Sichtungen

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Der Mittag kommt und ich verspüre schon wieder die Lust etwas Leckeres zu mir zu nehmen. Da eine Seele im Moment flach fällt, beschließe ich mir einen Döner zu gönnen. Also rapple ich mich auf, klopfe mir den Staub von der Hose, befülle den Fressnapf von Batdog und verabschiede mich mit dem Versprechen bald wieder zu kommen.

Mein neu gewonnener Kumpel bellt einmal bekräftigend, als hätte er mich verstanden und blickt mich mit seinen wachen, braunen Augen treuherzig an. Das wütende Funkeln ist dabei beinahe ganz aus ihnen verschwunden. Mir gefällt, was ich da sehe. Ich lächle über meinen kleinen Erfolg, gehe aus dem Zwinger hinaus und schließe hinter mir ab. Es ist seltsam, aber dieser Köter schafft es tatsächlich immer wieder meine Laune zu bessern. Das ist wirklich ein einmaliges Phänomen.

Ich habe keine Lust das Auto zu nehmen und beschließe daher in die Stadt zu laufen. Es ist ein schöner, sonniger Tag. Bienen summen in den Vorgärten von Blume zu Blume, Vögel zwitschern in den Bäumen und alle Menschen scheinen mit einem Mal viel glücklicher zu sein. Ich verziehe angewidert das Gesicht. Den Sommer mochte ich noch nie wirklich. Ich bin eher der Wintertyp.

In meinen Augen gibt es nichts Besseres, als frostige Tage mit Schnee und Eis. Vor allem, da ich dann auch meinem liebsten Hobby - abgesehen von meinem Faible dafür, Angst und Schrecken zu verbreiten oder Seelen zu rauben - nachgehen kann. Nämlich Snowboard fahren. Darauf freue ich mich schon sehr. Bei meinem letzten Wohnort hatte ich nämlich leider darauf verzichten müssen. In einem Tropengebiet findet man eher weniger Schnee. Hier, in der Nähe von Santaville, gibt es jedoch riesige Skipisten und frostige Winter. Perfekt also, um seinen Spaß zu haben.

Ich ziehe meine Sweatshirtjacke aus, die viel zu warm für diese Jahreszeit ist. Verstecken muss ich mich schließlich nicht. Ich habe nichts zu befürchten. Die Mordermittlungen im Fall Larissa Parker habe ich in den Medien gespannt verfolgt und dabei mit Genugtuung festgestellt, dass die Polizei von einem Raubmord ausgeht. Bis jetzt haben sie zwei Verdächtige festgenommen, die nun in Untersuchungshaft sitzen. Mal sehen, ob einer von denen am Ende wirklich eingebuchtet wird. Lustig wäre es auf jeden Fall.

Ich komme in der Fußgängerzone an und erkenne sofort von weitem die Dönerbude, zu der ich will. "Eddie's Bistro" steht in bunten Buchstaben darüber und verleiht dem kleinen Laden einen kirmesartigen Flair, was eigentlich so gar nicht passend erscheint. Aber was soll's. Die Hauptsache ist, dass es schmeckt. Ich freue mich schon auf einen saftigen Döner mit extra viel Fleisch oder von mir aus auch zwei, auch wenn ich das natürlich nicht unbedingt brauche. Mein Hunger wird schließlich von anderen Sachen gestillt.

Gerade will ich die letzten Meter bis zum Eingang überwinden, als mich eine kleine Sache stutzig macht. Aus dem Augenwinkeln nehme ich eine Gestalt wahr, die mir seltsamerweise irgendwie bekannt vorkommt. Ich drehe mich überrascht um und erkenne ein rotes Vogelnest, das die Straße entlangspaziert. Seelenruhig und putzmunter. Verdutzt reibe ich mir ein paar Mal über die Augen, bis ich es wirklich glauben kann. Da schlendert doch tatsächlich das kleine Rumpelstilzchen völlig gelassen durch die Fußgängerzone, während ihr dieser Schnösel von ihrem WhatsApp Profilbild wie ein kleines Hündchen dicht auf den Fersen folgt. Das darf doch jetzt wohl nicht wahr sein! Die? Hier?

Schnell mache ich eine Kehrtwendung und eile breit grinsend auf die Beiden zu. Na der werde ich etwas erzählen.

"Hallo! Amely! Hey! Hier drüben!", rufe ich laut, sodass die Angesprochene abrupt stehen bleibt und sich etwas ertappt zu mir umdreht. Ihr Freund oder was auch immer dieser hässliche Typ ist, tut es ihr nach. Ich winke übertrieben enthusiastisch und schließe zu ihnen auf. Ich kann deutlich erkennen, dass es dem kleinen Rumpelstilzchen sehr unangenehm ist, mich hier zu sehen und ihr seltsamer Schatten blickt ebenfalls nicht gerade glücklich über meine Anwesenheit drein. Was auch immer er in mir sieht, es scheint ihm nicht zu gefallen.

"Hi. Schön dich zu treffen. Ich habe gehört, dass du krank warst. Geht es dir wieder besser?", frage ich zuckersüß und bemüht unschuldig.

"Ähm... Hi... Ja, mir ging es nicht so gut. Ich hatte Grippe und lag die ganze Zeit im Bett. Deshalb konnte ich am Freitag auch leider nicht kommen", druckst sie etwas kleinlaut herum. Ein kleines Flackern ist dabei in ihren Augen zu erkennen, dann schaut sie verlegen zu Boden. Sie lügt. Eindeutig. Ich habe es ja gleich gewusst. Wahrscheinlich hat sie sich mit dem Loser da neben ihr daheim verschanzt und über mich abgelästert. Gut nur, dass mich das kein bisschen juckt. Soll sie doch. Sie schneidet sich damit nur ins eigene Fleisch. Denn je länger sie mich warten lässt, desto grausamer wird ihr eigener Tod sein. Oh ja, sie wird leiden, wie noch nie einer vor ihr gelitten hat. Und das meine ich absolut ernst.

"Freut mich, dass es dir wieder gut geht", lächle ich falsch und wende mich ihrer Begleitung zu, "und wer ist das da?"

Abschätzig mustere ich den Typen von Kopf bis Fuß. Er ist vielleicht fünfundzwanzig, hat dunkelbraune, kurze Haare, seltsame braun-graue Augen, eine leicht spitze Nase und ist einen halben Kopf kleiner als ich. Trotzdem überragt er das kleine Rumpelstilzchen noch immer bei weitem. Aber auch egal. Alles in allem sieht er wie gesagt absolut verachtenswert gewöhnlich aus. Kurz kommt es mir so vor, als würde ich ihn irgendwo her kennen, dann ist dieser Gedanke jedoch sofort wieder verschwunden. Ich mag diesen Typen schon jetzt nicht. Wobei ich sagen muss, dass es bis jetzt auch erst sehr Wenige geschafft haben, meinen Respekt zu erlangen. Ich bin ziemlich wählerisch. Napoléon war zum Beispiel einer von ihnen. Auch wenn er am Ende seiner Herrschaft ziemlich nachgelassen hat. Und natürlich zählt seit neustem auch Batdog zu den Glücklichen. Aber der ist ja auch kein Mensch.

Amely dreht sich nun zu ihrer Begleitung um, als würde sie diese gerade das erste Mal sehen. Sie runzelt leicht die Stirn und erwidert dann:

"Das ist mein Mitbewohner und bester Freund Nicolas. Wir sind schon seit der Oberstufe befreundet."

Ich erkenne sofort einen Schatten, der über Nicolas' Gesicht huscht. Ahhh! Ihm scheint es nicht zu gefallen, dass er nur als bester Freund vorgestellt wird. Pech für ihn. Dumm gelaufen.

Ich fühle eine gewisse Befriedigung in mir aufsteigen. Der Kerl scheint sich wohl mehr zu erhoffen. So ein Trottel! Nun habe ich plötzlich wieder richtig gute Laune. Wie es aussieht, werde ich dieses Nichts da doch nicht beseitigen müssen, um an Amely heranzukommen. Der Tag wird ja immer besser. Keine Ahnung warum, aber auf einmal fühle ich mich richtig gut. Ich könnte Bäume ausreißen.

"Aha. Schön", nicke ich zufrieden und wende mich anschließend wieder dem kleinen Rumpelstilzchen zu. Mir gefällt die Richtung, die unser Gespräch annimmt. So kann es weiter gehen.

Faceless - Ewige Verdammnis Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt