Der grosse Streit

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Mit zittrigen Händen schreibe ich Rafe eine Nachricht, doch bevor ich sie absenden kann, kommen mir Zweifel. Jetzt zu Rafe zu rennen und ihn über alles auszufragen, fühlt sich falsch an.
Ich sollte mit JJ reden, ihm gestehen, dass ich sie belauscht habe.

Aber was, wenn er noch mehr lügt?
Ich lasse mein Handy sinken und starre auf den Boden. Was soll ich nur tun?

Rafe könnte genauso lügen, um besser dazustehen, um meine Zuneigung zu gewinnen.

Ich blicke zu John B's Auto, das vor der Polizeistation steht. Zu warten bis sie mit der Befragung fertig sind, ist keine Option. Es ist ziemlich kühl, und ich will einfach nur noch unter die Dusche.

Ich beschließe, Rafe zu fragen, ob er mich nach Hause fahren kann. Das andere behalte ich erst mal für mich.

Etwa zehn Minuten nach meiner SMS fährt Rafe auch schon vor und bittet mich lächelnd einzusteigen.

„Tut mir leid, dass ich nach meiner Rede einfach gegangen bin,“ sagt er sanft.
„Ist schon okay. Danke, dass du das getan hast.“

Er nickt leicht und fährt mich ohne weitere Konversation zu John B. Ich bin ihm dankbar, dass er nicht versucht, mit mir zu reden. Mein Kopf ist so voller Gedanken und Worte, dass ich wohl kaum etwas Vernünftiges sagen könnte.

Ich verabschiede mich mit einem Winken und gehe ins Haus. Das ist das erste Mal, dass ich ganz alleine hier bin.

Es fühlt sich fremd an, nicht wie mein Zuhause, aber mein eigentliches Zuhause fühlt sich noch weniger so an. Ich gehe ins Badezimmer und nutze die Chance, in Ruhe zu duschen.

Sich das Bad mit den ganzen Pogues zu teilen, ist eine echte Herausforderung. Ich genieße die Ruhe, steige unter die heiße Dusche und lasse das Wasser über meinen Körper prasseln.

Die ganze Anspannung der letzten Tage löst sich langsam, und ich kann nicht anders, als zu weinen.
Es ist ein leises, schmerzerfülltes Weinen. Ich weine um meinen Bruder, um mein Leben.
Ich weine darüber, dass ich nicht mehr weiß, wer ich bin und wem ich vertrauen kann.

Nach einer langen Dusche ziehe ich meine Jogginghose und JJ’s Shirt an.
Es riecht so unglaublich gut nach ihm und spendet mir etwas Trost.

Ich gehe ins Schlafzimmer und setze mich auf die Matratze. Gedankenverloren scrolle ich durch mein Handy und versuche krampfhaft, mich abzulenken. Aber es gelingt mir nicht.

Ich zucke leicht zusammen, als die Tür sich öffnet und JJ das Zimmer betritt.
„Und wie war es?“ fragt er und setzt sich neben mich.

„Emotional,“ sage ich und weiche seinem Blick aus. Ich muss es ihm sagen, ich muss ihn darauf ansprechen.

Seine blauen Augen treffen meine, und er lehnt sich vor, um mich zu küssen, doch ich weiche ihm aus.

„Was ist los?“ In seiner Stimme schwingt Panik. „Ich… ich habe dich und Kiara reden gehört… ich… ich weiß, was du getan hast.“

Seine Augen weiten sich. Sofort steht er auf und läuft panisch hin und her.
Er findet keine Worte, er ist komplett sprachlos und rauft sich die Haare.

„Es… es ist viel komplizierter, als du denkst,“ presst er hervor und kniet sich dann direkt vor mich hin.

„Ach ja? Du hast jemanden umgebracht,“ sage ich unter Tränen.
Sofort nimmt er meine Hände in seine und blickt mich flehend an. „Ich… ich hatte keine Wahl, Laura. Ich habe mir von Limbrey Geld geliehen, Geld, das ich brauchte, um den Schadensersatz für Toppers Boot zu zahlen, das ich versenkt habe.“

Stimmt, JJ hat vor etwa einem Jahr das Boot meines Bruders versenkt. Er wollte sich an ihm rächen, weil mein Bruder in eine Schlägerei mit Pope verwickelt war.
Ein dummer Streich… mit größeren Folgen, als ich dachte.

„Mein Dad, mein Dad war so wütend, und ich musste das Geld auftreiben… und Kiara, Kiara hatte Kontakte… also rief ich Limbrey an.“

„Und sie hat dir das Geld gegeben, wenn du jemanden für sie umbringst?“ hake ich nach, voller Angst vor der Antwort.

Mit Tränen in den Augen blickt er mich an und nickt nur.
„Und wieso war Rafe darin verwickelt?“ will ich wissen, immer noch seinem Blick ausweichend.

„Er… er hatte wohl auch Schulden und wurde vor die gleiche Wahl wie ich gestellt.“

„Nur dass er sich anders entschieden hat. Er hat niemanden umgebracht,“ meine Worte sind voller Wut.

Ich habe ihn immer verteidigt, aber das kann ich nicht verteidigen.
Tränen strömen über seine Wangen. Es ist das erste Mal, dass ich ihn so sehe. „Die andere Option wäre gewesen, meine Freunde zu verraten, Pope und John B zu hintergehen. Das konnte ich nicht.“

„Aber jemanden umbringen konntest du?“

Schnell wischt er sich die Tränen weg. „D… das war nicht leicht für mich. Ich wollte das doch nicht,“ fleht er und will mich zu sich ziehen, doch ich stoße ihn weg und stehe auf.

„Du hast deine Loyalität gegenüber den Pogues über das Leben eines Menschen gestellt… und dann noch den Mut gehabt, Rafe einen schlechten Menschen zu nennen. Und du hast es mir nicht mal erzählt… nein, du behältst es für dich und redest mit Kiara darüber.“

Meine Wut ist nicht zu überhören, und ich weiß nicht mal, was mich am meisten wütend macht. Seine Scheinheiligkeit, sein Hass gegen uns Kooks oder doch seine Nähe zu Kiara.

„Ki und ich, wir waren zu dem Zeitpunkt zusammen. Ich musste doch mit jemandem darüber reden, und ich wusste, dass sie es verstehen würde.“

„Das hätte ich doch auch! Wenn du mich nicht angelogen und uns Kooks als die Bösen hingestellt hättest,“ schreie ich und merke, wie mein ganzer Körper bebt.
Ich will weinen, schreien und etwas kaputt machen. Ich will auf ihn einschlagen und ihn gleichzeitig küssen und ihm einfach alles vergeben.

„Es tut mir leid, Laura! Ich bereue es jeden Tag, dass ich diese Entscheidung getroffen habe! Aber das ändert nichts an meinen Gefühlen für dich! Ich liebe dich und nur dich.“

„Es verändert alles, JJ. Einfach alles.“
Mit diesen Worten stürme ich aus dem Zimmer und hinaus in den kühlen Abend.

Verwirrt blicken Pope, Kiara, Sarah und John B mir hinterher, doch ich will einfach nur noch weg.
Ich weiß nicht, wie lange ich laufe oder wie spät es ist, aber ich finde mich am Ende vor meinem Haus wieder.

Ich klingle und schlinge meine Arme um meine Mom, als ich sie sehe. Ich weine bitterlich in ihren Armen, und zu meinem Glück hält sie mich fest.

Ich bin zu Hause.

Stupid things have good outcomes all the timeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt