Rechts. Links. Rechts. Links...
Na, ihr kennt das schon. Ich hatte mal wieder Mühe, immer schön einen Fuß vor den anderen zu setzen. Kein Wunder, um uns herum war es dunkel, der Boden uneben und wir liefen schon seit Stunden, immer Richtung Westen. Und ich wünschte mir nur noch eins: Schlafen!
In den letzten Nächten hatte ich nur ein paar Stunden unruhig und keinesfalls tief schlafen können, aus Angst vor'm Träumen. Ich durfte nicht riskieren, den Ausgestoßenen nochmals negativ aufzufallen. Jede Nacht schreiend aufwachen und um mich schlagen, das wäre wahrscheinlich mein Todesurteil gewesen!
Bree musste mittlerweile ein ganzes Stück hinter uns liegen. Während wir stumm dahin stolperten, bemerkte ich, wie im Osten die ersten Sonnenstrahlen über die Hügel blinzelten.
Oh nein. Wir waren tatsächlich die ganze Nacht ohne Pause durchmarschiert.
„Können wir nicht mal eine kurze Rast einlegen?", murrte ich kraftlos. Die anderen fuhren zusammen. Es war das erste Mal seit dem Aufbruch, dass jemand sprach.
„Natürlich." Der Trupp kam zum Stehen und Kili blickte mich besorgt an.
„Geht es dir gut?", fragte er. Oh je. Anscheinend sah ich mal wieder aus wie ein Schluck Wasser mit Augenringen.
„Passt schon.", murmelte ich nur und rang mir ein Lächeln ab.
„Wie weit ist es denn noch bis Hobbingen?", schnaufte Manila und ließ sich ins nasse Gras fallen. „Schaffen wir es heute überhaupt bis dahin?"
„Mach dir mal keine Sorgen. Wir haben über Nacht ein gutes Stück Weg zurückgelegt. Wenn wir so weiter machen, sind wir heute Abend dort.", verkündete Fili gutgelaunt.
„Juhu. Noch einen ganzen Tag Dauerlauf.", kommentierte die Französin dagegen trocken. Sie legte sich hin und trank die Hälfte ihres Wasserschlauches auf Ex.
„Glaubt ihr, der gute Herr Beutlin ist erfreut darüber, uns aufzunehmen? Bei der Truppe, die ihm da in die Höhle trampelt, könnte er sich mächtig in die Vergangenheit zurückversetzt fühlen. Oder habt ihr uns etwa angekündigt?" Sie drehte den Kopf und warf den Zwergenbrüdern einen fragenden Blick zu.
„Ähm... nein." Kili lachte. „Aber bei unserer letzten Begegnung sagte er, dass wir jederzeit herzlich willkommen wären."Wir rasteten noch eine Weile und ruhten unsere geschundenen Füße aus, dann machten wir uns wieder auf den Weg. Die sanften Hügel von Bockland zogen an der großen Oststraße vorbei.
Über das Wetter konnte man schon wieder nur schmunzeln. Kaum waren wir den Strauchdieben entkommen und hatten das Regendorf Bree hinter uns gelassen, strahlte die Sonne vom Himmel und ein sanftes Lüftchen wehte uns entgegen.
Manilas Gemurre blieb letztendlich unbegründet. Das Auenland offenbarte sich uns als eine so friedliche und malerische Gegend, dass wir die Anstrengung über das doch recht straffe Tempo bald vergaßen und uns wie eine typische Touri-Gruppe aufführten.
Oh Mann, wieso konnten die Arda-Bewohner nicht endlich die Digitalkamera erfinden? Die fehlte hier an allen Ecken und Enden.
Linnea quietschte ganz aufgeregt, als wir die ersten Hobbits (gegen Mittag! Was für ein Langschläfer-Völkchen!) erblickten. Wie klein sie doch sind! Ich hielt mich selbst ja auch nicht gerade für besonders hochgewachsen, da ich nicht wirklich größer als die Zwerge war, aber die auenländischen Halblinge überragte ich immer noch um einen Kopf!
Die Sonne versank schon hinter'm Horizont, als wir in der Ferne endlich den Bühl entdeckten. Überall um den Hügel herum blinkten kleine Lichter zu uns herüber. Ich weiß nicht, warum, aber es fühlte sich ein bisschen an, wie nach Hause zu kommen, als wir auf den gewundenen Pfaden durch Hobbingen spazierten. Irgendwo im Hinterkopf dudelte mein persönliches Streichorchester gerade die allseits bekannte Melodie. Ich musste grinsen.
Und schließlich, nach einer langen und entbehrungsreichen Reise mit vielerlei ungeahnten Zwischenfällen, standen wir endlich vor dem berühmtesten Gartentor von Mittelerde, an dem diesmal übrigens kein Schild hing, das einem den Zutritt verweigerte.
„Bleibt... am besten erstmal hier stehen.", ordnete Fili an, während er und sein Bruder durch die Gartenpforte traten. „Wir wollen ja nicht alle auf der Fußmatte landen." Er zwinkerte uns zu und wir stellten uns brav vor dem Zaun auf. Kili zog an der Klingel. Es folgte ein Moment des Schweigens. Niemand sagte ein Wort oder traute sich, auch nur irgendein Geräusch zu machen.
Dann sah man durch die kleinen, runden Fenster einen Schatten herannahen. Der Riegel wurde zurückgezogen, die Tür schwang auf und vor uns stand - leib- und wahrhaftig – Bilbo Beutlin. Ein freudiges Raunen ging durch unsere Reihen.
Der Hobbit stand einen Moment lang erstaunt in der Tür, doch dann breitete sich ein herzliches Lächeln in seinem Gesicht aus.
„Zwerge! Von euch habe ich wahrlich lange nichts gehört! Was für eine Überraschung! Nur herein die Herren, es gibt sicher eine Menge zu erzählen. Da wollen wir doch keine Zeit verlieren!"
„Äh... Bilbo, einen Moment!", unterbrach Fili die überschwängliche Begrüßung seines ehemaligen Reisebegleiters. „Du hast Recht, wir haben eine Menge zu berichten. Hinter uns liegt mittlerweile schon wieder ein Abenteuer, das wir gemeinsam mit unserer neuen Gemeinschaft durchlebt haben. Du bittest sie doch sicher auch mit herein, oder?"
„Eine neue Gemeinschaft?" Mit fragender Miene trat Bilbo aus seiner Höhle und ließ den Blick über uns schweifen. „Ihr habt eine Truppe Menschen bei euch? Na, das müsst ihr mir tatsächlich erklären." Er lächelte uns etwas zögerlich entgegen.
„Nur hinein mit euch, keine Scheu! Es ist genug da. Zwergenfreunde sind in meiner Höhle immer willkommen."
„Nun, wenn man schon so freundlich eingeladen wird, kann man ja gar nicht nein sagen!", rief Manila fröhlich aus und stiefelte vergnügt durch das Gartentor, mich hinter sich her ziehend. Vor dem Hobbit verbeugte sie sich und sagte:
„Ihr müsst der berühmte Herr Beuteler sein! Ich hoffe doch sehr, dass dies nicht das falsche Haus ist." Die Truppe hinter uns brach in Gelächter aus und ich musste breit grinsen, als ich Bilbos baffes Gesicht sah. Dann marschierte er eilig zurück in die Höhle.
„Fili! Kili! Was um alles in der Welt soll das werden? Zieht ihr mit einem Haufen Gaukler durch die Gegend? Wenn das ein Scherz ist, dann verstehe ich ihn nicht wirklich!"
„Nein, mein Bester." Fili war wieder aufgetaucht und klopfte Bilbo amüsiert auf die Schulter. „Das ist die wohl ungewöhnlichste Reisegruppe, der du je begegnen wirst!"
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Ardatravel - Die Reise nach Mittelerde
FanfictionLucy ist siebenundzwanzig, Individualistin und der leidenschaftlichste Tolkien-Fan der Gegend, doch sie findet ihr Leben sterbenslangweilig und sehnt sich nach einem echten Abenteuer. Bei ihrer erfolglosen Suche nach der perfekten Reise landet sie a...