Achterbahngefühle

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Aufgeregt packt Amely mich am Arm und zerrt mich zu der riesigen Achterbahn hinüber, die lange Schatten auf uns wirft. Ich lege den Kopf in den Nacken und schaue zu dem gigantischen Holzgerüst hinauf, das die Bahn trägt. Wirkt ja nicht gerade vertrauenserweckend. Aber was soll's. Vielleicht kracht das ganze Ding ja in sich zusammen, wenn wir gerade fahren, das kleine Rumpelstilzchen stürzt haltlos in die Tiefe und wird anschließend von ein paar Holzbalken aufgespießt. Diese Vorstellung hat etwas.

Mittlerweile wurde ich von Amely bereits dazu genötigt, zweimal mit ihr in die Schiffschaukel zu steigen, in einer hässlichen Bahn durch einen Garten mit Tieren zu fahren und auch vor dem Kettenkarussell konnte ich mich nicht drücken. Na gut, es gibt Schlimmeres, aber dennoch ist es absolut nicht mein Ding. Da gefällt mir das hier schon um einiges besser.

"Die Achterbahn ist so mega cool!", schwärmt das kleine Rumpelstilzchen gerade begeistert und hüpft dabei aufgeregt auf und nieder. Zweifelnd schaue ich zu den Wägen hinauf, die da in halsbrecherischer Geschwindigkeit um die Kurven rasen. Es gibt sogar einen Looping, wie ich bei meiner Begutachtung überrascht feststelle.

"Woher willst du das wissen? Du bist doch noch gar nicht hier gewesen", merke ich an und schüttle den Kopf über so viel Euphorie auf einem Haufen.

"Ja, schon. Aber es sieht einfach so groß und schnell aus, da muss es einfach cool sein", behauptet Amely völlig überzeugt.

Klingt ja sehr logisch. Naja, aber mir soll es egal sein. Von den bisherigen Sachen scheint das hier tatsächlich noch das Beste zu sein. Da gibt es zumindest ein wenig Action.

Also stellen wir uns hinter den bereits ungeduldig wartenden Besuchern an und ich lehne mich an das Geländer, das den Weg der Schlange vorgibt. Amely tut es mir sogleich nach und postiert sich mir gegenüber. Ich erkenne die vielen, kleinen Sommersprossen, die ihre Wangen und Nase zieren und mustere skeptisch ihre Haare, die wie so oft mehr einem Vogelnest gleichen, als einer Frisur.

"Wo ist eigentlich deine Familie? Du hast noch nie von ihnen erzählt", überrumpelt mich das kleine Rumpelstilzchen in diesem Moment mit ihrer Frage. Ich zucke etwas erschrocken zusammen, versuche mir das jedoch nicht anmerken zu lassen.

"Ach. Da gibt es nichts zu erzählen. Meine Eltern sind beide tot und meine Verwandten habe ich nie kennengelernt", erkläre ich leichthin. Trotzdem klingen die Worte verbitterter, als beabsichtigt. Sofort erscheint Mitleid in Amelys grünen Froschaugen.

"Das tut mir leid... ich wollte nicht...", stammelt sie bestürzt, aber ich winke nur ab.

"Schon okay. Das ist ewig her und glaub' mir, es ist besser so. Meine Eltern waren keine guten... äh... Menschen. Aber lassen wir das Thema."

Amely nickt verständnisvoll. Sie scheint erleichtert darüber zu sein, dass ich nicht einen Nervenzusammenbruch erlitten habe. Als ob mir so etwas passieren würde.

"Und was war das mit Batdog?", weißt mich meine innere Stimme unnötigerweise auf dieses Thema hin, das ich am liebsten vergessen hätte.

"Da scheinen wir wohl tatsächlich etwas gemeinsam zu haben. Meine Eltern kann man auch vergessen", seufzt Amely auf und ich kann den Schmerz in ihrer Stimme deutlich wahrnehmen, den sie durch ihre Wut zu überspielen versucht.

Nein, wir haben nichts gemeinsam. Sie liebt ihre Eltern trotz allem noch immer. Ich dagegen hasse meine Eigenen nur. Sie würde fast alles dafür tun, um auch nur einmal die Anerkennung zu bekommen, die Hannah ständig von ihnen erhält. Ich dagegen bin einfach nur froh sie los zu sein.

"Ich glaube nicht, dass deine so schlimm sind, wie meine", werfe ich ein, beiße mir dann jedoch auf die Zunge. Ich sollte nicht so viel von mir preisgeben.

"Oh doch! Du hast sie noch nicht erlebt. Meine Eltern nutzen jeden Moment aus, mir unter die Nase zu reiben, wie toll die perfekte Hannah doch ist und wie enttäuscht sie von mir sind. Das war schon immer so. Hannah war die Kleine, Süße, die gemacht hat, was meine Eltern von ihr wollten und ich nur die Störrische und Aufmüpfige, die man auf Geschäftsessen lieber nicht mitgenommen hat. Ich war nie die Vorzeigetochter, die sie sich gewünscht haben."

Etwas betroffen über so viel Ehrlichkeit senke ich den Blick. Ich hasse es über Gefühle reden zu müssen. Besonders, wenn es um die Gefühle anderer geht und ich diese leider nicht einmal verletzen darf.

"Mach' dir nichts draus. Sie verpassen etwas. Deine Eltern müssen blind sein, wenn sie nicht erkennen, was für eine tolle Tochter sie haben", entgegne ich ernst und hebe gleich darauf alarmiert den Kopf. Was habe ich da gerade von mir gegeben?

Erschrocken über meine Antwort starren wir Zwei uns kurz mit weit aufgerissenen Augen an. Diese Antwort ist mir einfach so herausgerutscht. Ich konnte nichts dagegen tun. Ein etwas peinliches Schweigen breitet sich zwischen uns aus, das ich zu überspielen versuche, indem ich mein T-Shirt glatt streiche und mir mit der Hand durch's Haar fahre.

"Wir sind an der Reihe", stelle ich erleichtert fest, gerade als das Schweigen beginnt richtig unangenehm zu werden. Schnell springe ich in den Wagen und rutsche auf die andere Seite hinüber, sodass Amely sich neben mich setzen kann.

Das kleine Rumpelstilzchen zögert kurz, als würde sie zunächst überlegen müssen, ob sie nicht doch zu jemand anderem in den Wagen steigen soll. Dann nimmt sie jedoch tatsächlich neben mir Platz und gemeinsam warten wir darauf, dass die Fahrt endlich losgeht. Immer wieder schiele ich dabei vorsichtig zu Amely hinüber und stelle fest, dass sie mir ebenfalls immer mal wieder kleine Seitenblicke zuwirft. Es ist irgendwie seltsam. Es liegt eine Spannung in der Luft, die man mit Händen greifen kann. Vor meinem Ausrutscher war noch alles in bester Ordnung gewesen, doch nun hat sich die Atmosphäre schlagartig verändert.

"Oh! Ich bin so aufgeregt!", quietscht das kleinen Rumpelstilzchen in diesem Moment. Ich kann ihre Begeisterung bis zu mir herüber deutlich spüren. Unwillkürlich muss ich trotz der sonderbaren Situation, in der wir uns befinden, lächeln.

"Es wird sicher to...", setze ich an, doch da setzt sich unser Wagen auch schon in Bewegung. Wir beschleunigen so schnell, dass ich in den Sitz gedrückt werde. Das altbekannte Kribbeln der Geschwindigkeit macht sich in meinem Bauch breit, als wir in die Tiefe stürzen, wieder nach oben rauschen und von der einen Seite zur anderen geschleudert werden.

Ich kann Amelys Jauchzen neben mir hören, die die Augen geschlossen hält und ein glückseliges Lächeln auf den Lippen hat. Auch ich schließe für einen kurzen Moment die Augen und genieße das einzigartige Gefühl und das Adrenalin, das durch meinen Körper pulsiert. Der Looping lässt meinen Magen einen kleinen Hüpfer vollführen und ich klammere mich an den Griff vor mir. Viel zu schnell ist das Ganze jedoch auch schon wieder vorbei und wir steigen mit weichen Knien aus. Der Rausch der Geschwistern lässt uns noch immer euphorisiert strahlen.

"Wow! Das war so krass! Richtig geil! Vor allem der Looping. Dieses Gefühl war unglaublich", stößt das kleine Rumpelstilzchen aufgeregt hervor und rennt vor mir her auf den Ausgang der Achterbahn zu. Ich schüttle nur den Kopf über so viel Aufgedrehtheit in einer Person. Sie erinnert mich ein wenig an einen Flummibal, der zu viel Energie in sich trägt. Dieses Mädchen ist unglaublich.

"Fahren wir nochmal? Bitte!", fleht sie mich wieder vor dem Eingang angekommen an und ich gebe geschlagen nach. Es hat mir schließlich auch Spaß gemacht. Irgendwie. Besser auf jeden Fall, als mir diesen anderen Kindergartenquatsch anzutun. Da fahre ich dann doch lieber Achterbahn. Das ist wenigstens noch einigermaßen erträglich.

Faceless - Ewige Verdammnis Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt