Plötzlich lag die volle Aufmerksamkeit bei uns.
„Manila!", rief ich und kniete mich neben sie.
„Was ist mit ihr? Ist sie krank? Liegt das am Klima?", fragten alle durcheinander und aus dem Augenwinkel sah ich Fili und Kili ziemlich bedeppert dastehen.
Auf einmal stand die Elbin vor uns und legte meiner Freundin eine Hand auf die Stirn. Sie schwieg eine Weile angestrengt.
„Mach dir keine Sorgen.", sagte sie schließlich zu mir. „Sie ist wahrscheinlich etwas überfordert. Legt sie eine Weile auf den Wagen, sie wird schon wieder aufwachen." Die Zwerge machten sich sofort ans Werk. Sie musste ganz schön leicht sein, denn eh ich mich versah, hatten die beiden sie hochgenommen und waren mit ihr auf die Ladefläche gestiegen.
„Meine Güte.", sagte Kili zu mir, nachdem sie Manila vorsichtig abgelegt hatten. Er blickte von meiner Freundin zu mir und musterte mich etwas unschlüssig. „Sicher, dass ihr beide Menschen seid? Ihr könnt kaum größer als wir sein."
Ich wurde knallrot und dachte zu meinem eigenen Schreck:
Oh weh, er ist sogar noch schöner als im Film. Im Nachhinein hätte ich mich dafür ohrfeigen können.
„Ich schätze, wir haben einfach zu früh aufgehört zu wachsen.", bemerkte ich schließlich etwas hilflos.
Anscheinend hatten diese Bemerkung alle gehört, denn die gesamte Truppe brach in fröhliches Gelächter aus. Als sie sich wieder eingekriegt hatten, stellten sich auch der Mensch und die Elbin vor. Er hieß Eldor und gehörte den Dúnedain und sie kam aus Bruchtal, wo man sie Ithilia nannte. Ich musste grinsen, als ich sah, wie zwei der Amerikaner sie unverhohlen anschmachteten, während sie den heutigen Weg beschrieb. Wir würden in den Wagen bis zum Erebor ungefähr vier Stunden brauchen, wo heute Abend uns zu Ehren ein großes Festessen stattfand.
Unsere Reiseleiter bliesen zum Aufbruch. Ich kletterte auf den Wagen der Zwerge zu meiner Freundin, setzte mich direkt hinter den Kutschbock und nahm ihren Kopf auf den Schoß. Da Manila die ganze Bank für sich beanspruchte, mussten sich drei Leute mehr auf Eldor und Ithilias Wagen drängeln.
Fili, der mittlerweile die Zügel ergriffen hatte, drehte sich besorgt zu uns herum. „Hoffentlich erholt sie sich wieder, sonst müssen wir sie im Erebor zurücklassen, das wäre ja wirklich schade für sie."
„Ich hoffe auch.", gab ich ehrlich zu. Manila im Berg zurücklassen? Das konnte ich nicht zulassen.
„Passiert ihr das öfter?", fragte Kili. Ich zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß nicht. Ich kenne sie auch erst seit... seit vorgestern." Plötzlich war ich selbst erstaunt, wie kurzweilig unsere Freundschaft bis jetzt war. Ich hatte das Gefühl, sie schon ewig zu kennen.
„Ach, ihr kanntet euch gar nicht?"
„Nein, keiner von uns. Wir kommen aus sehr verschiedenen Ländern unserer Welt. Eigentlich sprechen wir auch alle verschiedene Sprachen."
„Ach so." Kili schien überrascht. „Wie heißt du überhaupt?", wollte er wissen.
„Lucy."
„Lu- ... was?"
„Lucy", antwortete ich geduldig.
„Lu-... Lúthien?", versuchte er es nochmal.
Ich lachte. „Nein, Lu-cy. L-U-C-Y.", buchstabierte ich.
Kili schaute sichtlich verwirrt drein. Anscheinend war der Name hier alles andere als gebräuchlich, dabei war er so einfach. Kili stellte sich wirklich etwas blöd an.
„Lu-... Nee, ist mir zu kompliziert. Ich nenn' dich Lúthien.", sagte er schließlich und grinste.Wir schwiegen eine Weile, während wir in den Wagen über die weiten Ebenen zockelten. Ein starker Wind pfiff uns entgegen und fuhr mir durch die Haare. Für eine Weile schloss ich die Augen, hielt mein Gesicht in die Sonne und überlegte ein bisschen. Zwei Jahre war die Schlacht jetzt her...
„Wohnt eure Mutter schon im Erebor?", fragte ich die Zwerge neugierig. Synchron drehten sich die beiden um und schauten mich erstaunt an.
Na toll, Lucy. Das war jetzt aber ein bisschen zu persönlich. Da hast du's gleich geschafft, es dir mir ihnen zu verscherzen, klasse gemacht, schoss es mir siedend heiß ins Gewissen.
„Woher weißt du von unserer Mutter?", fragte Fili.
„Öh... aus unseren... Geschichten." Ich versuchte, das Wort „Film" zu vermeiden. „Dort erfährt man ziemlich viel über euch."
Kili lachte. Anscheinend nahmen sie es mir nicht übel. Glück gehabt.
„So läuft das also. Naja, ist nur komisch, wenn man jemanden kennenlernt, der alles über einen weiß."
„Alles ist wohl übertrieben. Wir wissen nur, dass-..."
„Lucy!" Manila war aufgeschreckt.
