Kapitel 19

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Am Dienstagnachmittag war es soweit, dass Jon mich mit zu seiner Mutter nahm. Wie er gesagt hatte, je früher desto besser. Es zwar nicht schön das so zu sagen, aber es konnte jetzt jeden Tag passieren, dass sie nicht mehr aufwachte und dann wäre es zu spät.
„Also, bist du bereit?", fragte Jon und wirkte selbst umso nervöser. Anstatt bunter oder schillernder Farben wie sonst immer trug er einen dunklen Pulli und normale Jeans. Ich nahm seine Hand und drückte sie kurz. „Ich bin bereit. Und du?"
Er nickte rasch. „Ja, ich auch, ich auch."
„Entspann dich Jon. Es wird schon alles gut gehen." Jon nahm tief Luft.
„Ja hoffentlich." Er hob den Blick und schaute an den hohen Gebäude hoch. Das St. Thomas Hospital ragte groß vor uns auf. Wie ein riesiger unförmiger Block.
„Dann mal los." Ich zog Jon mit mir nach drinnen.
Es roch typisch wie in jedem Krankenhaus und auf dem Weg begegneten uns Leute mit weißen Nachthemden oder Frauen mit verweinten Augen. Ich hasste Krankenhäuser. Der Geruch reichte schon, dass mir schlecht wurde. Ich konnte mir wirklich einen schöneren Ort zum Sterben vorstellen.
Wir nahmen den Aufzug, da wir in den fünften Stock mussten. Wir teilten ihn uns mit einer Frau, die ein kleines Kind auf dem Arm hatte und einen Jungen an der Hand hielt. Sie tat mir leid. Sicher besuchten sie den Vater der Kinder. Sie stiegen im dritten Stock aus und Jon und ich waren alleine im Aufzug. Zwischen uns hatte sich eine unangenehme Stille ausgebreitet, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte, um ihn aufzumuntern.
Die Türen öffneten sich mit einem Pling und wir stiegen aus. Der Gang war genauso weiß und langweilig wie jeder andere und uns kam dieses Mal nur ein hustender alter Mann entgegen.
„Hier liegen nur Dauerpatienten", sagte Jon leise, „Leute, die wahrscheinlich hier sterben werden." Na toll. Wir waren praktisch auf einem Friedhof.
Jon blieb von einer Tür stehen. „Hier ist es", sagte er leise, „Sie ist sehr...blass und dünn. Und sie kann nicht laut reden. Und sie hasst es, wenn man sie mitleidig ansieht wegen ihrer Krankheit. Sie ist überzeugt, dass Gott für sie ein gutes Leben nach dem Tod hat."
„Es wird alles gut, Jon, vertrau mir. Ich werde schon keinen Mist reden." Er nickte. „Na dann."
Jon klopfte und öffnete die Tür. Ich hatte kein herein gehört, aber wenn sie nicht laut reden konnte, hörte man sie bei geschlossener Tür vielleicht einfach nicht. Ich folgte Jon in den Raum, der freundlicher aussah, als ich erwartet hätte. Anstatt in weiß waren die Wände hier in einem zartgelb gestrichen und es hingen lauter Bilder an den Wänden, die offensichtlich Jons Familie zeigte. Sie hatte dem Zimmer auch sonst einen persönlichen Touch verleihen dürfen. Immerhin ein bisschen zuvorkommend vom Krankenhaus, wenn man schon hier bleiben musste, um zu sterben.
„Mamá, schön dich zu sehen", sagt Jon und ging zu dem Bett, indem seine Mutter lag. Sie hatte sogar eine eigenen Bettdecke mit Blümchen.
„Hier, ich möchte dir meine Freundin vorstellen, Liveley", sagte Jon und zog mich mit sich.
„Hallo, María", sagte ich und trat näher um ihre ausgestreckte Hand zu schüttelnd.
„Es freut mich sehr, sie kennen zu lernen." Maria hatte tatsächlich ein eingefallenes Gesicht und war sehr blass, aber sie lächelte freundlich und ihre Augen glitzerten interessiert.
„Mein Kind, wie schön, dich persönlich zu treffen." Anstatt meine Hand zu schüttelnd, nahm sie in ihre und tätschelte meinen Handrücken. „Du bist wirklich ein hübsches Mädchen", sagte sie.
„Danke", erwiderte ich leise und warf Jon einen Blick zu. Er sah immernoch sehr angespannt aus.

Wir setzten uns auf die Stühle, die neben dem Bett standen und unterhielten uns. Nach einer Weile fiel die Anspannung. Ich merkte, dass María eine sehr liebevolle und gläubige Person war und anscheinend machte sie die beste Paella der Welt. Auch Jons entspannte sich und eigentlich konnte es nicht besser laufen.
„Ich muss mal kurz", murmelte Jon. „Ist in Ordnung, Schatz", sagte ich lächelnd und er stand auf. Als ich eben schon einmal Schatz gesagt hatte, hatte er mich für einen winzigen Moment komisch angesehen, bevor er es kapiert hatte und mitmachte. Jetzt gab er mir rasch einen Kuss auf den Scheitel und verschwand auf der Toilette.
„Darf ich dich etwas fragen, Liveley?", fragte María uns sah mich eindringlich an.
„Natürlich, alles."
„Du bist nicht wirklich Jons Freundin, oder?" Konnte diese Frau jetzt auch noch Gedanken lesen? Woher zum Henker wusste sie das? Und sie musste sich verdammt sicher sein, sonst hätte sie mir das nicht so ins Gesicht gesagt. Aber das bedeutete auch, dass ich ihr nichts vormachen konnte.
„Woher wissen sie das?" Sie lächelte milde.
„Jon hat mir erzählt, dass er jemanden gefunden hat und ich konnte ihm ansehen, dass er es ernst meinte. Ich kenne mein Kind, ich weiß dass er jemanden sehr liebt, aber das bist nicht du. Ich kann euch beiden ansehen, dass es nicht wirklich Liebe ist. Lass mich raten, du bist eine Schauspielerin aus dem Theater."
Ich nickte etwas resigniert. Soviel zu, es würde gut gehen. „Wir sind Freunde, aber ja, ich bin Schauspielerin."
„Nicht, dass du schlecht gespielt hättest, aber mein Mann sagt immer, ich kann Menschen wie ein Buch lesen. Und würde ich meinen Sohn nicht so gut kennen, dann wäre mir das wohl nie aufgefallen." Ich nickte wieder und zwang mich zu einem Lächeln. Der arme Jon tat mir jetzt schon Leid. Er hatte es doch nur gut gemeint.
„Kannst du mir sagen, wer die Person ist, die er wirklich liebt?", fragte sie. Konnte ich das?
„Das sollte Jon ihnen sagen. Es gibt einen Grund, dass er mich als Alibi genommen hat und ich denke nicht, dass ich ihn verraten sollte."
„Natürlich, mein Kind, das sollst du auch nicht", sagte sie mit einem milden Lächeln, „Ich weiß natürlich, dass es einen Grund gibt, das er mir das verschweigt. Und deswegen weiß ich, dass er mir nicht die Wahrheit sagt. Er denkt, ich kann sie nicht verkraften, nicht wahr?" Ich erinnerte mich, dass Jon sich unsicher war, ob seine Mutter Schwule akzeptierte. Und so wie ich Jon kannte, siegte die Angst. Dabei fand ich, dass seine Mutter die Wahrheit kennen sollte. Nur, würde ich Jon dann nicht als Freund hintergehen?

Smoke and Roses (Aidan Turner)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt