche Fellfarbe erahnen konnte. Auch sie wurden schneller. Für sie war er die Beute, die sie jagten und auf die sie vollständig fixiert waren.
Endlich lichtete sich der Wald und gleich darauf befand sich Hendrik auf freiem Feld. Weit in der Ferne sah er Häuser. Eigentlich sah er nur die Dächer von einigen Häusern, die weit genug entfernt und wohlgeschützt in einer Senke standen. Gut für ihn. Hätte er Menschen gerochen, hätte er schnell weiterziehen müssen. So aber konnte er sich nun seinen Verfolgern stellen.
‚Rex, ich brauch dich', rief er seinen Wolf.
Rex hatte sich murrend zurückgezogen, als Hendrik seine Mate allein hat gehen lassen. Da hatten sie sich endlich gefunden und alles hätte gut werden können, schon gingen sie erneut eigene Wege. Doch seit Hendrik sich auf den Weg gemacht hatte, um seine Mate zu suchen, war Rex wieder präsent.
‚Bin da', meldete er sich und Hendrik konnte ihn dicht an der Oberfläche spüren.
‚Warte noch', bat Hendrik. ‚Nur einen Moment noch.'
Er beobachtete sie. Fünf Wölfe, bereit zu kämpfen, zu allem entschlossen. Langsam kamen sie näher. Drohend. Der Speichel ran ihnen bereits von den Lefzen. Ihre Blicke fest auf ihr Opfer gerichtet. Ob sie wussten, wen sie vor sich hatten?
‚Jetzt, Rex', rief Hendrik und übergab die Führung seinem Wolf, der explosiv auf den ersten der Rudellosen zuschoß und seine Zähne in dessen Nacken versenkte, ehe dieser reagieren konnte.
Für die anderen Rudellosen war Rex Angriff überraschend, schließlich sahen sie sich als Jäger. Doch dann reagierten sie und sprangen auf Hendrik zu. Dieser aber hatte den mittlerweile toten Körper des ersten Wolfes noch immer im Fang und schleuderte ihn auf die anderen Wölfe zu, während er selbst sich sein nächstes Opfer auswählte und diesen mit einem mächtigen Sprung zu fall brachte. Schon legten sich seine Zähne um dessen Kehle und er biss zu.
Jetzt aber hatten die verbliebenen drei Rudellosen ihren Schockmoment überwunden und griffen gleichzeitig an. Rex gelang es den zuschnappenden Zähnen zweier Gegner gerade noch so auszuweichen. Die Zähne des dritten Gegners aber gruben sich in seine Schulter. Rex heulte auf, drehte sich und erwischte diesen an seiner Vorderpfote. Es knackte. Die Pfote des Wolfes war gebrochen und er taumelte heulend zurück.
Mit schmerzender Schulter konnte Rex nicht mehr rechtzeitig ausweichen und verlor das Gleichgewicht. Gerade als einer der verbliebenen Gegner seine Zähne in Rex Hals versenken wollte, flog ein grauer Schatten herbei und riss den Rudellosen von Rex weg.
Schon hatte sich Rex aufgerappelt und stürzte sich auf den taumelnden Wolf, während der graue Schatten die Verfolgung des letzten Gegners aufnahm, diesen nach wenigen Metern erwischte und nach einem sehr kurzen Gerangel die Kehle durchbiss.
Der graue Wolf leckte sich das Blut seines Gegners von den Lefzen, drehte sich um und trabte auf Hendrik zu, der mittlerweile wieder die Kontrolle über seinen Wolf übernommen hatte. Auge in Auge standen sich die beiden Wölfe gegenüber. Dann drehte Hendrik sich um und humpelte auf den Waldrand zu. Der graue Wolf folgte ihm.
„Was machst du hier?", fragte Hendrik, der sich verwandelt hatte und nun mit noch immer blutender Wunde an der Schulter an einem Baum lehnte.
„Deinen Rücken sichern", antwortete Florian gelassen und grinste seinen Freund an. „Schließlich habe ich das deiner Kleinen versprochen." Auf dem Weg zum Waldrand hatte er sich bereits verwandelt, einige Heilkräuterblätter gepflückt und in den Mund geschoben um darauf herumzukauen.
„Du solltest zuhause sein, beim Rudel, du bist der Beta", murrte Hendrik.
„Nicht mehr", grinste Florian schief und verteilte die zerkauten Blätter auf einem anderen noch ganzen Blatt des Krautes.
„Warum das nicht?", fragte Hendrik erstaunt.
„Dein Vater war der Meinung, dass ich als Beta nicht mehr tragbar bin. Schließlich habe ich meinen Auftrag nicht erfüllt und dich zur Vernunft gebracht", erklärte Florian spöttisch.
„Hast du dich ebenfalls losgesagt, oder hat er dich verstoßen?", fragte Hendrik neugierig.
„Weder noch", grinste Florian. „Er hatte mich nur angepflaumt, dass er sich einen neuen Beta suchen würde. Ich sollte das Betahaus räumen und zu den Kämpfern in die Quartiere ziehen. Ich bin wortlos rausgegangen und habe versteckt gewartet, bis Alpha Norman wutschnaubend das Rudelhaus verlassen hatte. Dann bin ich nochmals rein und habe mit Luna Adelin geredet. Sie ist die Einzige, die weiß, dass ich dir hinterher bin. So mein Freund, und jetzt halte die Klappe und verwandle dich. Ich kann deine Wunden besser versorgen, wenn du in deiner Wolfsgestalt bist. Außerdem heilen sie dann schneller. Alles andere können wir später bereden, sobald du wieder fit bist."

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Suche, Tonya!
Manusia SerigalaWas war bei ihrer Geburt wirklich geschehen? Warum hatte ausgerechnet sie diesen Talisman erhalten? Warum hatte sie das Gefühl, dieser Mondstein bedeutete etwas? So viele Fragen und keine Antwort darauf. Tonya wollte sich nicht einfach so unterordne...