„Warte mal... wo bin ich? Was... Oh!" Sie hatte Fili entdeckt.
„Meine Güte!", hauchte sie. „Ich dachte, ich hätte das nur geträumt."
„Nein, hast du nicht.", flüsterte ich zurück und grinste. „Die beiden haben sich ziemliche Sorgen um dich gemacht, glaub ich. Geht's dir gut?"
Sie nickte.
Da drehte sich Kili wieder herum. „Oh, du bist ja wach!", stellte er erfreut fest. Als auch sein Bruder sich zu uns um wandte und sie begrüßte, wurde meine Freundin klatschmohnrot. Doch ihre Schüchternheit hielt nicht lange und sie begann sofort wieder zu reden. Fast die ganze Fahrt über fragte sie die Neffen Thorins über den Einsamen Berg, die Schlacht, die Reise, Smaug, den Hobbit und tausend andere Themen aus. Am Anfang waren Fili und Kili ziemlich erschrocken darüber, dass wir über fast alles Bescheid wussten, aber sie gewöhnten sich daran und neckten Manila bald damit, wenn sie etwas nicht wusste.
Die vier Stunden Fahrt gingen schnell vorüber und wir erreichten das Haupttor des Erebor. Es war schon wieder komplett intakt, man sah keinerlei Spuren mehr von der Schlacht.
Wir wurden herzlich von zwei Zwergen in Kleidern begrüßt. Moment mal... Zwerge in Kleidern? Nein, das passte nicht. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich begriff, dass es Zwerginnen waren. Eigentlich hätte es mir schon früher auffallen müssen. Ihre Bärte (ja, sie trugen tatsächlich Bärte!) waren längst nicht so lang und voll wie die der Männer, von Fili und Kili mal abgesehen.
Durch das riesige Tor betraten wir das Zwergenkönigreich. Es war ein seltsames Gefühl, als wir, menschentypisch trampelnd und raschelnd durch die imposante Ahnenhalle marschierten. Wahrscheinlich waren wir sogar noch lauter als sonst, da alle so sehr mit gucken beschäftigt waren. Alles war so überdimensional. Eigentlich war es schwer vorstellbar, dass es von einem Volk erbaut worden war, das normal großen Menschen noch nicht einmal bis zur Schulter reichte.Wenig später drehte ich mich in unserem schönen Quartier im Kreis herum und begutachtete alles. Manila und ich hatten ein gemeinsames Zimmer im Westflügel des Einsamen Berges bekommen. Es war eher zweckmäßig eingerichtet, aber der riesige Kleiderschrank hatte ein paar zwergentypische Runenschnitzereien abbekommen. Ansonsten hatten wir noch zwei Betten, zwei Waschtische, einen Spiegel mit Metallverzierungen und eine Bank in unseren Raum. Durch ein breites Fenster neben dem Schrank hatte man einen schönen Blick auf die zentrale Halle des Berges, in der sich auch der Thronsaal befand.
Lucys Lúthiens Tagebuch
So. Nach ein paar mittleren Katastrophen und einer unerwarteten Bekanntschaft mit den Neffen Thorin Eichenschilds, die mir übrigens diesen wundervollen Namen gegeben haben, sind wir endlich im Erebor angekommen. Manila und ich haben ein sehr hübsches Zimmer bezogen und ruhen uns gerade ein bisschen aus. Nachher wird es ein großes Festessen geben, hauptsächlich als Abschiedsfest für Fili und Kili, aber wir sind alle eingeladen. Die beiden werden ja für eine ganze Weile mit uns fort sein.
Ehrlich gesagt bin ich gerade total nervös. Wir werden Thorin kennenlernen, den König unter dem Berge! Ob er wirklich so mürrisch ist, wie er von Tolkien dargestellt wird?
Aber unser größtes Problem ist im Moment: Was ziehen wir an? Wir haben zwar Kleidung für alle Wetterlagen für die Reise bekommen, aber anscheinend ist niemandem eingefallen, dass wir auch etwas Festliches brauchen könnten. Oh, Moment, Manila hat scheinbar etwas gefunden...
Ja, tatsächlich! Im Schrank hängen mehrere Kleider von wunderschöner zwergischer Machart. Ob wir die einfach so nehmen können? Schließlich gehören sie uns nicht... Andererseits, wenn wir sie nicht anziehen, müssen wir wohl oder übel im Reiseumhang zum Fest gehen...Meine Freundin drehte sich in einem wogenden Meer aus silbernem Stoff. Obwohl sie ein bisschen größer als die Zwergenfrauen war, sah sie toll in deren Kleid aus. Es war relativ schlicht gehalten, nur die weiten Ärmel zierte dezente Goldstickerei. Ich selbst trug ein einfaches dunkelblaues Kleid mit einer goldenen Zierkordel um die Hüfte.
Zusammen stellten wir uns vor den großen Spiegel. Ich lächelte.
„Jetzt würde niemand mehr auf die Idee kommen, dass wir aus einer anderen Welt kommen." Manila grinste und nickte. Dann atmeten wir noch einmal tief durch und machten uns auf den Weg zum Herrn des Erebors.%&B
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Ardatravel - Die Reise nach Mittelerde
Fiksi PenggemarLucy ist siebenundzwanzig, Individualistin und der leidenschaftlichste Tolkien-Fan der Gegend, doch sie findet ihr Leben sterbenslangweilig und sehnt sich nach einem echten Abenteuer. Bei ihrer erfolglosen Suche nach der perfekten Reise landet sie a...