Hektor

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Mit einer gefühlten Vollbremsung kam der Wagen zum stehen. Ich hörte nur wie sie die Autotüren zuknallten und miteinander sprachen aber verstehen konnte ich sie nicht.

Mit voller Wucht trat ich gegen den Deckel und schrie „ihr Scheiß  Wichser! Lasst mich hier raus!"
Alles war so dunkel und eingeengt. Dieses Wissen, hier auf engstem Raum zu sein und kaum noch genügend Sauerstoff zu bekommen, beklemmte mich.
Ich fühle mich in meine Kindheit zurückversetzt, als meine Eltern sich stritten und ich mich in ihrem Kleiderschrank versteckte. Dort roch es nach ihnen und es vermittelte mir Sicherheit, wie ich sie mir immer gewünscht hätte.
Meine Mutter suchte mich danach immer und fand mich jedes Mal dort. Zusammen gekauert und weinend unter ihren Mänteln.
Sie nahm mich in den Arm und versprach mir jedes Mal aufs Neue, dass es sich ab heute ändern würde.
Versprechungen die jedes Mal ins Leere gingen.

Meine Gedanken wurden unterbrochen als der Deckel des Kofferraums aufgerissen wurde. Man umfasste meine Schultern und hiefte mich hinaus.
Jemand packte mich grob am Arm und zog mich hinter sich her. Zunächst wehrte ich mich dagegen obwohl ich wusste dass es absolut nichts bringen würde.

Ich hörte wie die Kieselsteine unter unseren Schuhsohlen knirschten und raschelten. Hin und wieder stolperte ich fast, da ich meine Füße nicht sah und nicht schritt halten konnte.

Eine Tür öffnete sich laut und die Stimmen wurden deutlicher.
Ein schallendes Händeklatschen ertönte und ich schrak zusammen.

„Adam, mein Junge...Du hast doch nicht geglaubt, dass ich dich das durchgehen lasse?"
Hektors Stimme war tief und bedrohlich, es schwang aber auch eine gespielte Freundlichkeit mit.

Auf einmal setzte man mich ruppig auf einen Stuhl und riss mir den Beutel vom Kopf. Meine Augen brauchten einen Moment bis sie sich an die Helligkeit des Raumes gewöhnten.

Ich sah mich um und erkannte Hektors Fitnessstudio wieder. Es war deutlich in die Jahre gekommen. An den Wänden kam langsam der Putz herunter und die Geräte hatten auch schon bessere Zeiten gesehen. Der Duft von Schweiß, Zigaretten und alter Farbe hing in der Luft.
Es war beißend und ich konnte gerade so eine Grimasse unterdrücken.

Mein Blick blieb an Hektor haften, der mit verschränkten Armen mehrere Schritte von mir entfernt stand.

„Was willst du von mir?" brachte ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor.
Hektor lachte nur.
Er zündete sich eine Zigarette an.
„Du schuldest mir was."

„Wieso sollte ich dir etwas schulden?" fragte ich grimmig.
Ich wüsste wirklich nicht, was ich diesem Mann schulden sollte. Er hatte nie etwas für mich getan, was ich begleichen müsste.

„Bist du schon immer so dumm gewesen?" lachte er.
„Du hast dich bei mir durch geschnorrt" Seine Miene wurde nun ernst.

Ich zog an meinen Fesseln, doch nichts lockerte sich.

„Durchgeschnorrt?" zischte ich. Wovon faselte der alte Mann?
„Du hast all unsere Vitamine genommen ohne auch nur einen Cent zu zahlen. Ich war zu nett zu dir und sah in dir quasi einen Sohn. Ich habe dich bekannt gemacht in unserer Szene und von dir bekomme ich nur Respektlosigkeit!"

„Bitte was? Vitamine?" brüllte ich vor Wut. So wollte er das ganze also drehen.
„Erstens waren das Illegale Substanzen, die du mir als Minderjähriger gegeben hast! Zweitens waren das illegale Kämpfe, die im Keller stattgefunden haben! Du solltest froh sein, dass ich nicht die Bullen eingeschaltet habe!"

