Ich setze mich aufrecht hin und straffe meine Schultern. Irgendetwas muss ich tun, sonst drehe ich noch durch. Ich muss mich gefälligst zusammenreißen.
Also gehe ich dazu über, mir die Nachrichten dieser verabscheuungswürdigen Person durchzulesen. Schließlich habe ich noch immer vor, eine Seele zu rauben und das werde ich mir auf keinen Fall entgehen lassen. Ich werde das Licht dieser Bitch verspeisen und anschließend vergessen. Ja, das ist eine gute Idee! Diese Reihenfolge erscheint mir eindeutig logischer. Und die paar Tage, bis ich endlich das Vertrauen des kleinen Rumpelstilzchens gewonnen habe, werde ich den Schmerz schon noch ertragen. Andere müssen das schließlich ein Leben lang tun. Da schaffe ich das erst recht.
"Thomas!!! Ich versuche dich jetzt schon die ganze Zeit zu erreichen. Verdammt nochmal, du sturer Ochse! RUF MICH AN!!!" [8:34 Uhr]
"Ich hasse dich wirklich, glaube mir und nach dem, was du gestern abgezogen hast, bist du für mich gestorben. Aber ich muss dir trotzdem etwas Wichtiges sagen!" [8:40 Uhr]
"Ahhhh! Warum renne ich dir eigentlich hinterher? Um ehrlich zu sein, hättest du es ja verdient, dass ich dir das, was ich dir erzählen will, alles verschweige. Da es aber tatsächlich deinetwegen ist, warum es jetzt so gekommen ist, wie es gekommen ist, kann ich das irgendwie doch nicht tun." [9:57 Uhr]
"Also melde dich gefälligst oder ich bringe dich noch um!" [11:09 Uhr]
"Ich stoße dich von einer Brücke, wenn du es nicht erwartest!" [11:10 Uhr]
Ich werfe dich vor einen Zug! [11:10 Uhr]
Ich überfahre dich mit deinem eigenen Auto, das noch immer hier steht!" [11:11 Uhr]
"Ich breche dir jeden Knochen einzeln!" [11:11 Uhr]
"Ich lasse dich ausbluten!" [11:11 Uhr]
"Ich erwürge dich mit deinem Gürtel!" [11:11 Uhr]
"Ich lege dir einen Strick um den Hals und binde dich an die nächste Straßenlaterne!" [11:12 Uhr]
"Ich spicke dich mit den Stacheln meiner Kakteen!" [11:12 Uhr]
"Ich stecke dich in den Backofen und verfüttere dich an die Hunde!" [11:14 Uhr]
"Wobei, nein, vergiss das Letzte. Meine armen Lieblinge! Das gäbe einen zu großen Gammelfleischskandal." [11:15 Uhr]
"Besser ich verfüttere dich an ein paar Schweine. Dann bist du gleich bei Deinesgleichen." [11:16 Uhr]
"Ja, das hört sich nach einem Plan an. Und dann schreibe ich auf dein Grab: Hier ruht ein scheiß Schwein." [11:17 Uhr]
"Verstehst du? Die Scheiße der Schweine. Mehr ist dann nämlich nicht mehr von dir übrig" [11:17 Uhr]
Ungläubig starre ich auf die Nachrichtenflut hinunter und schüttle verwirrt den Kopf. Was zur Hölle ist das? Ich lese alles noch einmal in Ruhe durch, was ich bei dem Mist, mit dem mich das kleine Rumpelstilzchen ständig zuspamt, wohl jedes Mal auf's Neue tun muss. Dabei lache ich kopfschüttelnd auf, als ich die Morddrohungen ein drittes Mal durchgehe. Amely ist wirklich unglaublich. Was läuft in ihrem kranken Hirn nur falsch?
Trotzdem hat sie es nun tatsächlich geschafft meine Neugier zu wecken. Vielleicht auch gerade wegen den ganzen Morddrohungen, die zugegebenermaßen ziemlich kreativ sind. Es ist erfrischend einmal kein Liebesgeständnis, sondern so etwas, wie das hier, zu erhalten. Das mag sich jetzt vielleicht verrückt anhören, aber es entspricht der Wahrheit.
Ich wähle noch immer etwas amüsiert ihre Nummer und warte auf das Freizeichen. Gleich nach dem zweiten Klingeln hebt das kleine Rumpelstilzchen ab und schreit mit voller Lautstärke in den Hörer, sodass ich vor Schreck beinahe vom Stuhl gekippt wäre:
"Was fällt dir eigentlich ein, du blöder Wichser? Du bist so ein mieser Arsch! Versuchst mich fertig zu machen, weil ich das Beste für Batdog will! Du bist so behindert!"
Angewidert hebe ich das Handy ein Stück von meinem Ohr weg und warte darauf, dass sie sich endlich wieder etwas beruhigt hat. Da ist aber jemand heute mit dem falschen Fuß aufgestanden. Oder gleich mit zwei falschen Füßen und zwei falschen Armen.
"Bist du jetzt fertig? Ich freue mich auch deine liebreizende Stimme zu hören. Die versüßt einem immer wieder den Tag", lächle ich schmeichelnd. Natürlich macht Amely das nur noch um so wütender. Aber das war ja auch genau mein Plan. Es macht viel zu viel Spaß sie zu reizen. Ich kann es einfach nicht lassen.
"Hör auf damit, du Depp! Du bist so erbärmlich! Sei froh, dass ich überhaupt noch mit dir rede, nachdem du dich einfach so verdrückt hast, du Weichei! Du bist so erbärmlich!"
"Naja, ich bin nicht derjenige, der Batdog einfach so aufgegeben hat. Das warst du", kann ich mich nicht bremsen. Ich weiß, dass das für mein Vorhaben ihre Seele zu rauben nicht gerade förderlich ist, aber gut. Das stört mich im Moment kein bisschen.
Ein spannungsgeladenes Schweigen entsteht, wobei ich auf der anderen Seite des Hörers ein scharfes Einziehen der Luft hören kann. Wie es scheint, habe ich sie nun wohl endgültig zur Weißglut gebracht.
"Ich war das? Ich war das?! Ach ja? Wer hat ihn denn alleine gelassen, weil er mit der Situation überfordert war? Ich nicht! Ich habe um ihn gekämpft und würdest du mich nicht so blöd von der Seite anmachen, wüsstest du mittlerweile auch schon, dass ich ihn gerettet habe, verdammt nochmal!"
Gerade will ich zu einem patzigen Kommentar ansetzen, als ich stocke. Was? Wie? Hä? Sie hat ihn gerettet? Aber ich dachte Batdog wäre längst eingeschläfert worden.
"W... w... was?", stottere ich verblüfft. Mit ihren letzten Worten hat sie mir allen Wind aus den Segeln genommen. Ich sacke kraftlos in mich zusammen, wie eine Marionette, der man die Fäden durchtrennt hat und greife nach der Flasche vor mir. Ich stürze die Hälfte davon auf ex hinunter, woraufhin es mich heftig schüttelt. Will sie mich verarschen? Das ist gerade nicht einmal ansatzweise witzig. Damit macht man keine Scherze.
"Ja, du hast richtig gehört, du Schnarchnase! Batdog geht es schon wieder besser. Ich habe veranlasst, dass noch eine zweite Blutprobe genommen wird. Und weißt du was? Es kam heraus, dass sie die Proben im Labor vertauscht haben. Vertauscht! Kannst du dir das vorstellen?", fährt sie mich aufgebracht an und schnaubt anschließend verächtlich auf.
Ich verschlucke mich an dem Bacardi-Cola, der gerade in meinem Mund ist, spucke alles prustend wieder aus und verpasse mir damit selbst eine kleine Dusche. Wie? Im ernst jetzt? Das war kein Scherz von ihr, um mich weiter zu reizen?
"Du hast was?", frage ich sicherheitshalber noch einmal nach. Vielleicht habe ich mich ja einfach nur verhört. Bei meinem derzeitigen Zustand scheint schließlich alles möglich zu sein. Im Augenblick bin ich nicht mehr so ganz zurechnungsfähig.
"Ich habe noch einmal alles überprüfen lassen, nachdem du mich so doof von der Seite angemacht hast. Eigentlich würde ich dir dafür ja am liebsten einen Stein an den Kopf werfen, aber da Batdog dadurch überlebt hat, bin ich dir auch irgendwie dankbar, dass du mich dazu gebracht hast", gibt das kleine Rumpelstilzchen zu. Ich bin nach dieser Offenbarung erst einmal sprachlos. Mein Gehirn ist mit diesen neuen Informationen heillos überfordert. Verstehe ich das gerade richtig?
Batdog wird nicht streben, er lebt.
Dank dem kleinen Rumpelstilzchen werde ich ihn wieder sehen können.
Ich bekomme womöglich doch einen Wachhund.
Meinen Wachhund.
Mein Kumpel hat es gepackt!
Ich wusste es doch von Anfang an!
Ein langgezogener Freudenschrei verlässt meine Kehle und ich bin schneller auf den Beinen, als man Faceless sagen kann. Ausgelassen hüpfe ich auf meinem Balkon auf und nieder und bin so glücklich, wie schon lange nicht mehr. Dabei ist es mir ganz egal, dass es bestimmt bescheuert aussieht, wie ich hier grinsend über den Balkon renne, als sei ich ein Honigkuchenpferd auf Crack.
Ähm... naja... zumindest bis zu dem Moment, als sich das kleine Rumpelstilzchen wieder zu Wort meldet.
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Faceless - Ewige Verdammnis
FantasyEin Verlangen, das dein Leben beherrscht. Ein Treffen, das dein Leben verändert. Ein Ende, das ein Anfang ist. ~ ~ ~ Thomas ist ein Dämon. Oder zumindest nennt er sich selbst so. Eigentlich gibt es keine genaue Bezeichnung für das, was er ist. Ande...