Dunkelheit und Heldenmut

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Lúthiens Tagebuch

Hallihallo!

Oh Mann, ich bin so müde, dass ich nur hoffe, diesen Eintrag überhaupt bis zu Ende schreiben zu können und nicht vorher einzuschlafen.
Manila und ich sind eben vom Sonnenfest zurückgekehrt. Man muss schon sagen, die Elben verstehen es, zu feiern! Und sie werden nie müde dabei...
Einige haben doch tatsächlich die ganze Nacht durch getanzt. Ich hingegen war schon nach einer Stunde k.o. und habe mich seitdem dem Essen zugewandt. Und dem Wein. Ich schätze, ich habe ein bisschen zu viel getrunken, in mir dreht sich alles. Aber daran ist Kili schuld, er hat mich ständig ermuntert, noch ein Glas hinter zu schütten. Junge, ich bin doch kein Zwerg! Ich bin es nun weiß Gott nicht gewohnt, zu saufen, bis ich umkippe.
Überhaupt ist es eine seltsame Angelegenheit, als Mensch oder eben als nichtelbisches Wesen auf ein Fest der Unsterblichen zu gehen. Man verändert sich, wenn man der Musik eine Weile lauscht und dazu diesen verdammten Wein trinkt. Nach einiger Zeit bekommt man das Gefühl, ein paar Zentimeter über dem Boden zu schweben und alles nur zu träumen. Es ist wie... ich weiß nicht, vielleicht wie Hypnose? Man scheint die Welt um sich herum wie durch Watte zu sehen... Seltsam.
Oh, Manila schläft schon. Sie ist gleich, nachdem wir angekommen sind, ins Bett gefallen und hat sich seitdem nicht mehr bewegt. Naja, kein Wunder, dass sie so geschafft ist, sie hat ja den ganzen Abend mit Fili getanzt. Oh weh, ich wünschte, ich hätte ein bisschen was filmen können. Ethan und Alex (die übrigens seit gestern wieder im Reinen miteinander sind) haben sich die ganze Zeit über sie lustig gemacht und dumme Sprüche gerissen, von wegen: „Hätte die Tochter der beiden eigentlich einen Bart oder nicht?" Man muss aber dazu sagen, dass sie schon ganz schön einen im Tee hatten, ansonsten würden sie wahrscheinlich nicht so vorlaut sein, denn eigentlich wissen sie ja, dass meine Freundin nicht weniger schlagfertig ist, als sie selbst. Ich habe Manila natürlich verteidigt. Ich denke, auch wenn sie die Welt ein bisschen rosarot sieht, was Fili betrifft, weiß sie, dass das nicht ernst sein kann. Freundschaft reicht ihr hoffentlich auch.

Vor uns erstreckte sich der düstere Wald. Ein spärlicher Rest Licht fiel auf den Boden und die Bäume knarrten bedrohlich. Na wunderbar. Und hier drin durften wir die nächsten Tage verbringen. Ganz ehrlich, die Umgebung stellte jedes Gruselfilmset in den Schatten.
Etwas unbehaglich sah ich mich um. Hatte Thranduil nicht von einer Eskorte gesprochen? Außer Elros war niemand der Waldlandelben zu sehen. Der König machte sich natürlich selbst auch nicht die Mühe, uns zu verabschieden. Ich fragte die anderen danach. „Sie wandeln im Schatten der Bäume.", sagte Elros. „So lange sie es nicht wollen, werden sie sich euch nicht zeigen. Aber ihr werdet merken, wenn sie fort sind." Daraufhin nickte ich nur etwas irritiert.

Kurze Zeit später wanderten wir schließlich los, in den Wald hinein. In 'Smaugs Einöde' war schon recht gut beschrieben worden, wie man sich zwischen den zwielichtigen Bäumen mit nichts als dem schmalen Steinweg als Orientierung fühlte, aber die Realität war noch mal ein ganzes Stück krasser als der Film. Der Düsterwald rief Halluzinationen hervor. Nach drei Stunden wusste ich nicht mehr, wo rechts oder links war. Die süßliche Luft, die wir einatmeten, stank nach Verwesung und machte uns ganz wirr in Kopf. Ständig hörte ich schreiende Stimmen. Nicht irgendwelche, es handelte sich um meine Eltern, die mir unterbrochen vorwarfen, dass ich sie im Stich ließ, indem ich nach Mittelerde auswanderte, die Familie zerstörte und allen großes Leid zufügte, nur weil ich so egoistisch war, unbedingt meine Träume verwirklichen zu wollen. Es dauerte tatsächlich eine ganze Weile, bis ich begriff, dass sie nichts weiter als eine Einbildung waren, die mir dieser schreckliche Wald bescherte. Den anderen schien es nicht besser zu gehen. Den ganzen ersten Tag schaute sich Linnea immer wieder panisch um und behauptete, Wargheulen zu hören. Wir horchten eine Zeit lang, aber da war absolut kein Geräusch außer dem unheilvollen Knarren der Bäume. Auch das Gefühl der Erschöpfung kam viel schneller als erwartet und über unzählige Stunden schleppten wir uns nur entmutigt dahin. Man verlor einfach komplett das Zeitgefühl hier drin, deswegen waren wir alle überrascht, als es plötzlich mit einem Schlag dunkel wurde. Wie durch einen Lichtschalter. Sogar über Tag und Nacht schien das undurchdringliche Blätterdach zu herrschen. Wir schliefen dicht an einander geschmiegt direkt auf dem Weg, darauf bedacht, ihn unter keinen Umständen zu verlieren. Das hieß, die anderen schliefen, ich konnte es natürlich mal wieder nicht. Noch war meine Furcht vor diesem düsteren Wald zu mächtig. Über der Stelle, an der wir auf dem Elbenpfad nächtigten, wölbten sich die Kronen etwas lichter und der volle Mond zwinkerte fast aufmunternd zu mir hinunter, als wolle er sagen: Nur weiter! Es gibt ein Licht im Dunkeln. Vielleicht war es auch nur Kilis leises Schnarchen, das mir den kostbaren Schlaf raubte. Er lag direkt neben mir und schien nicht besonders beunruhigt. Wahrscheinlich hatte er mehr Vertrauen in unsere unsichtbare Eskorte, als ich. Nach einiger Zeit merkte ich, dass ich schon die ganze Nacht seinen Runenstein fest umklammert hielt. Der Talisman lag kühl und haltgebend in meiner Hand, wie ein Ast über einem reißenden Fluss, an dem man sich festhalten konnte. Denn ich lag hier inmitten meiner Reisegruppe, doch die Dunkelheit gab mir das Gefühl, der einsamste Mensch der Welt zu sein. Einzig der Stein schien dafür zu sorgen, dass ich trotz all meiner Furcht irgendwann doch einschlief. Oh, du verfluchter Wald!

Ardatravel - Die Reise nach MittelerdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt