~ Santaville 2177 ~
Gelangweilt sitze ich in dem großen, schwarzen und äußerst bequemen Ledersessel, der im Wohnzimmer meiner neuen Bleibe steht und starre abwesend auf die paar wenigen Habseligkeiten hinab, die ich besitze. Oder besser gesagt auf die Kiste, in der sich die Erinnerungen meines 2.435 - jährigen Lebens befinden. Ziemlich erbärmlich, das muss ich zugeben. Aber ich benötige nicht viel und bin auch kein gefühlsdusseliges Wesen, das sich krampfhaft an die Vergangenheit klammert.
Das, was ich zum Leben brauche, kaufe ich mir zudem immer wieder neu. Ich benutze schließlich keine gebrauchten Sachen. Das wäre ja noch schöner gewesen! Meistens lasse ich mich sowieso nie länger, als zwei Jahre an ein und demselben Ort nieder. Ständig alle Möbel und den ganzen anderen Kram rund um die Erde mit sich herum zu schleppen, wäre mir dann doch zu blöd gewesen. Außerdem ist das Beste gerade gut genug für mich, weshalb ich mir immer das Neuste vom Neusten hole, was gerade auf dem Markt angeboten wird. Ich bin schließlich kein Normalo und über Geld muss ich mir auch keine Sorgen machen. Etwas Geringeres würde also gar nicht zu mir passen.
Mit einer Hand angle ich nach dem weißen Smartphone, das auf dem Glastisch neben mir liegt und überprüfe meine Nachrichten. Zuerst schaue ich bei Facebook vorbei. Ein abfälliges Schnauben entfährt mir. 1.200 Freundschaftsanfragen und 2.000 neue Likes. Ich verziehe verächtlich den Mund. Heutzutage ist es, dank der sozialen Netzwerke, so verdammt leicht geworden, neue, potentielle Opfer zu finden. Ich könnte jeden anschreiben und er würde mir nach den ersten fünf Minuten aus der Hand fressen. Erbärmliches Pack!
Es ist schon anstrengend genug, wenn jeder genau die Person in einem sieht, die er vor sich haben möchte. Mit einer kleinen Einschränkung. Ich kann nur männliche Wesen verkörpern. Aber das ist auch gut so. Weiblich wollte ich ehrlich gesagt dann doch nicht sein. Das wäre zu viel des Guten gewesen.
Seit es in der Welt nur noch um Sex, Ansehen und Geld geht, ist meine Jagd sowieso um einiges langweiliger geworden. Zum Einschlafen. Ohne diesen dämlichen Wertewandel, wäre der Nervenkitzel eindeutig höher gewesen. So bleibt mir jedoch nichts anderes übrig, als nach den harten Brocken unter den Menschen zu suchen, die einen zu Beginn nicht an sich heran lassen wollen. Doch das ist wie die berüchtigte Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Und trotzdem denke ich gar nicht daran, mich nur mit den Schwachen zu begnügen. So leicht gebe ich nicht auf. Niemals. Das Wort Aufgeben und mein Name werden auf keinen Fall in ein und demselben Satz genannt. Das ist ein ungeschriebenes Naturgesetz. Außer es heißt: "Die Opfer von Thomas Crowen geben auf." Das ist natürlich etwas anderes. Schließlich passiert sowas ständig.
Bei dem Gedanken an eine widerspenstige Seele, läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Ich kann ihren lieblichen Geschmack geradezu auf der Zunge wahrnehmen. Der Geschmack nach Sonnenschein und einer kleinen, salzigen Meeresbriese. Seelen aufzuspüren, die sich mir widersetzen und die Größe besitzen, nicht sofort auf mein Äußeres hereinzufallen, sind hierbei mein Spezialgebiet. Denn diese sind sowieso die Besten. Schmecken auch ganz anders. Irgendwie süßer und reiner. Genau aus dem Grund bin ich auch an diesen Ort hier zurückgekehrt. Santaville. Der Platz, an dem ich meinem ersten Menschen die Seele geraubt habe. Das Städtchen war schon immer für seine herausfordernden Bewohner bekannt. Warum auch immer.
Mein Magen meldet sich knurrend zu Wort. Ich habe schon viel zu lange nicht mehr richtig gespeist. Nur vor knapp einer Woche, die Seelen von zwei Mädchen in einer Bar, als ich noch auf der Durchreise nach Santaville gewesen bin. Die waren mir bereits nach der ersten Minuten verfallen. So lächerlich einfach und vor allem nicht gerade schmackhaft. Das ist so, als ob man Bier ohne Alkohol trinken würde. Eine grauenvolle Sache. Gehört eigentlich verboten.
Mit dem Finger scrolle ich meine Privatnachrichten durch, nur um festzustellen, dass ich bereits wieder unzählige Liebesgeständnisse erhalten habe. Ein blond gefärbtes Mädchen, das wie Heidi Klum in jungen Jahren aussieht und ein Bikinifoto von sich als Profilbild hat, schreibt zum Beispiel:
DU LIEST GERADE
Faceless - Ewige Verdammnis
FantasyEin Verlangen, das dein Leben beherrscht. Ein Treffen, das dein Leben verändert. Ein Ende, das ein Anfang ist. ~ ~ ~ Thomas ist ein Dämon. Oder zumindest nennt er sich selbst so. Eigentlich gibt es keine genaue Bezeichnung für das, was er ist. Ande...