Die Trauerfeier

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Zwei Tage später

Die letzten zwei Tage habe ich versucht, das ungute Gefühl in meinem Magen loszuwerden. Rafes Worte, dass JJ Geheimnisse hat, gehen mir nicht aus dem Kopf. Obwohl Rafe ein- oder zweimal versucht hat, mich anzurufen, ist er nie bei John B aufgetaucht, um sich persönlich zu entschuldigen oder zumindest darüber zu reden.

JJ hatte gestern eine Nachuntersuchung beim Arzt, um die Wunde an seiner Hüfte zu kontrollieren. Abgesehen davon, dass sie etwas gerötet ist, scheint alles in Ordnung zu sein.

Heute ist die Trauerfeier meines Bruders. John B, Sarah, Kiara, Pope und JJ können leider nicht teilnehmen. Die Polizei will genau heute noch einmal mit ihnen reden, was ich nicht wirklich für einen Zufall halte.

Vermutlich hat meine Mom dafür gesorgt, dass sie auf keinen Fall in der Kirche erscheinen können. Und so gern ich diesen Tag mit JJ verbringen würde, ist es wohl besser so.

Ganz Figure Eight hat eine riesige Wut auf uns. Manche Leute behaupten sogar, dass Rafe Topper und Limbrey erschossen hat, andere sagen, dass er ein Held war. Die meisten aber behaupten, dass John B aus Rache Topper erschossen hat.

Und dass ich die Seiten gewechselt habe, so wie Sarah. All diese Behauptungen und Geschichten schweben über mir, besonders heute.

Ich stehe vor dem kleinen Spiegel im Flur von John B und betrachte mich darin. Ich trage das gleiche Kleid, das ich zur Trauerfeier meiner Großmutter vor zwei Jahren trug. Es ist ein schlichtes schwarzes Kleid, das mir mittlerweile etwas zu locker sitzt. Ich habe in den letzten Wochen nicht wirklich viel gegessen, und man sieht es. Ich sehe es.

Ich lächle sanft, als JJ sich hinter mich stellt und seine Arme um mich schlingt. „Du siehst wunderschön aus,“ flüstert er mir ins Ohr, und ich betrachte das Bild von uns im Spiegel.

Es fühlt sich alles immer noch so surreal an. So, als ob alles nur ein grausamer Scherz ist und ich bald aufwache.

Sanft küsst JJ meinen Hals. „Ich wünschte, ich könnte dir heute beistehen.“
Ich drehe mich zu ihm und küsse ihn sanft auf die Lippen. „Ist schon okay.“

„Laura, wir sollten los,“ sagt Sarah. Sie hat es am meisten getroffen, dass sie nicht an der Feier teilnehmen kann.
Ich weiß, wie wichtig ihr ein offizieller Abschied wäre.

Ich bin dankbar, dass John B mir angeboten hat, mich hinzufahren. Ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage wäre, selbst zu fahren.

Ich verabschiede mich mit einem Winken von den Pogues und fahre mit John B Richtung Figure Eight. Ich bin froh, dass wir die Fahrt schweigend verbringen. John B parkt das Auto etwas weiter weg und greift nach meiner Hand, ehe ich aussteigen will. „Wir… wir sind in Gedanken bei dir, okay?“

Diese kleine Geste bedeutet mir alles. Ich weiß, John B und Topper waren keine Freunde, aber sein Mitgefühl mir gegenüber ist echt. Und das bedeutet mir viel.

Ich steige aus dem Auto und gehe mit zittrigen Schritten zur Kirche.
Ich blende das Getuschel über meine Ankunft aus und hoffe einfach, den Tag zu überstehen. Fast ganz Figure Eight sitzt in der Kirche. Ich blicke zu meiner Mutter, die vorne am Altar steht und sich mit dem Pastor unterhält.
Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, vielleicht ein Lächeln, eine Geste, dass ich zu ihr nach vorne darf.

Aber die ganze vordere Reihe ist besetzt, und meine Mutter straft mich mit ihrem eisigen Blick.
Ich senke meinen Blick und setze mich in die hinterste Reihe.

„Darf ich?“ fragt eine mir bekannte Stimme. Es ist Rafe. Charmant lächelnd wie immer steht er da, in einem eleganten Anzug.

Ich nicke und lasse ihn neben mir Platz nehmen. Ich bin froh, dass er sonst nichts sagt. Ich weiß nicht, wie ich heute auf einen seiner Kommentare reagieren würde.

Der Pastor bittet um Ruhe und beginnt mit dem Gebet. Ich bin kein wirklich gottesfürchtiger Mensch, aber ich glaube, dass es etwas auf der Welt gibt, das größer ist als wir.

Nach dem Gebet übergibt er das Wort an meine Mutter, die mit zittrigen Beinen an das Pult tritt.

„Liebe Familie, liebe Trauergemeinde,“ beginnt sie, für meinen Geschmack etwas zu gekünstelt. Ich weiß, dass sie Topper vermisst, aber ich weiß auch, dass sie jede Rolle perfekt spielen will. Selbst die der trauernden Mutter.

„Wir sind alle hier, um meinem Sohn Topper James Thornton die letzte Ehre zu erweisen. Topper war ein guter Sohn, ein liebevoller und gutmütiger Mensch, und es schmerzt mich, heute hier zu stehen. Eine Mutter sollte nie ihren Sohn zu Grabe tragen müssen,“ sagt sie mit bebender Stimme und wischt sich die nicht vorhandenen Tränen aus den Augen.

„Vor allem, wenn man bedenkt, unter welchen Umständen mein Sohn gestorben ist.“
Ich schlucke schwer und greife instinktiv nach Rafes Hand. Ohne Halt schaffe ich das nicht.

„Aus dem Leben gerissen von diesen Pogues,“ ruft sie, und ich schwöre, ihr Blick gilt nur mir.

„Ganz ruhig,“ flüstert Rafe und streicht mir über den Handrücken. Ich senke meinen Blick und versuche, alles um mich herum auszublenden. Ich bin froh, dass der Pastor sie unterbricht, bevor sie noch einen Aufstand anzettelt. Es wäre meiner Mutter zuzutrauen.

„Jetzt noch ein paar Worte von Rafe Cameron.“

Überrascht blicke ich zu ihm. Ein Raunen und Gemurmel gehen durch die Menge. Nach all dem, was passiert ist, hätte wohl niemand damit gerechnet.

Mit selbstbewussten und großen Schritten geht er nach vorne. Sofort nimmt er den ganzen Raum für sich ein.

Er räuspert sich kurz, ehe er an das Mikrofon tritt.
„Danke, Cheryl, für deine bewegenden Worte,“ sagt er und deutet auf meine Mom.

„Und ich stimme ihr zu: Topper war ein guter Mensch. Er war immer für alle da und hat seine Familie, insbesondere seine Schwester Laura, sehr geliebt. Aber wie viele wissen, es aber vielleicht nicht wahrhaben wollen, ist Topper nicht durch die Hand eines Pogues gestorben.“

Erneut geht ein aufgeregtes Gemurmel durch die Menge. „Er wurde erschossen, als er versuchte, die Menschen zu beschützen, die ihm wichtig waren. Er war ein Held. Und das ist alles, was man über diese Nacht wissen muss. Die Pogues sind unschuldig.“

Ohne eine Reaktion abzuwarten, geht er mit demselben Selbstbewusstsein vom Altar und läuft lässig zur Kirche hinaus.

„Ähm... na gut, dann wird es wohl Zeit für ein Lied,“ versucht der Pastor, die Lage zu beruhigen. Doch seine Worte hallen nach.

Zumindest bei mir.

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