Bedenke wohl, worum du bittest; es könnte dir gewährt werden.
- Marion Zimmer Bradley
Im nächsten Moment brach die Hektik los. Manila sprang in die Stiefel und warf sich einen Umhang über das dünne Nachthemd, während ich eilig alle Sachen, die im ganzen Raum verteilt lagen, einsammelte und sie in unsere Seesäcke stopfte. Dann rasten wir über den Flur, die Treppen hinunter und hinaus auf die dunkle Straße. Der Rest unserer Truppe wartete schon vor dem Gasthaus. Fili war auf ein Fass geklettert, das direkt neben dem Eingang stand.
„Trolle fallen vom Norden über das Dorf her. Es ist unmöglich für uns, hierzubleiben. Wir brechen sofort nach Bruchtal auf. Versucht, schnell und unbeschadet ans Westtor zu kommen. Falls wir getrennt werden, treffen wir uns außerhalb von Bree am Waldrand. Los jetzt!" Seine Worte wirkten kalt und warnend.
In der Nähe krachte wieder ein Haus zusammen. Unter die angsterfüllten Schreie der Einwohner mischte sich ein Brüllen.
„Die Trolle – sie kommen!", rief Linnea entsetzt.
„Los, wir müssen hier weg – zum Tor!", kommandierten die Zwerge. Wir nahmen die Beine in die Hand. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass die ersten Häuser anfingen, zu brennen, obwohl es natürlich nach wie vor in Strömen regnete.
Oh Valar – in den Filmen kam wirklich nicht zum Ausdruck, wie verwinkelt dieses Dorf eigentlich war.
Plötzlich durchschnitt ein Schnaufen die Szenerie ... und dann, ohne Vorwarnung, zerbarst das Holzhaus links vor uns.
Kreischen duckten wir uns und stoben auseinander.
„Lucy, komm!", schrie Manila und zerrte mich die linke Straße hinunter.
„Manila, warte!", rief ich gegen das Brüllen der scheußlichen Kreaturen an. „NEIN!" Doch es war schon zu spät. Wir rannten quasi mitten in einen Troll hinein.
Götter! Bert, Tom und William sahen ja noch ganz lustig aus mit ihren Rotznasen und zerrissenen Schürzen, aber dieses Exemplar hier – einfach zum Fürchten!
Das größte Problem war aber, dass dieser Koloss so auf der Straße stand, dass es keinen Weg an ihm vorbei gab. Ängstlich traten wir einen Schritt zurück.
„Verdammt.", fluchte meine Freundin. Ja. Recht hatte sie.
Wie fegte man bitte einen Troll aus dem Weg? Aus purer Verzweiflung unternahm ich das Einzige, was mir einfiel: Ich zog einen Pfeil aus dem Köcher und schoss dem Ungetüm mitten ins Auge.
Es brüllte auf, torkelte ein Stück nach links, verfing sich in dem großen Fangnetz, das es bei sich trug und landete mit einem ohrenbetäubenden Krachen im nächsten Haus.
Keuchend wichen wir den fliegenden Trümmern aus.
„Er hat ein Netz.", japste Manila entsetzt. „Wieso nur?"
„Ist doch ganz klar.", antwortete ich, während wir die verwüstete Straße hinunter rannten. „Sie fallen über das Dorf her, um die Menschen zu fangen. Erinnerst du dich nicht an die Film-Trolle? Die aßen mit Vorliebe Zwerge, also warum sollten sie dann keine Menschen essen? Ähm... Manila, wo müssen wir lang?", fragte ich, als wir eine Kreuzung erreichten."
„Rechts.", gab sie knapp zurück und wir rannten weiter. Immer noch strömten von überall her Menschen aus den brennenden und zerstörten Häusern. Sie schrien und jammerten.
Meine Freundin zog mich in eine kleinere Seitenstraße. Die Hitze der großen Flammen schlug uns entgegen. Von hier waren schon alle Leute geflohen, die Straße lag leergefegt vor uns.
„Valar! Ich glaube nicht, dass das eine so gute Idee gewesen ist!", hustete ich und zog mir den Umhang über die Nase. Meine Freundin warf mir einen entschuldigenden Blick zu, während wir weiter hasteten.
Auf einmal zuckte ich zusammen. Aus einem Haus rechts von uns, aus dem die Flammen schon bis über den Dachstuhl schlugen, drang ein Schrei heraus. Der Schrei eines Kindes. Wie angewurzelt blieb ich stehen.
„Manila, stopp!", rief ich ihr hinterher.
„Lucy, was ist denn? Wir können hier nicht bleiben, sonst ersticken wir!"
„Da... da ist ein Kind drin.", informierte ich kurz. Ihre Augen weiteten sich, als ein nächster Schrei durch das Chaos gellte.
Ich weiß nicht, was in diesem Moment mit mir los war. Vielleicht trieb mich der Gedanke, Alex schon nicht gerettet haben zu können, voran, vielleicht auch nur die pure Menschlichkeit.
Ich raffte meinen Umhang-Mundschutz ein Stück höher und stieß schließlich polternd die Tür des kleinen Einfamilienhauses auf. Irgendwo hinter mir hörte ich, wie Manila mir schimpfend folgte.
Das erste, was ich sah, war (Überraschung!) Feuer; nichts als Flammen, so grell, dass ich die Augen schließen musste.
„Hallo?", rief ich mitten in das Inferno hinein. „Ist hier noch jemand?"
„HIIILFEE!! Bitte helft mir!!!" Ich fuhr zusammen. Das Flehen kam aus der hintersten Ecke des Raumes. Ohne nachzudenken stürzte ich nach vorn, heulend vor Schmerz, als ich das Feuer an den Beinen spürte.
„Lucy!", schrie Manila außer sich vor Sorge.
Stolpernd erreichte ich die Ecke. Dort saß, zusammengekauert und zitternd, ein kleiner, dunkelhaariger Junge, der wimmernd ein Holzschwert an sich gepresst hielt.
„Hilfe.", piepste er heiser, während ich die Arme nach ihm ausstreckte. Er konnte kaum älter als drei sein.
Als ich ihn hochhob, musste ich erschrocken schnauben. Mein linkes Bein versagte fast seinen Dienst, da ich mir dort wohl eine ziemliche Verbrennung zugezogen hatte. Eilig humpelnd bahnte ich mir meinen Weg zurück zur Tür, wo die Französin auf mich wartete.
„Lucy, du brennst!", rief sie panisch aus. Dann griff sie kommentarlos zu ihrem Wasserschlauch und entleerte ihn über meinen Umhang. Zischend erloschen die Flammen.
„Du hättest tot sein können!", fuhr sie mich an.
„Er auch.", gab ich trocken zurück. „Aber jetzt sind wir beide noch am Leben. Ist doch so viel besser, oder?"
„Ja sicher.", grummelte Manila zerknirscht. „Aber was machen wir mit ihm?"
„Hm, ich weiß auch nicht so recht. Am besten, wir nehmen ihn mit zum Westtor und übergeben ihn dort jemandem aus Bree. Irgendwer wird ihn schon zu seinen Eltern zurückbringen."
„Vorausgesetzt, die leben noch."
„Manila!", zischte ich, als der kleine Junge sie ängstlich aus seinen großen, dunklen Augen anstarrte. Valar, er war so niedlich! Unterbewusst erinnerte er mich stark an die vielen Kili-Kleinkind-Fan Arts, die zu Hause in Deutschland im Internet kursierten. Im selben Moment, in dem mir dieser Gedanke durch den Kopf schoss, musste ich grinsen, weil er so banal schien. Als ob es im Moment nichts Wichtigeres gab!
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Ardatravel - Die Reise nach Mittelerde
أدب الهواةLucy ist siebenundzwanzig, Individualistin und der leidenschaftlichste Tolkien-Fan der Gegend, doch sie findet ihr Leben sterbenslangweilig und sehnt sich nach einem echten Abenteuer. Bei ihrer erfolglosen Suche nach der perfekten Reise landet sie a...