Ich erwache als Erste und löse vorsichtig meine Hand aus JJs. Mein Kopf brummt und mein Magen rebelliert. Ich hätte nicht so viel trinken sollen.
Mit wackligen Beinen stehe ich auf und klettere über die Reling auf den Steg. Ich sollte mir die Beine vertreten, bevor alle aufwachen. Ich hinterlasse JJ eine kurze SMS, damit sie sich keine Sorgen machen oder denken, ich hätte sie alle verraten, und laufe los in die Innenstadt von Charleston.
Die kühle Morgenluft ist eine echte Wohltat, und ich genieße den kleinen Ausflug – ganz für mich alleine.
Ich laufe durch das malerische Städtchen und erblicke ein großes Gebäude: das Charleston Museum.
Wenn ich schon mal hier bin, kann ich es mir ja auch ansehen. Ich stelle es mir friedlich vor, einfach als unbekannte Touristin durch das Museum zu schlendern.
Genau das brauche ich jetzt – ein bisschen Normalität.
Ich betrete das wunderschöne Backsteingebäude und laufe durch die verschiedenen Hallen. Das meiste ist nicht wirklich interessant, da ich mich weder für Kunstgeschichte noch Architektur begeistere, aber eine Ausstellung zwingt mich zum Verweilen.
„Charleston und seine berühmten Besucher“ lese ich in großen Buchstaben über dem Eingang. Könnte interessant sein.
Mit wachsamen Blick laufe ich an den Tafeln und Fotos vorbei, bis ich vor einem großen Wandteppich mit eleganter Stickerei stehe. Er zeigt einen großen Baum mit vielen Ästen und Zweigen.
Ich blicke auf die Metallplatte mit den Informationen und lese die Überschrift:
„Denmark Tannys Familienstammbaum“
Oh mein Gott. Es ist kein echter Baum, es ist sein Stammbaum! Und ich stehe direkt davor. Schnell zücke ich mein Handy und versuche so unauffällig wie möglich, ein paar Bilder zu machen. Der Schatz wird wohl kaum hier unter dem Gemälde versteckt sein, aber vielleicht enthält der Stammbaum Hinweise, wo er sein könnte.
In mir steigt ein Gefühl der Euphorie auf, und ich kann nicht anders als zu grinsen. Die Pogues werden mich vielleicht endlich akzeptieren, erkennen, dass ich nichts Böses will und genauso daran interessiert bin, Pope zu helfen, wie sie.
Mein Handy klingelt, und mein Grinsen wird noch größer, als ich JJs Namen lese.
„Hey“, sage ich und laufe langsam in Richtung Ausgang.
„Hey.“ Seine Stimme klingt rau. „Wo bist du?“
„Du wirst es nicht glauben! Ich... ich hab was gefunden! Schnapp dir die anderen und kommt schnell zum Charleston Museum!“ Die Worte überschlagen sich fast, aber ich bin so aufgeregt. Wie werden sie wohl reagieren?
„Okay... jaa, dann bis gleich.“ Er klingt nicht überzeugt, aber das ist mir gerade sowas von egal.
Ich setze mich auf die steinerne Treppe vor dem Museum und warte gespannt auf die Pogues. Nach gut zehn Minuten sehe ich sie endlich, noch müde und etwas verknittert, in meine Richtung laufen.
„Was gibt’s?“ will Pope wissen und verschränkt die Arme vor der Brust.
„Es ist ein Stammbaum!“ platzt es aus mir heraus, und ich ernte verwirrte, fragende Blicke.
„Ich zeig's euch, ich bin zu aufgeregt, um es zu erklären.“ Mit einer euphorischen Geste leite ich sie ins Museum und präsentiere ihnen das große Gemälde.
„Denmark Tannys Stammbaum“, liest Pope vor, und sofort strahlt auch er übers ganze Gesicht.
„Du bist ein Genie“, sagt John B und klopft mir auf die Schulter. Auch die anderen können ihre Freude nicht verbergen, und Kiara lächelt mich zum ersten Mal so richtig an. JJ betrachtet ungläubig das Gemälde und dann mich. „Wahnsinn“, sagt er leise, und ich würde ihm am liebsten um den Hals fallen.
„Ähm, Leute?“ Saras Tonfall reißt uns aus unserer Euphorie. „Da sind Rafe und Limbrey“, sagt sie besorgt und deutet auf die beiden, die sich direkt im Raum nebenan umsehen. Instinktiv rennen wir in die andere Richtung und verstecken uns hinter einer der großen Statuen. Rafe und Mrs. Limbrey haben uns wohl noch nicht entdeckt, denn sie schlendern gemütlich durch die Hallen und bleiben dann vor dem Stammbaum stehen.
Schnell rücken wir alle zusammen, und Pope legt sich einen Finger auf die Lippen. Wir dürfen uns nicht erwischen lassen.
„Und du bist dir sicher, dass die Pogues hier in Charleston sind?“ fragt Limbrey mit einer bedrohlichen Ruhe. „Naja, sie sind nicht mehr in den Outer Banks, und Luke Maybank hat sein Boot als gestohlen gemeldet. Also ja, ich bin mir sicher.“
Rafe klingt seltsam unterwürfig ihr gegenüber. Er muss wirklich Angst vor ihr haben.
„Ich hoffe für dich, dass du recht hast. Je schneller ich das Relikt und das Grabtuch habe, desto eher bist du schuldenfrei“, sagt sie und streicht sanft über Rafes Arm.
„Das Relikt? Ich dachte, es geht Ihnen nur um das Grabtuch?“ Die kleine Berührung von Limbrey ist ihm sichtlich unangenehm, und er weicht ein wenig zurück.
„Naja, ich habe meine Meinung geändert. Ich will beides.“
„Das war aber so nicht abgemacht! Sie haben mir versprochen, dass Sie das Relikt den Pogues überlassen!“
Unsicher, ob ich mich verhört habe, blicke ich zu den anderen. Doch an ihrem Gesichtsausdruck sehe ich, dass ich mich nicht verhört habe. Rafe wollte uns das Relikt wirklich überlassen?
„Ja, ich weiß, Mister Cameron. Aber eigentlich war abgemacht, dass Sie mir das Grabtuch besorgen! Jetzt muss ich es mir selbst holen, weil Sie zu dumm waren, auf das Tagebuch aufzupassen.“ Die freundliche, sanfte Stimme von Limbrey ist weg. Die Frau, die jetzt mit Rafe redet, hat offensichtlich die Oberhand und scheint ihn in die Enge zu treiben.
Sofort fühle ich Mitleid mit Rafe. Er wollte mit uns zusammenarbeiten. Wollte Pope und den anderen wirklich das Relikt überlassen. Er brauchte unsere Hilfe, war aber zu stolz, um direkt danach zu fragen.
Das Gespräch zwischen den beiden endet abrupt, als Limbreys Telefon klingelt. Mit schnellen Schritten verlässt sie die Halle, und Rafe eilt ihr hinterher. Wie schlimm muss die Situation sein, dass Rafe sich so unterordnet? Über welche Schulden reden sie – geht es um Geld? Oder sogar um Leben und Tod?
Kiara ist die Erste, die die Stille unterbricht.
„Du hast den Schlüssel zur Phantom von deinem Dad geklaut? Bist du bescheuert?“
Ich fasse es nicht, dass sie jetzt auf JJ losgeht. Hat sie überhaupt mitbekommen, was los ist? Es ist schlimm genug, dass sein eigener Vater ihn so ans Messer liefert, aber dass Kiara ihn jetzt so behandelt, ist echt unglaublich.
Bevor die Situation eskalieren kann und JJ sich verteidigen muss, geht John B dazwischen. Ich bin froh, dass es ihn gibt.
„Scheiße, Ki, hör auf... wir haben größere Probleme! Ich sage es nur ungern, aber wir müssen mit Rafe reden.“
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Stupid things have good outcomes all the time
RomanceJeder kennt die Geschichte von John B und Sara Cameron. Doch was passiert wenn Laura Thornton, Toppers Schwester sich in JJ Maybank verliebt ? Kann ihre Liebe die Kluft zwischen den Kooks und den Pogues überwinden oder hat ihre Zweisamkeit keine Zu...