Hektor kam auf mich zu und boxte mir in den Bauch. Ich hustete vor Schmerzen.

„Du undankbarer Bastard. So bist du zu der Hand die dich fütterte? Ich gab dir einen Unterschlupf, einen Zufluchtsort und habe dich groß gemacht. Du Bengel bist einfach abgehauen und hast mir sogar Geld gestohlen!"

Fuck, an das Geld hatte ich nicht mehr gedacht. Als ich geflohen war, schnappte ich mir heimlich aus seinem Büro die Wetteinnahmen und rannte um mein Leben.
Wieso wartete er all die Jahre und kam jetzt erst auf mich zu? Nicht dass ich mich beschwerte aber es wunderte mich.

„Ich habe das Geld noch irgendwo. Ich gebe es dir zurück" versuchte ich einen Deal auszuhandeln.

„Nein nein, damit ist es nicht getan. Du wirst es dir verdienen müssen" sagte der nach all den Jahren nicht mehr ganz so große aber dennoch breite Mann. Seine schwarzen Haare waren glatt nach hinten gegelt und seine schiefe Nase zierte eine Narbe.
Ich sah ihn fragend an. Verdienen?

„Du kämpfst heute Nacht und du gewinnst, ansonsten bist du ein toter Mann oder deine kleine Freundin wird leiden. Das überlege ich mir noch" sagte er gelassen und warf seine Zigarette auf den dreckigen Boden um sie auszutreten.
Er spuckte direkt daneben auf den Boden „aufwischen!"
Ein Junge, kaum älter als ich damals trat an seine Seite und kniete sich auf den Boden um den Dreck zu entfernen. Er erinnerte mich an mich selbst als ich Hektor um Hilfe bat.

Machte er mit ihm das selbe wie mit mir? War das sein neuer Schützling?

Der Junge war schlank und vermutlich gerade erst dabei. Beim genaueren Betrachten kam er mir sogar bekannt vor. Ich hatte ihn schon einmal irgendwo gesehen.
Als der brünette Junge aufstand und sich die Hosenbeine abklopfte kreuzten sich unsere Blicke.
Er erkannte mich ebenso. Er riss die Augen auf und sah verlegen wieder zu Boden.

Mein Schüler!
„Nick!" rief ich. Wie war er hier nur gelandet?
Nick sah mich nicht an.

„Du kennst den Bengel? Dann musst du für ihn ja eine riesige Enttäuschung sein wenn du verlierst" sagte Hektor grinsend.
„Lass ihn daraus! Er hat das alles nicht verdient" knurrte ich.

Er schüttelte den Kopf und umfasste Nicks Schulter um ihn näher zu sich zu ziehen.
„Er ist gut weißt du? Er ist nicht nur schlau sondern kann auch kräftig sein. In der Schule werden Streber wie er fertig gemacht und er bat mich ihn zu trainieren um sich zu wehren. Seine Aggressionen sind genau so aufgestaut wie deine Adam. Es wird schwer ihn so gut zu bekommen wie dich aber ich bin guter Dinge."

Dieses Arschloch wird das Leben des Jungen genau so ruinieren wie meins. Ich konnte ihn das nicht durchgehen lassen.

„Ich werde nicht noch einmal für dich kämpfen!" stellte ich fest und versuchte mich erneut zu befreien.  Dieses Mal lockerte sich das Seil und ich riss mich los. Mit schweren Schritten auf die beiden zu, machte ich mich auf einen faustkampf mit Hektor bereit.

Hektor schnappte sich Nick und platzierte den panisch drein blickenden Jungen vor sich wie ein Schutzschild. Sofort blieb ich stehen.
„wenn du etwas dummes tust, stelle ich ihn in den Ring und lasse den Kampf für dich austragen."

Mein Puls war so hoch, ich fürchtete zu explodieren. Ich lockerte meine Fäuste, nachdem ich tief ein und aus geatmet hatte.

„Ich mache es" sagte ich ergeben. Ich hatte keine andere Wahl. Wenn ich es nicht täte, würde jemand dafür büßen müssen.

Diese Schuld wollte ich nicht tragen.

My Brothers best Friend Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt