Genervt warf ich den Reisekatalog in die Ecke. Warum war es nur so schwer, die perfekte Reise zu finden? Waren meine Ansprüche einfach zu hoch? Warum erlebte man heutzutage keine richtigen Abenteuer mehr? Warum gibt es so etwas nur in der Vergangenheit oder in guten Filmen? Denn eine Abenteurereise wollte ich und zwar eine richtige. Nicht so eine, die die Reisegesellschaften Abenteurereise nennen, sie aber von vorne bis hinten durchplanen. Wenn meine Suche weiterhin so enttäuschend verlaufen würde, blieb mir wohl kaum etwas anderes übrig, als mit Rucksack und Zelt alleine loszuziehen. Klar, ein echtes Abenteuer ist immer besser mit Freunden, aber die würde ich mit Sicherheit auch unterwegs finden. Mir war nicht danach, jemanden mitzunehmen, den ich kannte.
So, ihr denkt jetzt sicher „Oh Mann, die tickt doch nicht ganz sauber." Wahrscheinlich habt ihr sogar Recht. Nur ein paar Worte zu meiner Person: Mein Name ist Lucy, ich bin siebenundzwanzig Jahre, Single, Designerin und der leidenschaftlichste Tolkienfan der Gegend. Arda ist mein zweites Zuhause, seit ich fünfzehn bin. Das waren verrückte Zeiten damals. Ich hab Elbisch gelernt, bin zu Fan-Conventions gegangen und hab das Leben in vollen Zügen genossen. In einem besonders glücklichen Jahr bin ich dann Vorsitzende des örtlichen Mittelerde-Fanclubs geworden. Zwei Jahre hab ich auf der Schauspielschule verbracht, in der eher aussichtslosen Hoffnung, auch irgendwann mal in so genialen Filmen wie denen von Peter Jackson mitspielen zu dürfen, aber dann bin ich in einem Sprachtest durchgefallen und hab die Schule freiwillig wieder verlassen und ein Design-Studium angefangen. Und jetzt war ich, wie schon erwähnt, auf der Suche nach der Reise meines Lebens. Dass ich sie tatsächlich finden würde, wusste ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht. Etwas hoffnungslos startete ich meinen Laptop und öffnete Google. Ich gab „Abenteuerreise" ein und eine Sekunde später ploppten vor mir die Bilder auf, die ich so satt hatte: Schneeweiße Strände, unnatürlich blaue Pools, erschöpfte Wanderer vor einer Bergkette. Darunter tummelten sich wenig verlockend klingende Anzeigen für den Abenteuerurlaub im Touristenformat. Ich blätterte weiter, Seite um Seite, ohne wirklich etwas halbwegs Ansprechendes zu finden. Je weiter hinter ich kam, desto weniger hatten die Einträge überhaupt mit Reisen zu tun. Frustriert wollte ich meinen Laptop schon zuknallen, als mir plötzlich eine kleine Anzeige ins Auge fiel: www.ardatravel.com . Neugierig folgte ich dem Link und landete auf einer recht ansprechend gestalteten Webseite.
Du bist ein glühender Mittelerde-Fan und suchst verzweifelt nach einer passenden Reise? Du bist abenteuerlustig und hast keine Lust mehr auf ein Leben in der modernen Zivilisation? Du bist hart im Nehmen und fürchtest dich nicht vor Orks und anderen dunklen Wesen? Dann bist du hier genau richtig! Unsere Reisegesellschaft Ardatravel bietet einmal pro Jahr einer Gruppe von zwanzig Abenteurern die Möglichkeit, ihren Lebenstraum wahr werden zu lassen und nach Mittelerde zu reisen. Ihr bekommt die Möglichkeit, alle berühmten Orte zu besichtigen und lernt (sofern verfügbar) eure Helden persönlich kennen. Aber Vorsicht! Diese Reise ist nichts für Leute mit schwachen Nerven und sie ist erst recht kein Film! Der Großteil eures Weges führt durch die Wildnis und die Orks haben ihren Spaß am Plündern noch lange nicht verloren. Ardatravel garantiert nicht dafür, dass ihr lebendig wieder zurückkommt! Aber wenn ihr euch nichts sehnlicher wünscht, als Erebor, Bruchtal, das Waldlandreich, Thal und das friedliche Auenland einmal in Echt zu sehen, dann bewerbt euch jetzt! Nähere Informationen zum Reiseverlauf bekommt ihr zugeschickt, wenn ihr euch beworben habt und angenommen worden seid. Alle Voraussetzungen für die Reise findet ihr auf dieser Seite, genauso wie die Angaben, die in eurer Bewerbung enthalten sein müssen.Wir freuen uns auf euch! Und vielleicht heißt es ja schon bald:
Mae govannen mi Ennorath, mellon nîn!Das war ein Scherz, oder? Bestimmt. Das war garantiert nur wieder so ein Gag als Werbung. Besonders bekannt schien das Unternehmen ja nicht zu sein. Ich durchforstete die Seite nach Hinweisen darauf, dass das Ganze ein Spaß war... aber ich fand keine... Stattdessen landete ich bei den Voraussetzungen für die Reise:
- Kenntnisse zum Überleben in der Wildnis
- Englische und elbische Sprachkenntnisse (Sindarin wäre ideal, Quenya aber auch möglich)
- Umgang mit mindestens einer Waffe (im Sinne von Schwert, Axt, Lanze, Pfeil und Bogen etc, keine modernen Schusswaffen!)
- Gute Ausdauer (es wird wochenlang geritten oder gelaufen und im Freien geschlafen!)
- Gesundheitlich einwandfreier Zustand
- Mut
- Reitkenntnisse
- Verkraften von EntbehrungenEtwas verwirrt suchte ich nach Rezensionen auf der Webseite, aber auch da wurde ich nicht fündig. Na toll. Ich hatte also weder einen Beweis dafür, dass das hier alles ein verfrühter Aprilscherz war, noch dass es stimmte. So richtig daran glauben wollte ich aber nicht.Ich erkundete die Reisegesellschaft weiter und fand schließlich die Adresse, an die man seine Bewerbung schicken musste. Das Ganze war schon etwas seltsam. Man musste schriftlich belegen können, dass man mit wenigstens vier der oben genannten Bedingungen vertraut war und danach wurde man ausgewählt, oder so ähnlich. Ich überlegte. Überleben in der Wildnis? Kein Problem, ich hatte vor einem Jahr mit einer Freundin aus Spaß einen zweiwöchigen Survival-Kurs gemacht. Englische und elbische Sprachkenntnisse? Vorhanden. Umgang mit mindestens einer Waffe? Gewohnt. Auf der Schauspielschule hatte ich fechten gelernt und ich war seit fünf Jahren in einem Bogenschützenverein. Gute Ausdauer? Na ja, mit dreimal pro Woche joggen würde ich schon hinkommen. Gesundheitlich einwandfreier Zustand? Na hoffentlich! Mut? Den würde ich schon aufbringen. Reitkenntnisse? Vorhanden (Wozu die Schauspielschule doch so gut ist...). Verkraften von Entbehrungen? Ich würde es aushalten müssen...
Genau genommen weiß ich nicht, was mich dazu trieb, mich für die Reise, an deren Echtheit ich immer noch zweifelte, zu bewerben. Die Probleme sah ich erst später. Wie sollte ich es mit meinem Job vereinbaren? Einen genauen Reisetermin kannte ich nicht und auf der Webseite stand außerdem, dass die Reiselänge aufgrund unvorhersehbarer Geschehnisse (wie zum Beispiel Orküberfällen) sehr variieren konnte. Nachdem ich eine Weile hin und her überlegt hatte, fiel mir ein, dass ich schon lange mit dem Gedanken gespielt hatte, eine Weltreise zu machen. Darüber hatte ich sogar schon einmal mit meinem Chef, einem sehr kooperativen Menschen, geredet und damals war er damit einverstanden gewesen, mir eine Auszeit zu genehmigen. Jetzt war der Zeitpunkt, da ich es einfordern konnte, wenn auch nicht für die geplante Weltreise.
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Ardatravel - Die Reise nach Mittelerde
FanfictionLucy ist siebenundzwanzig, Individualistin und der leidenschaftlichste Tolkien-Fan der Gegend, doch sie findet ihr Leben sterbenslangweilig und sehnt sich nach einem echten Abenteuer. Bei ihrer erfolglosen Suche nach der perfekten Reise landet sie a...