Nebel über Esgaroth

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Gähnend zog ich den Umhang enger und drehte meinen Spieß über dem Feuer ein Stück weiter. Der köstliche Geruch von gegrilltem Fleisch wehte über unser Lager und ein paar Meter weiter klatschten die Wellen des Langen Sees leise ans Ufer. Anderthalb Tage waren wir durch die Einöde marschiert und jetzt kampierten wir eine Nacht hier am Ufer, um morgen früh eine Tour durch die Ruinen Seestadts zu machen und in Richtung Waldlandreich weiter zu wandern.
Einige unserer Gruppe saßen wie Manila, die Zwerge und ich, ums Feuer, andere schliefen schon und der Rest verfolgte Ethan und Alex gebannt bei ihrem Übungsfechtkampf. Es war schwer zu sagen, wer von beiden der Bessere war. Sie fochten schon eine ganze Weile, aber keiner schien wirklich die Oberhand zu gewinnen. Doch plötzlich strauchelte Ethan und Alex schlug ihm das Schwert aus der Hand. Der Besiegte schrie auf. Alex hatte ihn leicht an der Hand verletzt.
„Kannst du nicht aufpassen?", fragte er unwirsch.
„Entschuldige, Ethan. Aber es war ein Kampf, da kann so etwas schon einmal passieren."
„Ach was, du wolltest doch bloß angeben. Als ob es nicht reichen würde, dass du mich austrickst, um dann mit Ruhm und Ehre zu gewinnen." Ethan machte ein wütendes Gesicht und presste sein Stofftaschentuch auf die Wunde.
Oh weh, der ist aber ein schlechter Verlierer., dachte ich.
„Was? Ich hab dich nicht ausgetrickst. Du bist gestolpert, was kann ich dafür? Herrje, wir haben doch nur zum Spaß gekämpft, was soll der Blödsinn mit dem Ruhm?"
„Das war sehr wohl deine Absicht!", beharrte der hochgewachsenen Amerikaner stur. „Du willst doch nur beweisen, dass du besser bist, als ich. Ihr willst du es beweisen!", schrie er und deutete auf Ithilia, die bei uns saß.
„Seit wir begonnen haben, darüber zu reden, versuchst du ständig, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen und zu zeigen, wie hart du bist und wie gut du kämpfen kannst. Verräter!" Ethan klaubte sein Schwert und verschwand hoch erhobenen Hauptes in der Dunkelheit. Bedeppert blieb Alex stehen.

„Was ist denn mit denen los?", fragte ich Manila verwirrt. „Was meinte Ethan mit ‚darüber reden'? Worüber?"
Meine Freundin warf einen kurzen Blick zu der Elbenfrau, dann sprach sie leise: „Ich glaube, die beiden sind sehr an Ithilia ... naja ... interessiert. Und... das verträgt ihre Freundschaft nicht so gut."
Natürlich. Wie hatte ich nur so blind sein können. Die Jungs waren von Anfang an von der blonden Schönheit aus Bruchtal fasziniert gewesen. Und wir hatten uns immer darüber lustig gemacht, nichtsahnend, dass sie es so ernst meinten.
„Glaubt ihr, sie beruhigen sich wieder?", fragte Linnea etwas nervös. Sie verbrachte viel Zeit mit den Amerikanern und würde bestimmt unter deren Zwist leiden.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Das wäre besser für uns alle."
Wir gingen bald schlafen. Die letzten beiden Tage waren verdammt anstrengend gewesen, da wir fast pausenlos liefen. Vor allem den Büromenschen unter uns schmerzten die Knochen am Abend zumeist heftig.

Als ich am nächsten Morgen auswachte und einen Blick Richtung See warf, hing ein dichter Nebel über dem Wasser. Es sah gespenstisch aus, wie die Sonne ihre Strahlen durch den Dunst schickte.
Manila, gut gelaunt, wie eh und je, spazierte schon munter am Ufer auf und ab und sang leise auf Französisch vor sich hin.
Ich half Linnea, Alex und den Zwergen, das Frühstück vorzubereiten, während die anderen sich daran machten, die Sachen zusammen zu sammeln und alles zum Aufbruch vorzubereiten.
Irgendjemand murrte. „Wie lange müssen wir denn noch durch die Gegend latschen? Hieß es nicht, dass wir reiten? So unwegsam ist doch das Gelände hier gar nicht, wieso reisen wir nicht einfach zu Pferd weiter?"
„Heute wird nicht gelaufen.", informierte Eldor und drückte dem Meckertypen eine Pfanne in die Hand. „Wir fahren mit dem Boot über den Langen See und schauen mal, was von Seestadt noch übrig geblieben ist. Es soll seit einem Jahr kein Mensch mehr dort gewesen sein. Aber weil es euch so brennend interessiert: Wenn wir Glück haben, warten am Westrand des Düsterwaldes Pferde auf uns, damit wir nicht den kompletten Weg bis zu den Nebelbergen laufen müssen."
„Seit einem Jahr war niemand mehr in Esgaroth?", fragte Manila fröhlich dazwischen. „Klingt ja spannend!"
„Oh ja, es ist bestimmt gruselig dort. Knarrende Taue, wilde Köter und das vor sich hin modernde Skelett eines Drachen. Zum Fürchten.", setzte Fili hinzu und meine Freundin brach in Gelächter aus.

Ardatravel - Die Reise nach MittelerdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt