Lucy
Die junge Elbin kehrte bald zurück, in Begleitung einer weiteren Frau, hochgewachsen und dunkelhaarig, mit einem gütigen Gesicht.
„Fräulein Lucy, Ihr seid wach! Wie schön." Sie stellte ein Tablett voller Kristallfläschchen und –phiolen auf meinem Nachtschrank ab und betastete kurz meine Stirn.
„Ich bin Tindómerel, die Oberste Heilerin der Waldelben.", stellte sie sich nebenbei vor. „Und Ihr müsst der Zwerg sein, der Lucy hierher begleitet hat.", fuhr sie an meinen Gefährten gewandt fort.
„Kili.", murmelte er kurz.
„Kili..." Die Heilerin schien zu grübeln. „Woher kenne ich Euren Namen?"
Der Königsneffe zuckte unmerklich zusammen. „Das tut nichts zur Sache.", bestimmte er nur und schenkte stattdessen wieder mir seine volle Aufmerksamkeit. „Wie geht's dir?", wollte er wissen.
„Ganz gut.", krächzte ich heiser. „Mir ist nur furchtbar kalt." Als Beweis klapperte ich vernehmlich mit den Zähnen.
„Oh, ich fürchtete schon, dass es so weit kommen würde.", sprach Tindómerel besorgt, während ihre dunklen Augen auf mir ruhten. „Das ständige Frieren ist ein Zeichen dafür, dass die Vergiftung dabei ist, den Körper voll und ganz zu ergreifen und zu zerstören. Wenn wir nicht handeln, werdet Ihr höchstwahrscheinlich bald sterben. Aber habt keine Angst, Lucy, ich habe alles Nötige dabei." Sie deutete auf das Tablett, auf dem neben unzähligen Fläschchen auch ein großer Kelch stand.
„Dies ist das Gegenmittel.", informierte die Oberste Heilerin. „Ihr müsst es nur trinken, doch es wird eine ganze Weile dauern, bis es wirkt. Ich muss gestehen, dass wir all dies natürlich nicht an Menschen ausprobiert haben, aber ich bin sehr zuversichtlich, dass es trotzdem funktionieren wird."
„Heilt es mich vollständig?", wollte ich wissen.
„Nun, bei uns Eldar tut es das auf jeden Fall, deswegen würde ich mir keine allzu großen Sorgen machen. Allerdings könnte es sein, dass Ihr in der nächsten Zeit einige kurze Rückfälle erleben werdet. Das ist ganz normal bei dieser Krankheit."
„Aha." Ich machte ein etwas unglückliches Gesicht, nahm aber schließlich den Kelch entgegen und kippte das Zeug (selbstverständlich eklig, sonst hilft es ja nicht...) gierig hinter. Dann wischte ich mir den Mund ab und hielt eine Weile still, fühlte aber absolut keine Veränderungen.
Tindómerel und die jüngere Elbin, die sich als Eldárwen vorstellte, säuberten meine Wunde und legten einen neuen Verband an.
„Ruht Euch aus.", rieten sie. „So lange das Gegenmittel seine Wirkung entfaltet, solltet Ihr Euch nicht allzu sehr bewegen. Wir werden Euch auch danach noch eine Weile hier behalten müssen, um zu sehen, wie sich Eure körperliche Verfassung entwickelt."
Na ganz toll. Heilerkaserne 2.0, grummelte ich in Gedanken.
„Wenn Ihr gern etwas zum Zeitvertreib möchtet, könnt Ihr uns selbstverständlich Bescheid sagen.", sagte Eldárwen gut gelaunt. „Aber Ihr habt ja Euren Begleiter bei Euch." Sie lächelte verschmitzt.
Oh, da wird aber gerade etwas gewaltig falsch interpretiert! Die Röte schoss mir ins Gesicht. Aber ehe ich die Sache vor den Elben richtigstellen konnte, hatten die beiden ihre Utensilien zusammen gesammelt und waren lautlos zur Tür hinaus geschlüpft.
Mit einem leicht genervten Gesicht blieb ich im Bett sitzen, während Kili vor sich hin gluckste.
„Was ist denn so lustig?", knurrte ich. Erneutes Glucksen.
„Ach nichts.", kam die Antwort.
„Na gut. Dank dieser zwei Spitzohr-Damen ist dir gerade die überaus wichtige Aufgabe zugefallen, mir die Langeweile zu vertreiben.", schoss ich zurück.
Kili grinste unentwegt. „Und, was schwebt meiner Dame da so vor?", fragte er frech.
„Äääähhh..." Ich überlegte einen Moment – und hatte auf einmal die perfekte Idee! Vor ein paar Wochen, als wir in den Nebelbergen gerastet hatten, war mir schließlich eine Frage in den Sinn gekommen, die mich schon lange beschäftigte – die Sache mit der Kupferhaar-Elbin.
„Komm her.", forderte ich ihn auf und rutschte in meinem riesigen Bett ein Stück zur Seite, sodass er sich neben mich setzen konnte. „Ich möchte, dass du mir etwas erzählst."
„Ach ja?" Er nahm meine Einladung an und lehnte sich an den Bettpfosten. „Und was?"
„Naja..." Ich druckste ein bisschen herum. „Es ist ... ein wenig persönlich..."
„Lúthien..." Er sah mich ernst an. „Wir sind so weit mit einander gereist. Du kannst mich alles fragen."
„Wirklich alles? Denn ... ich fürchte, die Frage wird dir nicht besonders gefallen..."
„Nun sag schon."
„Ähm... Hast du ... Tauriel geliebt?"
Kili schloss kurz die Augen und biss sich auf die Lippen. Die Frage schien ihm tatsächlich nicht zu gefallen.
„Ich fürchtete, dass du irgendwann danach fragen würdest. Also ... Ja, das habe ich." Alle Albernheit war verflogen.
„Gut, dann... bin ich wenigstens da mal richtig informiert. Aber was ist mit ihr passiert? Hat Thranduil sie wirklich verstoßen? Du sagtest mir damals im Kerker, dass du sie während der Schlacht aus den Augen verloren hast. Das... das stimmt nicht, oder?"
Er schluckte. „Du wolltest, dass ich dir die Geschichte erzähle, nicht?"
Ich nickte.
„Dann sollst du sie hören. Du hast nämlich Recht, ich habe dir nicht ganz die Wahrheit berichtet... Aber es ist keine schöne Geschichte und sie hat auch kein glückliches Ende."
„Dessen bin ich mir schon bewusst.", sagte ich leise.
„Gut. Also dann..."
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Ardatravel - Die Reise nach Mittelerde
FanfictionLucy ist siebenundzwanzig, Individualistin und der leidenschaftlichste Tolkien-Fan der Gegend, doch sie findet ihr Leben sterbenslangweilig und sehnt sich nach einem echten Abenteuer. Bei ihrer erfolglosen Suche nach der perfekten Reise landet sie a...