Vom Berg gen T(h)al

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Ehrfürchtig ließ ich den Blick über die Unmengen Gold schweifen, die uns umgaben. Die Szene in der Schatzkammer hatte mich im Film schon immer förmlich erschlagen, aber das alles in Echt zu sehen, war noch einmal ganz anders. Fili und Kili standen vor unserer Gruppe und erzählten stolz, wie die Zwerge zu diesem unsäglichen Reichtum gekommen waren. Ich hörte allerdings nur mit einem Ohr zu, weil ich viel zu sehr mit gucken beschäftigt war.
Am Vormittag hatten wir schon die Ahnenhalle, die Schmieden und den Thronsaal besichtigt, wobei die Neffen des Königs die Führung oft mit Anekdoten, Mythen und Geschichten unterlegten. Mit den beiden war es wirklich viel besser als mit dem gefürchteten Standart-Touri-Guide.

Ich trat ein bisschen näher an die Absperrung heran, die die enormen Goldmassen vom Weg fernhielt. Es fiel mir nicht leicht, mich zurückzuhalten und nichts einzustecken. Aber wie fühlte sich so viel Gold wohl an? Vorsichtig sah ich mich um und vergewisserte mich, dass niemand schaute, dann schob ich meine Hand in die Münzen hinein. Das Metall war eiskalt und wog schwer am Arm. Es löste ein geradezu beklemmendes Gefühl in mir aus.

Du meine Güte. Wie ist es dann bloß, wenn man die Drachenkrankheit hat?

„Lass lieber nichts mitgehen.", hörte ich eine bekannte Stimme zu mir sagen. Kili stand neben mir und lächelte verschmitzt.
„Es würde zwar nicht sofort auffallen, aber wenn Thorin herauskriegt, dass du es warst, wird er ziemlich ungehalten werden."
Ich musste lachen. „Keine Angst, ich wollte nur wissen, wie es sich anfühlt. Das Stehlen überlassen wir lieber einem Meisterdieb, nicht wahr?"
„Genau. Ich hätte da einen Guten zu empfehlen." Ich grinste und freute mich, dass er auf meinen Spaß einging.
„Du meinst Bilbo Beutlin? Gute Idee. Werden wir ihn eigentlich auch kennenlernen?"
„Das kann ich noch nicht sagen. Es ist ein weiter Weg von hier bis ins Auenland. Wenn wir es so weit schaffen, vielleicht schon, aber wir können nichts versprechen.", erklärte Kili.
Plötzlich fiel mir etwas Funkelndes ins Auge. Nicht weit entfernt, inmitten der Massen an Münzen, lag ein kleiner, silberner Anhänger mit einem winzigen Edelstein.
„Wow. Ist das echtes Mithril?"
Kili folgte meinem Blick und nickte. „Ja, es wird in seltenen Fällen auch zu Schmuck verarbeitet. Das dort ist wahrscheinlich eine kleine Nachbildung des Arkensteins, die waren zu Thrórs Herrschaftszeit hier sehr beliebt."
„Er ist wunderschön.", hauchte ich.
„Und den würde bestimmt auch niemand vermissen, aber lass ihn lieber hier. Du ahnst nicht, wie übellaunig Thorin sein kann."
Wehmütig wandte ich meinen Blick von dem wunderbaren Schmuckstück ab und folgte der Gruppe weiter durch die Schatzkammer.

Den Rest des Tages verbrachten Manila und ich gemeinsam. Wir standen auf dem großen Wehrgang über dem Haupttor und schauten hinunter in die Ebenen, während wir uns über Ethan und Alex lustig machten. Die beiden waren anscheinend sehr von Ithilia angetan.
„Die Vorstellung, dass daraus mal etwas werden könnte, ist total witzig.", lachte Manila. „Stell dir das mal vor, Lucy. Alex ist so klein, das würde bestimmt albern aussehen."
Ich musste grinsen. Sie hatte Recht, es sähe sehr seltsam aus. Ithilia war ziemlich groß, schlank, hatte eine elbisch blasse Haut und lange, glatte silberblonde Haare, die ihr wahrscheinlich ihren Namen gegeben hatten. „Ithil" ist das Sindarin-Wort für Mond.
Gegen Abend machten wir uns wieder auf den Weg zu der großen Halle, wo gestern das Festmahl stattgefunden hatte. Diesmal saß aber nur unsere Reisegruppe samt Eldor und Ithilia zusammen. Thorin, seine Gemeinschaft und auch Fili und Kili blieben spurlos verschwunden. Vielleicht mussten sie noch etwas Wichtiges bereden. Gleich morgen früh würden wir Richtung Thal aufbrechen, einen Markt besuchen und weiter zum Langen See reisen.
Nach dem Essen verzogen wir uns wieder in unsere Unterkünfte. Es war sehr anstrengend gewesen, den ganzen Tag durch den Erebor zu laufen, aber es hatte sich wirklich gelohnt. Nur meine Digitalkamera hatte ich mal wieder vermisst.
Manila und ich packten unsere Seesäcke für die Reise, hängten die schönen Zwergenkleider zurück in den Schrank und gingen früh schlafen. So etwas wie ein Bett würden wir in nächster Zeit ja nicht allzu oft bekommen.

Am nächsten Morgen gab es sehr zeitig Frühstück und danach versammelten wir uns alle am großen Tor.
Die Sonne schien und ein seichter Wind wehte über das karge Land. Ideales Wetter, um endlich ins Abenteuer zu ziehen.
Wir warteten eine Weile, bis schließlich Thorin mit seinen Neffen und einem weiteren Untergebenen nach draußen trat. Der Diener trug einen schweren Korb mit lauter Säckchen. Er drückte jedem von uns eins in die Hand. Sie klimperten leise.
„Dies ist das Gold, das euch für eure Reise zur Verfügung steht.", sprach der König. „Es ist ein Teil dessen, was ihr in eurer Welt bezahlt habt, nur in die hiesigen Münzen umgetauscht."
„Und der Herr des Erebors ist so großzügig, jedem von euch eine Kleinigkeit zu schenken.", verkündete der Zwerg, der den Korb hielt. Er verteilte eine zweite Runde Stoffsäckchen, die mit Namen versehen waren.
Ich verstaute mein Gold im Seesack und linste neugierig in das Geschenk hinein. Mein Herz machte einen Satz, als ich sah, was es war: Der kleine Arkensteinanhänger! Kili zwinkerte mir zu, während ich mich stockend bei Thorin bedankte.
Auch Manila schien glücklich über ihr Abschiedsgeschenk zu sein. Sie hatte ein filigran gearbeitetes Mithril-Armband bekommen.
Schließlich war der Augenblick des Abschiedes gekommen. Thorin umarmte seine beiden Neffen, wünschte uns allen eine gute Reise und eine glückliche Wiederkehr. Wie es tatsächlich enden würde, das wusste im Moment noch keiner...

Wir kehrten dem Einsamen Berg den Rücken zu und machten uns auf den Weg nach Thal. Fili und Kili erzählten uns, während wir fröhlich dahin wanderten, dass die Stadt jetzt unter der Leitung von Bard dem Bogenschützen stand und der Handel mittlerweile wieder besser lief. Zwar waren die ehemaligen Seestädter immer noch nicht so reich, wie sie es in der Blütezeit gewesen waren, da sie den Großteil ihrer Einnahmen erst einmal in den Wiederaufbau der Ruinenstadt stecken mussten, aber es ging ihnen schon besser als in den Jahren auf dem See, in denen sie unter der Herrschaft des intriganten Bürgermeisters gestanden hatten.
Heute war Markttag. Schon von weitem konnten wir das bunte Gewimmel, das sich durch die Straßen zog, ausmachen. Über der Stadt kreisten ein paar farbige Papierdrachen. Sie sahen genauso aus wie im Film. Jetzt fehlt nur noch ein Drache., dachte ich ironisch und grinste.

Der Markt von Thal war eine wunderbare Gelegenheit, einen Großteil des frisch erworbenen Goldes direkt wieder auszugeben. Ich musste lange auf Manila einreden, dass sie ihren Sack nicht für einen schönen Mithril-Dolch loswurde. Wir streiften eine ganze Weile durch die engen Gassen der Handelsstadt. Überall drängelten sich Leute um die zahlreichen Stände. Nach ein paar Stunden trafen wir uns alle auf dem Platz, wo der allseits bekannte Pavillon mit den Hörnern stand. Fili und Kili erzählten uns von dem Tag, an dem die Stadt angegriffen worden war. Auch wenn sie es nicht selbst erlebt hatten, wussten sie sehr genau über alles Bescheid und zeigten uns, welche Häuser zerstört worden waren. Ein komisches Gefühl machte sich in uns breit, da wir alle die entsprechenden Filmszenen im Kopf sahen. Zu wissen, dass das, was wir gesehen hatten, wirklich passiert war, stimmte uns traurig und wir entschieden, weiter zu ziehen. Vor uns lag noch der lange Weg durch die Einöde, bis wir den See erreichen würden und niemand schien wirklich Lust zu haben, länger als eine Nacht in den zugigen Ebenen zu verbringen. Nach einem Zwischenstopp in einer rustikalen Taverne verließen wir Thal schließlich und traten unsere lang erwartete große Wanderung endgültig an.



Ardatravel - Die Reise nach MittelerdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt