"Was auch geschieht, bleibt auf dem Weg!"

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Manila stöhnte.
„Machen wir uns nichts vor, Lucy. Der Pfad ist verschwunden, wir haben uns komplett verlaufen."
„Aber er muss doch hier sein! War er nicht eben noch da?" Verzweifelt rannte ich herum und starrte angestrengt in den düsteren Wald. Doch der Elbenweg blieb natürlich verschwunden. Wir irrten schon seit Stunden orientierungslos durch die Gegend. Nach unserer Flucht waren wir eine scheinbare Ewigkeit nur gerannt, ohne darauf zu achten, wohin. Und jetzt hatten wir den Salat: Hoffnungslos verlaufen.
„Das war's dann wohl", jammerte ich und ließ mich einfach an der Stelle auf den Boden fallen, an der ich stand. „Erinnerst du dich daran, was Gandalf über den Pfad gesagt hat? Wenn man ihn verliert, wird man ihn nie wieder finden. Wir sind verloren."
„Nein, nein, nein, Lucy, hör auf, so einen Blödsinn zu reden. Wir finden ihn wieder, um jeden Preis! Oh, das ist dieser verfluchte Wald, er raubt dir alle Hoffnung! Die Zwerge haben es damals geschafft, wieso sollten wir es dann nicht auch schaffen?"
„Weil wir keine Elbenwache haben, die uns den Weg zeigt.", seufzte ich nur. Manila hatte Recht. Der Düsterwald würde mich noch einmal um den Verstand bringen. Ohne sie hätte ich vielleicht schon aufgegeben, obwohl mir das normalerweise überhaupt nicht ähnlich sah.
„Es wird dunkel", bemerkte sie unbehaglich. Das stimmte. Ungewöhnlich schnell zog ein finsterer Streifen über uns und kaum zehn Minuten später konnte man die Hand vor Augen nicht mehr sehen.
„Lass uns hier bleiben.", schlug ich überflüssigerweise vor. „Heute kommen wir sowie so nicht mehr weiter."
„Ja. Aber es muss unbedingt einer Wache halten. Wenn du willst, übernehme ich die erste Schicht."
„Meinetwegen. Weck mich einfach nach einer Weile.", brummte ich und versuchte, mein Nachtlager, so gut es ohne zu sehen eben ging, herzurichten.
„Nach einer Weile? Ich fürchte, mein Zeitgefühl wird mich recht bald total im Stich lassen.", zweifelte meine Freundin.
„Hm... zähl einfach bis zwanzigtausend oder so.", sagte ich und lachte. „Aber schlaf dabei bitte nicht selbst ein."
Ich hörte sie grinsen. „Zwanzigtausend Schäfchen? Ich glaube, so weit bin ich noch nie gekommen."
„Na dann viel Spaß." Mit diesen Worten drehte ich mich um und dämmerte sehr bald weg.

Es musste mitten in der Nacht sein, als Manila mich weckte. Wir tauschten die Plätze und keine zwei Minuten später hörte ich sie schnarchen.
Die Zwerge färben langsam ab, dachte ich grinsend, doch sofort überkam mich wieder dieses mulmige Gefühl. Ob wir sie jemals wiedersehen würden? Ob wir jemals aus diesem verfluchten Wald herausfinden würden? Bei den Valar, die Dunkelheit machte mich verrückt! Doch wir waren uns einige gewesen, kein Feuer zu entzünden. Wer weiß, welche Kreaturen es anlocken würde.
Auch ich begann, nach einer Weile, zu zählen. So hatten Manila und ich wenigstens ungefähr gleich viel Zeit zum Schlafen. Zweimal wechselten wir die Wachschichten noch, bis es endlich wieder hell wurde.
Als meine Freundin erwachte, schien sie plötzlich ganz aufgeregt.
„Lucy, Lucy, ich habe eine Idee, wie wir hier raus kommen!"
„Wirklich?", fragte ich erstaunt. „Na dann lass hören."
„Schau, das Licht kommt von dort drüben, wo die Sonne aufgeht." Sie deutete vage in eine Richtung, die demnach wohl Osten war. „Und wir wissen, dass wir nach Westen gehen müssen. Wenn wir also konsequent da lang laufen, sollten wir theoretisch irgendwann aus dem Wald herausfinden. Hauptsache, wir passen auf, dass wir nicht im Kreis laufen."
„Stimmt, das könnte funktionieren.", sagte ich. „Aber dann kommen wir nicht am Elbentor heraus. Wie sollen wir die anderen dann wieder treffen?"
„Na darum können wir uns immer noch Sorgen machen, wenn wir draußen sind. Lass uns doch erstmal so weit kommen."
Ich gab klein bei und wir machten uns auf den Weg. Es dauerte nicht lange und der Wald hatte meine Sinne wieder fast komplett unter Kontrolle. Ständig sah ich alles um mich herum verschwommen und viel bunter, als es in Wirklichkeit war. Ich konnte den Kopf gerade noch so frei behalten, dass ich stur geradeaus lief. Manila schien es etwas besser zu ergehen als mir, aber auch sie taumelte öfter. Schon gegen Mittag begann es, dunkler zu werden. Ich hielt es schon für einen Streich meiner Trugbilder, aber plötzlich fing es an, in Strömen zu regnen.
Ich stöhnte. Das machte die Situation nicht wirklich besser, obwohl mir die Abkühlung recht genehm schien. Hier im Wald war es nämlich nicht nur stickig, sondern auch furchtbar warm.
Ebenso schnell wie der Regen überfiel uns bald die Müdigkeit. Das monotone Gehen wirkte einschläfernd auf mich und ich musste mich streckenweise zwingen, immer schön einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Ardatravel - Die Reise nach MittelerdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt