Gedankenverloren

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Die Zeit scheint still zu stehen. Aber nicht auf diese positive Art und Weise, wie das ab und zu der Fall ist, wenn ich eine Seele raube und dabei gierig dieses süße, reine Gefühl der Menschen in mich aufsauge, als sei ich ein Verdurstender, der nach dem rettenden Wasser lechzt. Es ist eher, als hätte jemand bei einem Film auf den Slowmotionknopf gedrückt, der nun klemmt, weshalb man diesen Vorgang leider nicht mehr rückgängig machen kann und das, obwohl jeder eigentlich unbedingt wissen möchte, wie er endet. Nun geht die Handlung jedoch einfach nicht voran, egal was man auch tut und man muss machtlos darauf hoffen, dass endlich die Stelle kommt, an der sich alles aufklärt. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Ein viel zu weiter Weg, um genau zu sein. Es scheint vorerst kein Ende in Sicht.

Batdog liegt regungslos vor mir, an eine Infusion angeschlossen, durch die immer wieder eine klare Flüssigkeit in seine Venen tropft. Seine Atmung ist flach und es erweckt beinahe den Anschein, als wäre er bereits mehr tot, als lebendig. Immer wieder muss ich mich selbst davon überzeugen, dass er noch am Leben ist. Dabei befürchte ich jedes Mal auf's Neue festzustellen, dass es nun mit ihm zu Ende geht und ich kein Heben und Senken seines Brustkorbs mehr wahrnehmen kann. Doch bis jetzt kämpft er tapfer weiter.

Ab und zu dringt ein leises, erbärmliches Winseln an mein Ohr, was mich erschrocken zusammenzucken lässt. Doch wenn ich nachsehe, liegt er noch immer regungslos an Ort und Stelle, als wäre nichts gewesen. Die ganze Zeit über hält er dabei seine Augen geschlossen, sodass ich nicht dieses helle, glänzende Funkeln darin ausmachen kann, das mich vom ersten Augenblick an beeindruckt hat. Auch, wenn ich es mir zu Beginn nie eingestanden hätte.

Dieser Köter, durch dessen struppiges Fell ich immer wieder mit den Fingern streiche, als sei es ein Mantra, hat einfach eine Stärke in den Augen, die nur Wesen in sich tragen, die in ihrem Leben bereits viel zu viel haben durchmachen müssen. Und trotzdem hat Batdog nie aufgegeben. Keine Sekunde lang. Warum es im Moment so aussieht, als würde er es tun, verstehe ich nicht. Er darf sich nicht hängen lassen! Das ist nicht richtig.

Die vernichtende Diagnose, die der Tierarzt mir nach der ersten Untersuchungen an den Kopf geworfen hat, lautet akute Vergiftung. Man kann zwar noch nicht genau sagen, wie diese zustande gekommen ist, aber man hat Batdog eine Blutprobe entnommen, um diese im Labor untersuchen zu lassen und so Genaueres feststellen zu können. Nun bleibt mir jedoch erst einmal nichts anderes übrig, als abzuwarten und zu hoffen, dass mein Kumpel sich früh genug erbrochen hat und somit keine bleibenden Schäden davonträgt. Denn wenn nicht, dann würde ich... Amely das nicht verkraften.

Das Warten gefällt mir ganz und gar nicht. Ich habe untätiges Herumsitzen schon immer gehasst. Das liegt nicht in meiner Natur. Ich bin nicht gut darin. Es ist absolut nicht meine Stärke. Eigentlich muss ich immer etwas tun, sonst fühle ich mich so... so... keine Ahnung... es ist einfach nicht mein Fall.

"Ist vielleicht hilflos das Wort, das du suchst? Na das sind ja ganz neue Vokabeln in deinem Sprachgebrauch. Halte dich ran und lerne sie fleißig auswendig, Weichei! Du wirst sie brauchen", mischt sich die nervtötende Stimme in meinem Kopf hämisch ein, die mich seit neustem zu verfolgen scheint. Es ist, als hätte sich das kleinen Rumpelstilzchen in meinem Gehirn eingenistet und würde mich so auf Schritt und Tritt verfolgen, selbst in meinen Gedanken.

Ich übergehe die Stichelei jedoch und konzentriere mich auf die leblose Gestalt vor mir. Schließlich geht es hier um Batdog und nicht um irgendeinen dämlichen Menschen, der mich auf die Palme bringt. Um so jemanden würde ich nicht trauern. Aber dieser Hund hier... er ist mir so ähnlich. Das kleine Rumpelstilzchen hatte in gewisser Weise also durchaus recht. Ich finde viel von mir in ihm wieder. Das ist mir zuvor zwar noch nicht so stark bewusst gewesen, aber ja, es stimmt. Er hat diese eiserne Stärke und diesen unbeugsamen Willen, den auch ich besitze und an mir schätze. Ein unbestechlicher Einzelkämpfer. Einer, der sich von nichts und niemandem klein machen lässt. Das ist eine wirklich bemerkenswerte Eigenschaft.

Unruhig rutsche ich auf dem Boden hin und her und fahre mir mit den Fingern durch die Haare. Ich weiß überhaupt nichts mit mir anzufangen. Immer wieder schiele ich unruhig auf die Uhr, aber die Zeiger scheinen erstarrt zu sein. Zum mindestens hundertsten Mal öffne und schließe ich Facebook wieder. Ich kann mich auf nichts konzentrieren. Egal, was ich auch versuche, um mich abzulenken, es nützt nichts. Ich bin gefangen in diesem schockartigen Zustand, der mich eisern in seinem starken Griff gefangen hält und mir so die Luft zum Atmen raubt.

Irgendwann hinterlasse ich dem kleinen Rumpelstilzchen eine kurze Nachricht, in der ich sie über die neusten Entwicklungen im Fall Batdog aufkläre, wenn auch schonend und nicht ganz der Wahrheit entsprechend. Schließlich will ich nicht, dass sie vor Sorge stirbt, bevor ich ihr die Seele rauben kann. Das wäre ziemlich unpraktisch. Denn selbstverständlich freue ich mich trotz allem bereits auf das große Festmahl, das bald folgen wird.

"Siehst du, da ist sie schon wieder. Deine verweichlichte Seite tritt immer häufiger in Aktion. Du willst nicht, dass es Amely schlecht geht? Da haben wir den Beweis. Du hast sie sicherlich zu deinem Schützling gemacht", weist mich diese neue, innere Stimme auf Dinge hin, die absolut lächerlich sind und niemals so eintreten werden. Ich habe doch gesagt, dass ich nur Amelys Seele will. Das ist alles. Was auch immer mein Gehirn sich hier wieder zusammenfantasiert, es ist total absurd. Ich hasse dieses Mädchen. Sie ist eine elendige Nervensäge. Total gestört. Wenn ich mich nicht schon mehr, als alles andere auf ihr Licht freuen würde, hätte ich ihr schon längst das Genick gebrochen oder sie so lange gefoltert, bis sie mich anbettelt sie endlich zu erlösen. Mit dem größten Vergnügen.

Faceless - Ewige Verdammnis Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt