Taehyungs POV
“Tannie, dreh dich.” Sage ich, während ich eine kreisende Bewegung mit meinen Finger mache. Yeontan dreht sich und guckt mich mit seinen runden Augen erwartungsvoll an.
“Mach Männchen”, kommandiere ich als Nächstes und Yeontan stellt sich auf seine Hinterbeine und reckt seine Pfötchen in die Luft.
“Jaa super!”, sage ich, gebe ihm ein Leckerli und hebe ihn dann zu mir hoch und lasse ihn über mein Gesicht schlecken.
“Das hast du toll gemacht, machen wir für heute erstmal Schluss.”
Wir sind schon einige Zeit dabei zu üben und Yeontan lernt so schnell. Er ist wirklich ein toller Hund und ich mag mir ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen. Während wir beide auf dem Boden sitzen und seine Kunststückchen geübt haben, liegen Jungkook und Bam auf der Couch. Beide schlafen und ich habe schon fleißig Fotos gemacht, da beide so unglaublich niedlich zusammen aussehen, Jungkook sogar noch niedlicher als Bam. Überhaupt kann Jungkooks Niedlichkeit in meinen Augen von nichts übertroffen werden.
Es ist verrückt wie sich mein Leben entwickelt hat. Mir ging es damals so schlecht und dann ist Jungkook in mein Leben getreten und es ist so viel passiert. Ich mag gar nicht darüber nachdenken wo ich jetzt stehen würde, wenn all das genauso passiert wäre, nur ohne Jungkook.
Ich schüttel den Gedanken ab. Ich verfalle oft in die Vergangenheit und stelle mir die Frage, was wäre, wenn. Aber ich muss mehr in der Gegenwart bleiben. Es gibt nur diese eine Vergangenheit, denn sie wurde bereits geschrieben.
Yeontan hat es sich mittlerweile auf meinem Schoß gemütlich gemacht, daher muss ich wohl noch etwas Zeit auf dem Boden verbringen. Ich würde ja gerne zu Jungkook und mich an ihn kuscheln, aber der Platz ist eh schon durch Bam belegt. Ich seufze und beginne dann damit, Yeontan zu streicheln. Wieder fangen meine Gedanken an zu kreisen. Doch jetzt driften sie zu der Person, von der ich am liebsten meine kompletten Erinnerungen löschen wollen würde.
Ich will nicht an ihn denken, ich will nicht. Der Gedanke an Shiwon schnürt mir die Kehle zu. Ich habe nur noch lückenhafte Erinnerungen an den einen Tag, der mein Leben komplett aus der Bahn geworfen hat und ich habe Angst, dass sie wieder kommen könnten, wenn ich ihn wieder sehe.
Ich spüre, wie sich ein unangenehmes Kribbeln in meinem Körper ausbreitet und mein Puls ansteigt. Wie soll ich das morgen bloß schaffen?
Yeontan wird in meinem Schoß unruhig und winselt leicht. Ich versuche mich auf meine Atmung zu konzentrieren und Atme tief ein und besonders lange wieder aus, um mich zu beruhigen.
“Alles ist gut Yeontan”, flüstere ich, “Ich habe nur Angst vor morgen.”
Morgen ist der Gerichtstermin und wir müssen alle aussagen und auch ich muss ihm gegenüber sitzen. Ich versuche ihn und das was er getan hat möglichst zu verdrängen, auch wenn ich weis, dass das auch nicht der Richtige Weg ist, doch ich konnte und wollte mich noch nicht zu sehr damit auseinander setzen.
Daher weis ich auch nicht, was sein Anblick in mir auslösen wird. Und nicht nur das. Die Tat wird beschrieben und sie werden Fotos zeigen. Immerhin steht es mir frei, währenddessen den Saal zu verlassen , aber ich bin entschlossen zu bleiben.
Mal gucken ob ich es denn schaffe.
Aber ich mache mir auch Sorgen um Jungkook. Ich habe gemerkt, dass er in den letzten Tagen zunehmend unkonzentrierter geworden ist und unglaublich gereizt.
Ich seufze und fahre mit meinen Händen über mein Gesicht. Es wird schon irgendwie werden, ich kann eh nichts unternehmen und der Gedanke daran, dass meine Freunde, meine Familie und auch Jungkook da sind, gibt mir viel Halt, auch wenn ich um Jungkook besorgt bin.
Ich beuge mich herunter und drücke mein Gesicht an Yeontan, ich spüre sein Fell und seine Wärme und atme seinen Duft ein. Ich werde dadurch etwas ruhiger.
“Du schaffst es immer wieder, mich zu beruhigen mein kleiner, Danke”, nuschel ich in sein Fell hinein.Es ist gerade erst 05:04, ich seufze und lasse mein Handy wieder sinken, dann sehe ich zu Jungkook, der ebenfalls wach ist und zurückblickt. Wir beide haben kaum geschlafen. Wir waren gestern noch lange wach und haben nur schwer in den Schlaf gefunden.
“Ich stehe schon auf, ich kann eh nicht mehr schlafen, ich mach uns heute Frühstück, irgendwelche Wünsche?”
Ich schüttel meinen Kopf, ich weis gar nicht, ob ich heute überhaupt was runterbekomme.
Ich höre Jungkook seufzen und spüre dann, wie er seine Arme um mich legt.
“Soll ich uns heute einfach nur Toast mit Omelette machen?”
Ich lasse mich in seine Arme sinken und nicke.
“Okay, ich gehe gleich erstmal mit den Hunden eine Runde, willst du mit oder dich noch ein wenig ausruhen?”
Ich lege meinen Kopf an seiner Schulter und denke darüber nach. Ein wenig raus zu kommen wird sicherlich nicht schaden, aber irgendwie fühle ich mich so ausgelaugt und den ganzen Weg mit Krücken, schaffe ich heute glaube ich nicht.
“Ich glaube, ich bleibe Heute hier”, sage ich und Jungkook streicht mir durch meine Haare und flüstert dann ein “Okay”.
Dann steht er auf, um sich fertig zu machen. Ich lasse mich wieder ins Bett fallen. Dann blicke ich zu der Prothese, die an unserem Kleiderschrank lehnt. Sie ist nur für den Übergang gedacht und ich kann auch noch nicht lange mit ihr laufen, da mein Stumpf bis zu ein Jahr braucht, um völlig abzuheilen. Ich hab es letztens etwas übertrieben und bin jetzt leicht wund und habe Druckstellen, die gerade etwas empfindlich sind.
Ich bin mittlerweile aber sehr geübt im Krückenlaufen und schaffe auch weitere Strecken, ich habe sogar ein wenig Muskeln in den Oberarmen bekommen. Und obwohl alles so gut verläuft, hadere ich noch immer mit mir und dem Essen. Ich tue es mittlerweile einfach, ja, aber trotzdem fühle ich mich oft schlecht und verfalle immer wieder ins Kalorien zählen.
Jungkook ist derjenige, der mich immer wieder ermutigt und mich meine Ängste überwinden lässt. Und wenn ich einen schlechten Tag habe und die Welt sich so anfühlt, als wolle sie nicht, dass ich existiere, dann fängt er mich auf und ist für mich da.
Ich denke oft, dass ich eigentlich total dämlich bin. Ich meine, ich habe mit Jungkook so ein Glück und trotzdem kann ich es nicht immer anerkennen. Warum bin ich nur so?
Ich rolle mich auf die Seite und greife nach Tiger, den ich jetzt in meine Arme schließe. Dumpf dringen die Geräusche aus dem Bad in mein Ohr, die durch Jungkook verursacht werden.
Es ist okay, sage ich mir immer wieder, ich bin okay.
Ich habe so viel geschafft und es ist okay, wenn ich Rückschläge habe oder in alte Gedankenmuster verfalle. Heilung ist kein linearer Verlauf, der steil nach oben geht, sondern Heilen bedeutet ein Auf und Ab.
Ich muss mich immer wieder daran erinnern, aber es hilft mir jedes Mal. Auch jetzt fühle ich mich schon gleich etwas weniger wertlos. Nein, wie kann ich wertlos sein und gleichzeitig von Jungkook geliebt werden und so tolle Freunde haben, die mir immer zur Seite stehen?
Okay, Taehyung, du schaffst das heute.
Ich setze Tiger wieder an die Seite und schlage dann die Bettdecke zurück und setze mich an den Rand des Bettes. Ich nehme mir meine Krücken und stehe dann auf, um ins Bad zu gehen, meine Zähne zu putzen und mich zu waschen.
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Gebrochen | Taekook
FanfictionTaehyung stand mit beiden Beinen im Leben, eine Wohnung, einen Job. Doch wie soll man alles schaffen und aufrechterhalten, wenn man nicht in die Gesellschaft hineinpasst? Wenn man den Anforderungen nicht gerecht werden kann? Das einzige, worin er no...