Eine Gemeinsame Nacht

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Unschlüssig, ob ich seiner Bitte nachkommen soll oder nicht, blicke ich an die Wand. „Also, nur wenn es keine Umstände macht", fügt er hinzu.

Ich beiße mir auf die Unterlippe. Was soll ich nur tun? Er klingt besorgt, irgendwie traurig, also muss ich es doch tun, oder?

Meine hilfsbereite Seite erlangt die Oberhand, also stimme ich zu und sage ihm, er solle draußen etwas weiter weg warten. Schnell ziehe ich mir etwas Wärmeres an, binde meine Haare zusammen und schleiche die Treppe hinunter nach draußen.

Die kalte Nachtluft umarmt mich, und ich schlinge meine Arme um mich. Ich gehe ein paar Schritte um die Ecke und sehe ihn an die Hausmauer gelehnt, mit dem Rücken zu mir. Ich räuspere mich, um mich bemerkbar zu machen, und zwinge ihn, sich umzudrehen.

Mir stockt der Atem. JJ hält sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Rippe, und seine alte Wunde über der Augenbraue ist heftig aufgeplatzt. Seine Lippe blutet stark, und seine Hände sind gezeichnet von blauen Flecken und aufgeplatzten Knöcheln.

Ich eile schnell zu ihm, um ihn zu stützen, da ich ernsthafte Sorgen habe, dass er umkippt. Er atmet schwer und versucht mir trotz alledem ein Lächeln zu schenken. Typisch JJ.

„Was ist passiert?" frage ich besorgt und helfe ihm, sich auf die kleine Bank zu setzen.

„Naja, es ist mal wieder aus dem Ruder gelaufen." Ich weiß sofort, was er damit meint, auch wenn er es nicht direkt ausspricht. Ich erinnere mich daran, wie schwer es ihm gefallen ist, mir die Wahrheit zu sagen, als wir im Bunker waren. Kaum vorstellbar, wie schwer es nun, unter diesen Umständen, für ihn ist.

Ich knie mich vor ihn hin und nehme seine Hände in meine. Einiges davon sollte genäht werden, aber er wird wohl kaum ins Krankenhaus wollen.

„JJ, du solltest..."

„Scheiße, was ist passiert?" Es ist Topper, der aufgelöst auf einmal neben uns steht. Er muss uns wohl gehört haben. Mist.

Ich will mich schon verteidigen, JJ verteidigen und wie immer es allen recht machen, aber bevor ich auch nur ein Wort sagen kann, hilft Topper JJ auf die Beine.

„Komm, das muss verarztet werden", sagt er hilfsbereit und führt JJ zum Haus. Verblüfft gehe ich ihm hinterher. Ich habe mit Einigem gerechnet, aber nicht mit dem.

„Was ist mit Mam und Dad?" wende ich ein und helfe Topper, ihn die kleine Treppe vor der Haustür hoch zu kriegen. „Keine Sorge, die sind nicht da."

Ich nicke erleichtert. Gemeinsam schaffen wir es, JJ in die Küche zu kriegen. Vorsichtig setzt Topper ihn auf einen Stuhl, während ich den Notfallkasten suche.

Mein Herz rast, und meine Hände schwitzen vor Nervosität, während ich die Schränke nach dem blöden Ding durchsuche. Nach gefühlten hundert Jahren finde ich den roten Koffer und eile schnell zu den anderen.

Ich setze mich gegenüber von JJ hin, und Topper hilft mir, all die nötigen Sachen rauszusuchen, die ich brauche. Desinfektionsmittel, Pflaster, Verband - alles, was es eben so braucht.

Ich bin keine Ärztin, und ich würde ihn so gerne in ein Krankenhaus bringen, aber ich weiß, dass ich mir die Frage sparen kann. Toppers Hände zittern genau so wie meine, nur JJ sitzt ziemlich gelassen da.

Er stöhnt hier und da vor Schmerzen, aber lässt tapfer alles über sich ergehen. Nach etwa zwanzig Minuten haben wir alles soweit versorgt, wie es uns möglich war, und ich atme erleichtert auf. „Ich hol dir Schmerzmittel", sagt Topper und klopft JJ sanft auf die Schulter.

Ich weiß, dass es Topper schwerfällt, nett zu ihm zu sein, aber er tut es. Und es bedeutet mir wahnsinnig viel. „Danke", sagt JJ leise und nimmt das Glas Wasser und die Tablette entgegen.

Für einen kurzen Moment herrscht vollkommene Stille. „Was ist passiert?" fragt Topper und lehnt sich an die Küchenzeile. JJ blickt zu Boden, fast schon peinlich berührt von der Situation. „Eine Prügelei, nichts Wildes."

Ich habe mir schon gedacht, dass er es ihm nicht erzählen wird, aber ich hätte es mir gewünscht. Ich weiß, wie es ist, wenn man niemanden zum Reden hat. Niemanden, dem man sich anvertrauen kann. Und auch wenn JJ eine tolle Freundesgruppe hat, gibt sie ihm nicht genug Halt. Nicht genug, um sich ihnen anzuvertrauen.

Topper ist nicht bescheuert und weiß, dass mehr dahintersteckt, doch er belässt es dabei, und ich bin ihm sehr dankbar dafür. „Tut mir leid, dass ich hergekommen bin. Ich wusste nur nicht, wo ich sonst hin kann." Seine Augen treffen meine, und ich nehme instinktiv seine Hand.

Jetzt gerade ist es mir egal, was heute Nachmittag war. Ich will nur, dass es ihm gut geht. Dass er in Sicherheit ist.

„Mam und Dad kommen vor morgen Nachmittag nicht nach Hause. Du kannst hier bleiben", bietet Topper an, und JJ lächelt ihn leicht an.

„Danke, Topper, ich werde keinen Ärger machen, versprochen." Wie viel sein Versprechen wert ist, wissen wir beide nicht, aber es scheint Topper zu genügen. Er wünscht uns eine gute Nacht und küsst mich auf die Stirn. Es ist eine liebe Brüderliche Geste, ohne Hintergedanken. Diesen Topper habe ich die letzten Tage vermisst.

Ich helfe JJ aufzustehen und bringe ihn mühevoll nach oben in mein Zimmer. „Sicher, dass ich nicht auf dem Sofa schlafen soll?" fragt er, und ich schüttle nur den Kopf. Ich helfe ihm, sich auf mein Bett zu legen, und lege die Decke über ihn. Ich setze mich auf das Bett und blicke auf seine Hände. Anders als das letzte Mal hat er sich anscheinend gewehrt, was mich mit Stolz erfüllt, gefolgt von Wut.

Er sollte sich nicht gegen seinen Vater wehren müssen. Sein Vater ist ein dreckiger Mistkerl.

„Es tut mir leid", flüstert er sanft, und seine Stimme löst bei mir Gänsehaut aus. „Ich hätte dich nicht gehen lassen dürfen."

Ich schüttle erneut nur den Kopf, da ich Angst habe, Dinge zu sagen, die ich nicht mehr zurücknehmen kann. Ich will ihm sagen, dass ich ihn brauche. Dass es mich so unendlich verletzt hat, was er getan hat. Dass ich seit dem Erdbeben nicht mehr aufhören kann, an ihn zu denken.

Aber ich lasse es. Ich lege mich vorsichtig zu ihm ins Bett und lege wie fremdgesteuert meinen Kopf auf seine Brust.

Ich spüre, wie sich seine Brust langsam hebt und senkt, und lausche seinem Herzschlag. Behutsam legt er seinen rechten Arm um mich und drückt mich fester an sich.

Ich weiß nicht, was das bedeuten soll. Ich weiß nicht, ob es ihm morgen noch genau so viel bedeuten wird wie mir. Aber für diesen Moment lasse ich mein Herz gewinnen und schlafe in JJs Armen ein.

Stupid things have good outcomes all the timeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt