Kapitel 34

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Es war Samstagmorgen und ich lag in Aidans Bett, sein Atmen ging gleichmäßig und friedlich neben mir. Sofort sprang ein Lächeln auf meine Lippen, als wurde ich mir jetzt erst bewusst, was für ein Glück ich doch hatte neben ihm zu liegen. Ich setzte mich auf und fuhr mit den Fingern über seine Augenbrauen, sein Gesicht, seinen stoppeligen Bart.
Er bewegte sich leicht, aber er atmete weiterhin ruhig. Ich gab ihm einen raschen Kuss auf die Stirn, bevor ich aufstand.
Es war seltsam, wie vertraut ich mich in seiner Wohnung bewegte, als wäre es meine Eigene. Bisher war mir das nie so passiert. Mit Sebastian war das anders gewesen, ich war nicht von jetzt auf gleich bei ihm eingezogen und selbst da, nach Wochen die ich immer mal wieder bei ihm verbrachte und wir beschlossen zusammen zu ziehen, selbst da war mir seine Wohnung noch lange fremde vorgekommen. Vielleicht so lange, bis ich sie veränderte und selbst mitgestaltete. Vielleicht war das der Punkt, ich mochte Aidans Wohnung aber Sebastians Stil hatte ich nie leiden können.
Ich machte mir eine Schüssel Müsli - unser Standartfrühstück - und setzte mich auf den Korbsessel auf seinem Balkon. Dort lag auch gleich eine Decke bereit, sonst wäre es hier draußen ja auch viel zu kalt. Aidans Pflanzen ließen ebenfalls zu wünschen übrigen, nicht alle von Ihnen waren Winterpflanzen und starben nun langsam an der Kälte.
Nur der große Busch in der Ecke hatte noch alle seine grünen Blätter und stellte sie stolz zur Schau. Vielleicht sollten wir nach mehr dieser Büsche Ausschau halten, schoss es mir durch den Kopf. Es war eine der wenigen Dinge, die ich verändern wollte, wie mir auffiel, und verändern war vielleicht auch das falsche Wort. Ich fand es schön wie grün Sein Balkon war und ich wollte das erhalten, nicht verändern.
Bald stellte ich die leere Müslischüssel neben mich und zog eine Zigarette aus der Schachtel. Ich hatte sie kaum angezündet, als Aidan plötzlich auf der Terrasse stand. Er gähnte laut und schien mich in meiner Ecke überhaupt nicht zu bemerken.
Dann streckte er sich einmal lang und ausgiebig. Ich fing an zu kichern und sein Blick wanderte bis zu mir.
"Oh, da bist du also." Ich zog eine Augenbraue hoch. "Als hättest du mich Grade gesucht." "Klar hab ich das. Ich muss meiner wunderschönen Freundin doch guten Morgen sagen." Ich lachte, aber sah ihn weiterhin skeptisch an.
"Sicher haben diese Streckungen nur dazu gedient zu sehen, ob ich mich hinter den Blumen versteckt habe." Aidan grinste. "Und überhaupt, ich bin nicht wunderschön", murmelte ich. Aidan warf mir einen Blick zu, der mir genau sagte, ich solle ihm nicht widersprechen. "Doch das bist du und keine Widerrede."
Ich imitiert ihn und wedelte dabei mit den Händen in der Luft herum, aber Aidan blieb unbeeindruckt. "Das sehe ich jetzt mal als keine Widerrede an", kommentierte er und kam zwei Schritte auf mich zu, die zwei Schritte, die uns noch voneinander trennten, und küsste mich.
"Guten Morgen erstmal, Julia."
"Guten Morgen, Romeo."
Ich schnappte mir meine Müslischüssel und stand auf. "Oder sollte ich besser sagen, trauriger Morgen, denn in zwei Stunden in die Beerdigung von Jons Mutter."
"Und da gehen wir hin?", fragte Aidan verwirrt. "Ich gehe. Ich kannte sie und fand sie sehr nett und denke ich sollte ihr die letzte Ehre erweisen. Du kanntest sie gar nicht, oder?" Aidan schüttelte stumm den Kopf. "Dann mache ich mich mal fertig", sagte ich und gab ihm im vorbeigehen einen Kuss auf die Wange.

Etwas später hatte ich das wärmste schwarze Kleid an, was ich besaß und sah aus wie eine Nonne. Kragen bis zum Hals, Saum bis an die Füße, ein Stoff aus dem man normalerweise Pullis machte.
"Ich dachte du wolltest auf eine Beerdigung, Mutter Theresa." "Haha", lachte ich nur und warf ein paar Handschuhe nach hinten, was ich gerade aus dem Weg geräumt hatte. "Das Treffen muss aber noch gelernt sein", witzelte Aidan, den ich natürlich nicht getroffen hatte.
Ich seufzte laut theatralisch und suchte mit den Augen nach einem anderen Kleidungsstück. "Was ist? Du klingst als hättest du gleich ein Treffen mit einem Versicherungsvertreter." "Schlimmer. Ich muss ein Outfit finden", grummelte ich.
"Wenn du das sagst hattest du noch keinen Termin mit einem Versicherungsvertreter", stellte Aidan klar. "Hab ich auch nicht."
"Okay." Aidan ging wieder Richtung Ausgang und erst jetzt fiel mir auf, dass er wie ich vorhin eine Schüssel Müsli in der Hand hielt.
Mit einem weiteren schweren Seufzer zog ich das Kleid wieder aus und tauschte es gegen eine schwarze Jeans, Bluse und Blazer. Und damit mir nicht kalt wurde, würde ich meinen langen Mantel drüber ziehen. Wenigstens keine Nonnentracht.
"Das ist besser", mapfte Aidan, als ich aus Dem Schlafzimmer kam. "Ich weiß", gab ich zurück. "Denkst du dran, dass heute unsere letzte Vorstellung ist?", hakte Aidan nach. Die letzte.
"Ja natürlich. Und heute Abend wird Roy uns wahrscheinlich nicht mehr gehen lassen", Scherzte ich. Er war schon wie ganze Woche so sentimental und würde uns sicher lieber noch Wochen proben lassen.
"Na Hauptsache wir kommen überhaupt irgendwann wieder nach Hause." Ich verdrehte nur die Augen und schnappte mir meine Handtasche, um mich auf den Weg zur U-Bahn zu machen.

-

Die Kirche war voller als ich erwartet hätte. Ich bekam nur einen Platz in den hinteren Reihen, als entfernte Bekannte traute ich mich nicht, vorne einen Platz zu suchen. Die ersten Reihen wurden ohnehin von Jons näherer Verwandtschaft besetzt, allesamt dunkelhaarige Spanier, die aus ihren Heimatland scheinbar hierher gekommen waren. 
Der Gottesdienst ging schnell vorüber, der Pfarrer sagte sogar ein paar Begrüßungsworte in Spanisch für die Familie. Zuletzt stand Angel auf, die Haare zu einem Manbun gebunden und tiefen Ringen unter den Augen. Der Pfarrer reichte ihm ein Mikrofon.
"Hallo zusammen. Eigentlich wollte ich ein paar Worte sagen, aber es fällt mir schwer in Worten auszudrücken, was ich fühle. Stattdessen möchte ich ein Lied singen,  wenn das für alle in Ordnung ist. Es ist spanisch, aber ich denke bei Musik ist es egal, welche Sprache man spricht, wir verstehen sie alle."
Er nickte einem Mann am Klavier zu und der begann zu spielen. Angels Stimme erfüllte die weite Kirche, ein trauriger, sehnsüchtig Klang in seiner Stimme. Er sang von Liebe Verlust und Schmerz, das wusste ich ohne zu verstehen welche Worte er benutzte. Ich hörte eine Frau schluchzen und einige rieben sich in den Augen. Ehrlich gesagt, war ich selbst kurz davor zu weinen. Nicht, weil ich Jons Mutter so sehr vermisst, viel mehr weil Angels Stimme und seine Gefühle mir bis in die Seele zu dringen schienen. Ich teilte seinen Schmerz und Seinen Verlust und hinzu kamen all die Gefühle, die ich selbst gerne unterdrückte. Die Angst der letzten Tage, die Trauer, dass Romeo und Julia heute ein jähes Ende finden würde, die Erinnerungen an die eigenen Verluste, dich ich schon hinter mir hatte.
Viel zu schnell verstummte Angel, die Augen feucht. Zögerlich fing ein alter Herr an zu klatschen und hastig stiegen alle anderen mit ein, als hätte er sie aus einer Trance gerissen. Angel lächelte und lief dann zu seinem Platz zurück, seine Frau die ihre Hand nach ihm ausstreckte um ihm den Halt zu geben, den er brauchte.
Die Gesellschaft stand auf, alle gingen nach draußen um den Sarg nun in das Grab zu heben. Ich hielt mich wieder in Hintergrund, kam mir irgendwie fehl am Platz vor. Aber was sollte ich machen, jetzt war ich hier und ich wollte immernoch eine Sache tun.
Ich wollte mich bei Maria bedanken. Für ihre Herzlichkeit und für ihre Güte, in meinem Namen und in Lukas. Auch wenn der natürlich selbst hier war, immerzu bei Jon, dessen Tränen nun wo wir am Grab standen, nicht zu enden schienen.
Erst als wir auf der offiziellen Feier waren wagte ich es zu Jon zu gehen. Ich wollte mich nicht dazwischen drängen und ihm Zeit mit seiner Familie lassen, Zeit für seine Trauer.

Smoke and Roses (Aidan Turner)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt