Kapitel 36

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Tosender Applaus drang an meine Ohren und am liebsten hätte ich allen gesagt, dass sie still sein sollten und uns das Ganze noch einmal aufführen lassen. Diese Endgültigkeit saß in meinen Knochen und ein Gefühl von Nostalgie machte sich breit. Und den anderen schien es nicht anders zu gehen.
Keiner wollte die Bühne verlassen und Roy musste von hinten wütende Kommentare zischen damit sich irgendwer hinter die Bühne bewegte.
Aidan und ich standen als Letzte vorm Publikum, verbeugten uns und ich zog an Aidans Hand um nach hinten zu gehen. Schließlich würde uns Roy sonst den Kopf abreißen. Aber Aidan zog mich plötzlich zu sich und küsste mich. Aus dem Publikum kamen eine überraschte Rufe und der Applaus wurde lauter.
Aidan grinste mich an, aber ich war mir sicher, dass ich knallrot geworden war. Es war etwas Anderes, wenn wir spielten als wenn er mich ganz plötzlich vor hunderten Menschen küsste. „Komm jetzt“, murmelte ich so unauffällig wie möglich und zog wieder an seiner Hand. Wenigstens lief er dieses Mal mit mir mit.
„Das hätte jetzt wirklich nicht sein müssen“, fuhr ich ihn an, als wir außer Sichtweite waren.
„Ach, jetzt sei doch nicht gleich sauer.“ „Ich bin nicht sauer“, schnappte ich, aber merkte direkt wie unsinnig der Satz war.
„Ich war einfach nur überrascht und hab das nicht erwartet.“
„Also ich fand‘s süß“, antwortete Chad und grinste mich an. „Ja Du, aber du zählst nicht.“ Chad lachte nur und steckte sich ein Kaugummi in den Mund.

„Kann ich bitte nochmal eure Aufmerksamkeit, hallo, hört mir mal zu“, versuchte Roy sich Gehör zu verschaffen, „Ich weiß, dass ihr euch wahrscheinlich erst alle umziehen wollt und was weiß denn nicht, aber vergesst ja nicht, dass wir zusammen Essen gehen. Und keine Ausreden, ich will jeden von euch sehen!“
Gesagt, getan. Schon nach kurzer Zeit hatten die meisten von uns die Kostüme an den Nagel gehangen, sich abgeschminkt und normale Kleidung an. In meinem Fall hatte Jon einfach ein bisschen an der Schminke herumgespielt, Teile weggemacht und so sah ich wie ein normaler vernünftiger Mensch aus.
Wir sollten uns alle vor der Tür versammeln, wenn wir fertig wären und eigentlich wollte ich nur gerade meine Tasche aus dem Aufenthaltsraum nehmen, aber irgendetwas in mir wollte nicht. Genaugenommen, es wollte nicht gehen.
Es war nicht nur, weil ich nicht länger Julia sein würde, sondern vielmehr, was ich alles in diesem Theater erlebt hatte. Wenn ich an den Anfang dachte, wie alles gewesen war.
Erinnerungen durchfluteten meine Gedanken und ich konnte nicht anders, als ein letztes Mal auf die Bühne zu treten.
Zugeben, mir kamen schon fast die Tränen als ich dort stand und an die Proben dachte, in denen ich Aidan näher gekommen war. Wenn ich an die Tage dachte, in denen ich ihn belogen hatte und wenn ich an die Augenblicke dachte, die einfach nur perfekt waren und nun vor meinem inneren Auge zu sehen waren. Strahlend, als hätte jedes Mal ein goldenes Licht geschienen, wenn wir zusammen waren.
Und ich dachte an die Erleichterung und die Freude, mit der ich hier gespielt hatte, als ich Sebastian los war, an das wunderbare Gefühl vor dem Publikum zu stehen und die Hauptrolle zu spielen, was ich in großen Theatern noch nie getan hatte. Ja, in dem blöden kleinen Schultheater, aber nicht hier, nicht im Globe.
„Hier bist du also.“
Erschrocken drehte ich mich um, aber es war bloß Aidan, der im Durchgang lehnte und mich mit einem schiefen Lächeln ansah.
„Hast du mich gesucht?“
„Die anderen warten schon“, sagte Aidan. „Entschuldige. Ich musste einfach hier herkommen.“ Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern und griff nach meiner Tasche, die ich auf den Boden hatte fallen lassen. „Wieso?“ Aidan stieß sich von der Holzwand ab und schlenderte auf mich zu.
„Naja, es ist einfach, ich hab an uns gedacht. Ohne das hier säße ich vielleicht immer noch bei Sebastian“, erklärte ich und sah ihm entgegen. „Ich weiß, was du meinst. Ich denke mir ständig, was wäre, wenn ich mich nicht spontan dazu entschieden hätte, Theater zu spielen.“
Er griff nach meiner Hand und ich ließ meine Tasche wieder fallen. Wir standen fast so da wie eben, bloß  war das Theater gähnend leer, der Himmel über uns pechschwarz und wir sahen uns an.
„Hast du nicht gesagt, du hättest eine Pause gebraucht?“
„Schon, aber eigentlich war das eher so spontan. Sarah und ich haben Schluss gemacht und dann hab ich mich spontan beim Theater versucht, ich weiß nicht mal wieso. Aber man sagt ja, die Menschen machen seltsame Dinge, wenn sie sich trennen. Zuerst wollte ich sogar absagen, doch nicht kommen. Aber ich bin hergekommen und heute kann ich mir selbst dafür nur dankbar sein.“
„Das war Schicksal“, sagte ich und ich wusste, dass es so war. Irgendetwas oder irgendjemand wollte, dass Aidan und ich uns trafen und ironischerweise wollte dieses etwas, dass wir es als Romeo und Julia taten. „Naja“, machte Aidan nur und kicherte leicht. „Mach dich nicht über mich lustig! Ich glaube sehr wohl, dass wir beide uns treffen sollten. Ich meine, du hast mich gerettet und ich kann mich nicht erinnern jemals jemanden so sehr geliebt zu haben, wie ich dich liebe“, flüsterte ich. Meine Stimme wurde immer leiser, aber ich fand es noch nie einfach offen über meine Gefühle zu sprechen. Aber jetzt war es anders, weil es Aidan war und ich so, so sehr wollte, dass er wusste, wie ich empfand.
Aidan strich mit einer Hand über meine Wange. „Ich rette dich jederzeit wieder“, murmelt er und beugte sich vor um mich zu küssen. Er zog mich an der Hüfte näher und meine Hände suchten ihn, vergruben sich in seinen Haaren und der Kuss schien einen winzigen Moment und gleichzeitig eine Ewigkeit zu dauern.
Atemlos lösten sich unsere Lippen, aber Aidan ließ mich nicht los. Ich musste anfangen zu lachen, denn all die Freude in meinem Körper schien heraussprudeln zu wollen.
„Hab ich dir schon mal gesagt, wie schön dein Lachen ist?“
„Nein, aber ich lache auch nicht schön“, gab ich zurück, „Eher wie so eine Knusperhexe.“
„Das ist nur dein gehässiges Lachen.“ Ich sah Aidan fragend an. „Bitte was?“
„Du hast nicht nur ein Lachen. Manchmal so wie jetzt lachst du wunderschön und manchmal halt wie ne Hexe.“
„Ja, ist klar, ne“, gab ich zurück, aber Aidan schenkte mir erneut ein Lächeln.
„Du musst es ja nicht glauben. Aber wir sollten jetzt wirklich mal nach draußen gehen, wir sind wahrscheinlich die letzten.“ „Okay.“ Ich griff nach Aidans Hand und gemeinsam verließen wir zum letzten Mal die Bühne.
-
Es war schneller Dienstag als ich erwartet hätte und Aidan bestand darauf mit ins Tattoostudio zu gehen. Ian zeigte mir nocheinmal die fertig ausgearbeitete Version und Aidan bedachte es mit einem etwas kritischen Blick, was nur dazu führte, dass ich beleidigt war und Ian Aidan kühl anwesend im Wertebereich zu bleiben.
"Ist das ihr Freund da draußen?"
"Ja genau. Scheint allergisch gegen Sternzeichen zu sein oder so."
Ian grinste. "Oder er will einfach nicht dass sie ein Tattoo bekommen. Aber keine Sorge. Es wird im gefallen, wenn ich fertig bin."
Ich schmunzelte, denn es war gewiss nicht das Problem, dass Aidan mich tattoofrei haben wollte, dafür war es ohnehin zu spät.
Ich gab Ian die Anweisung wohin das Tattoo genau sollte und er klebte die Vorlage auf meine Schulter, damit ich es noch einmal kontrollieren konnte. Und ich liebte es vom ersten Moment an.
"Hat ihr Freund denn auch Tattoos?", fragte Ian im Plauderton, als er die Maschine vorbereitete.
"Allerdings. Und er hat auch noch nie etwas an meinen bisherigen Tattoos auszusetzen gehabt." Ian lächelte und nickte.
"Außerdem, das hier ist sozusagen auch für ihn", fügte ich leiser hinzu. "Ich verstehe. Ein Liebestattoo was aber nicht wie eins aussieht, falls es irgendwann nicht mehr klappt?", fragte Ian und begann vorsichtig mit dem Stechen. Ich spürte ein unangenehmes Piksen, aber es war nicht so schmerzhaft wie damals das Tattoo am Handgelenk. Obwohl mir das auch nicht sonderlich weh getan hatte. Grace war diejenige, die geweint hatte und sich noch Tage darüber beklagt hatte.
"Nein, das ist es nicht. Wenn ich mir nicht sicher wäre, würde ich gar keins machen, verstehen sie. Ich will einfach nur kein 0 8 15 Ding haben. Es soll etwas besonderes sein und ich mag es, dass nicht jeder weiß, was es bedeutet", erklärte ich und ignorierte so das Piksen.
"Weiß er es denn?"
"Ja, ich denke schon. Ich musste es ihm nicht mal erklären."
Und so plauderten wir noch weiter. Ian erfuhr, dass ich Schauspielerin war und wollte wissen ob die Tattoos nicht hinderlich waren und erzählte mir von seiner kleinen Schwester, die sich selbst bei ihm Unmengen an Tattoos hatte machen lassen und sie teilweise überschminken musste.
"So, fertig", sagte er nach einer gefühlten Ewigkeit.
"Kann ich es sehen?"
"Natürlich." Er wies auf den Spiegel und ich schaute mir das Ergebnis zufrieden an. Natürlich war die Haut noch rot und teilweise blutig, aber das war ja normal.
"Es ist perfekt", lächelte ich. Tatsächlich konnte ich mich gut an den Anblick gewöhnen.
"Sehr schön. Dann lass mich das mal noch einpacken", winkte Ian mich zu sich und klebte eine Art Pflaster auf meine Haut.
"Ich nehme an, du weißt wie man das pflegt?"
"Klar, ich hab ja schon welche."
"Gut dann kann ich mir das sparen", sagte er erleichtert, "Das ist immer der nervige Teil. Und die meisten hören einem sowieso nicht zu."
"Ist das nicht überall so?", fragte ich lächelnd.
Er führte mich nach vorne, damit ich noch ein paar Zettel ausfüllen konnte und Aidan rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum, während er auch mich wartete. "War es das?", fragte ich bei dem letzten Zettel.
"Jup. Alles super. Ich wünsche Ihnen dann mal viel Spaß mit ihrem hyperaktiven Freund dadrüben", fügte er noch hinzu. Ich verdrehte nur die Augen und ging zu Aidan.
"Und? Wie ist es geworden?", fragte er gleich.
"Das wirst schon noch früh genug sehen. Aber jetzt muss es erstmal verdeckt bleiben."
"Ich hab das immer direkt abgemacht", murmelte Aidan.
"Ich aber nicht. Und jetzt komm, ich hab Hunger."
Damit drückte ich ihm meine Tasche in die Hand und zog ihn aus dem Laden. "Was soll ich den Damit?"
"Soll ich die etwas auf der Schulter tragen du Schlaumeier?" Aidan verzog das Gesicht. "Heißt das ich darf die nächsten Tage deine Tasche tragen?"
Ich grinste. "Nein, nur heute." schließlich ging es meiner anderen Schulter mehr als gut. Aber daran dachte Aidan garantiert nicht. "Und jetzt brauche ich bitte eine Pizza."

Also machten wir uns auf die Suche nach der nächsten Pizzeria, die in London normalerweise nicht so schwer aufzutreiben waren. Auch dieses Mal fanden Aidans suchenden Augen sofort eine geeignete Pizzeria und wir ließen uns an einem Tisch am Fenster nieder.
"Und jetzt?"
"Was meinst du?"
"Naja, was jetzt? Wir sind sozusagen beide arbeitslos."
"Dann suchen wir uns eine neue Arbeit. Und Du brauchst dir vor allem keine Sorgen zu machen", antwortete Aidan. "Warum?" "Du willst doch am Theater bleiben oder?", hakte Aidan nach.
"Jaaa?", antworte ich skeptisch. Das klang als hätte er mir bereits die Entscheidung vorweg genommen. "Gut. Ich hab Roy gesagt er soll dir eine Rolle besorgen. Selbst wenn es nicht bei ihm ist hat er einige gute Kontakte."
Auch wenn ich es nicht mochte, dass er mir die Entscheidung weggenommen hatte, war ich irgendwie doch froh. Ich hatte Roy eigentlich um den gleichen Gefallen bitten wollen, aber irgendwie war es mir unfair erschienen. So war nicht ich es und ich konnte das ganze ja schlecht rückgängig machen.
"Danke Aidan."
"Für dich jederzeit, Prinzessin", antwortete er und griff über dem Tisch nach meiner Hand. "Jetzt tu mal nicht gleich so, als hättest du ein Wunder vollbracht, Wölfchen."
"Du hättest es ruhig bei dem Danke belassen können", grummelte er lehnte sich wieder zurück. Ich kicherte, "Dann lass uns mal was zu essen bestellen und auf unsere glorreiche Zukunft anstoßen."
Aidan schmunzelte. "Vielleicht ist glorreich nicht das richtige Wort, aber auf unsere Zukunft."

Zugeben die Vorwarnung kommt etwas spät aber es wird bald das Ende sein. Wie man möglicherweise auch schon an der Art dieses Kapitels gemerkt hat.

Smoke and Roses (Aidan Turner)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt