Erzwungene Hilfsbereitschaft

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Wie hypnotisiert starre ich auf den flimmernden Bildschirm des Computers und bin mir nicht sicher, was ich auf die Nachrichten von Amely antworten soll. Ignorieren fällt schonmal weg, da das kleine Rumpelstilzchen gesehen hat, dass ich online war. Also gebe ich mir nach einigem Ringen mit mir selbst einen kleinen Ruck und verfasse eine kurze Nachricht:

"Kein Problem. Du nervst doch nicht. Gerne gehe ich auf deinen kleinen Deal ein und freue mich schon auf das Essen. Mache dir nicht allzu viele Sorgen. Batdog wird das schon packen. Bestimmt ist es nicht so dramatisch. Wie du bereits gesagt hast, er ist eine Kämpfernatur. Ich setze mich gleich ins Auto und schreibe dir, wenn ich mehr weiß. Bis dann. [11:59 Uhr]"

Ich schließe den Chat, um der Versuchung zu widerstehen ein: "War nur ein Scherz", hinterherzuschicken, fahre den Computer herunter und stecke mein Handy in die Hosentasche. Dann mache ich mich mit wenig Begeisterung daran meinen Autoschlüssel zu suchen, den ich jedoch nicht auf Anhieb finden kann. Wo ist der nur wieder abgeblieben? In letzter Zeit verlege ich viel zu viele Dinge. Ich bin einfach so unaufmerksam. Und eigentlich hatte ich für heute ja nicht geplant das Haus zu verlassen, aber was will man tun. Wie bereits erwähnt, besondere Opfer erfordern besondere Maßnahmen.

Gerade, als ich alles beisammen habe und aus der Tür treten will, fällt mir auf, dass mich das kleine Rumpelstilzchen ja genau so sieht, wie ich bin. Daran habe ich seit dem Absturz nach unserem gemeinsamen Essen gar nicht mehr gedacht. Fuck! So kann ich auf gar keinen Fall gehen. Ich sollte mich erst einmal umziehen, die Zähne putzen und mich ein wenig stylen. In einer grauen Jogginghose, einem weiten, dunkelblauen Kapuzenpulli und mit abstehenden Haaren, sehe ich garantiert aus wie ein Penner. Wenn auch ein unverschämt gutaussehender Penner, aber trotzdem.

"Du verwandelst dich mehr und mehr in eine Pussi. Bald zupfst du dir die Augenbrauen und rasierst dir die Beine", warnt mich eine leise Stimme in meinem Hinterkopf.

Augenrollend beschließe ich doch einfach so zu fahren. Allein um diesen Gedanken zu entkräften. Und schließlich kann es sein, dass es Batdog doch schlechter geht, als gedacht und jede Minute zählt. Ich will auf keinen Fall Schuld daran sein, dass er stirbt, weil ich zu viel Zeit im Bad vertrödelt habe. Das würde mir Amely sicherlich niemals verzeihen und eigentlich will ich Batdog ja auch noch immer als meinen Wachhund bei mir aufnehmen. Da würde es eher schlecht kommen, wenn er nun verreckt.

Ich öffne die Haustür und trete hinaus ins Freie. Der Himmel ist grau und wolkenverhangen. Vom gestrigen, strahlenden Sonnenschein ist weit und breit nichts mehr zu erkennen. Nun fallen vereinzelte Regentropfen auf die Erde hinab und verfollständigen so das trostlose Bild. Wäre ich irgendwie poetisch veranlagt, ich hätte sicherlich angenommen, dass der Regen vor Sorge zusammen mit Amely um Batdog weint. Da ich das jedoch nicht bin, sehe ich es nur als weiteren Grund, den Tag für absolut misraten zu erklären. Passt sich eben der allgemeinen Stimmung an.

▪ ▪ ▪

In Rekordzeit bin ich beim Hundehimmel angelangt. Ich parke mein Auto unachtsam an der Straße, wobei mich das Parkverbotsschild kein bisschen juckt. In Windeseile springe ich aus dem Wagen und haste in Richtung Zwinger, ohne mich weiter um die Leute zu kümmern, die sich verwirrt nach mir umdrehen.

Als ich vor Batdogs Käfig angelangt bin, bremse ich abrupt ab. Das Bild, das sich mir dort bietet, hat absolut nichts mehr mit dem zu tun, das mich noch gestern Abend hier erwartet hat. Als ich ihn nämlich um zwanzig Uhr wie versprochen besuchen kam, war mir ein freudig schwanzwedelnder Schäferhundmischling entgegengesprungen, um mich zu begrüßen. Und als wir eine Runde um den Block liefen, hatte er neugierig alles beschnüffelt, was er entdecken konnte. Dieser Hund, der da teilnahmslos auf dem Boden liegt und nicht einmal den Kopf hebt, als ich komme, scheint da ein völlig Fremder zu sein.

"Batdog! Was ist los mit dir, mein Junge?", entfährt es mir erschrocken.

Als der Angesprochene meine Stimme vernimmt, spitzt er kurz die Ohren und dreht sogar den Kopf in meine Richtung, regt sich sonst jedoch nicht. Langsam beginne auch ich mir etwas Sorgen um meinen neu gewonnenen Kumpel zu machen. Das hier ist auf keinen Fall normal.

Ganz plötzlich drängen sich da ungebetene Fragen in mein Bewusstsein:

"Was, wenn er nicht wieder gesund wird? Was, wenn er stirbt? Wie soll ich das dann bitteschön Amely beibringen? Wie soll ich ihr das erklären?"

Sie würde ohne Batdog in ein tiefes, dunkles Loch stürzen und so schnell nicht wieder herauskommen, da bin ich mir sicher. In dieser Hinsicht kenne ich die Menschen nur zu gut. Sie sind schwach, wenn es um Verluste geht. Wen hat sie denn schon, außer ihre Schwester und das Weichei Nicolas? Sie hat mir schließlich selbst gesagt, dass sie nicht wirklich der Gesellschaftsmensch ist. Und ihre Familie kümmert sich ja auch nicht um sie. Und dann noch die Andeutungen, dass sie vor kurzem bereits jemanden verloren hat...

"Seit wann juckt es dich, wie es deinen Opfern geht?", will eine immer lauter werdende Stimme in mir höhnisch wissen. Doch auf diese Frage gibt es eine ganz einfache, logische Erklärung. Ich bin nun schon so weit gekommen, bei dem Vorhaben Amelys Vertrauen zu gewinnen, dass ich schlicht und ergreifend nicht wieder von vorne anfangen will. Das ist alles. Endlich bin ich nicht mehr weit davon entfernt ihre Seele rauben zu können und nun so etwas. Das ist so verdammt unfair!

"Belüge dich eben weiterhin selbst. Aber vergiss nicht, dein menschlicher Schützling sorgt sich", warnt mich die innere Stimme, die ich jedoch nicht ernst nehme.

Das ist alles Schwachsinn. Allmählich werde ich ernsthaft sauer über mich selbst. Ich habe verdammt nochmal keinen menschlichen Schützling! Wie komme ich überhaupt auf so einen Gedanken?

Ich lasse mich neben Batdog nieder und streiche vorsichtig über sein weiches Fell. Verwirrt stelle ich dabei fest, dass er nicht einmal darauf reagiert. Erschrocken ziehe ich die Hand wieder zurück und mustere Batdog genauer. Sein ganzer Körper zittert unkontrolliert. Vorsichtig befühle ich seine Schnauze, die nun nicht mehr feucht ist, sondern trocken und viel zu warm. Hat er etwa Fieber?

"Du Armer. Was machst du nur für Sachen?", frage ich mit belegter Stimme. Die Situation beginnt mir zu entgleiten.

"Keine Angst, ich bin ja jetzt bei dir. Ich kümmere mich um dich. Du wirst schon wieder gesund werden. Ganz bestimmt", versichere ich ihm, frage mich jedoch im nächsten Moment, ob ich mich damit nicht einfach nur selbst beruhigen will.

Dass es Batdog so dreckig geht, hätte ich nicht gedacht. So schlimm habe ich mir das Ganze auf keinen Fall vorgestellt. Das hier überfordert mich bei weitem. Nun sehne ich mich tatsächlich ein klein wenig nach der ruhigen Ausstrahlung des kleinen Rumpelstilzchens, das sicherlich gewusst hätte, was in solch einer Situation zu tun ist. Ich kenne mich mit kranken Tieren leider einfach nicht aus. Das ist nicht gerade mein Fachgebiet.

Faceless - Ewige Verdammnis Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt