Kapitel 30

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Es war einer dieser Tage im November, an dem morgens noch der Frost auf den Dächern und Windschutzscheiben zu sehen war und keiner so richtig Lust hatte nach draußen zu gehen. Es war ein Freitag, das heißt normale Menschen gingen zur Arbeit und trösteten sich damit, dass das Wochenende vor der Tür stand.
Ich tröstete mich damit, dass unsere Vorstellung um 14 Uhr wäre und wenigstens nicht im Dunklen, in der eisigen Kälte spielen musste. Wobei um diese Jahreszeit Abendvorstellungen ohnehin selten waren. Und wir hatten auch nur noch eine Woche an denen wir überhaupt spielen würden.
Aidan war bereits heute Morgen losgefahren, weil er sich noch mit seinem Onkel treffen wollte, aber ich musste ziemlich früh im Theater sein, wegen Schminke und allen und hatte nicht mitfahren können.
So kam es, dass ich alleine an einemNovembermorgen durch London lief und mir total komisch vorkam. Wann war ichdenn das letzte Mal alleine zum Globe gelaufen? Nie!
Jedenfalls fühlte es sich so an.
Ich zog meinen roten Mantel enger und rückte die schwarze Mütze auf meinem Kopf zurecht. Bevor ich tatsächlich zum Globe ging, wollte ich noch bei demBuchladen hier um die Ecke vorbeischauen um mir ein neues Buch zu kaufen. 

Das Glöckchen bimmelte leise, als ich eintrat. Wieimmer wurden die Schritte auf den unzähligen Teppichen auf dem Boden gedämpft. Runde, eckige, bunte, dunkle, neue, alteTeppiche, als hätte der Verkäufer sie über Jahre auf verschiedenen Flohmärkten erstanden. Dafür war die Auswahl an Büchern großartig. Vorne standen die neuen Bücher oder Bestseller. Je weiter man nach hintenging, desto älter, seltener und exzentrischer wurden die Bücher und meistens wurden auch die Kunden immer älter, je weiter man nach hinten ging.
Ich hielt auch im vorderen Bereich auf und schaute mich um. Mebefore you, Dear John, the fault in our stars... Diehatte ich bereits gelesen, aber dann entdeckte ich ein neues Buch, von dem ichmal gehört hatte. Thesky is everywhere. Okay, ich gebe es zu. Ich hatte ein Fabel für traurige Geschichten und auch hier ging es umein Mädchen, das um seine tote Schwester trauert, aberwas soll's.
Ich nehme es und gehe damit zum Tresen. Ein alter Mann vor mir kauft irgendeinSci-Fi-Buch von Asimov und ich betrachte die Postkarten, die an einem Ständer nahe der Kasse stehen. Es sollen witzigeSprüche sein, aber ich weiß nicht wirklich, wo die witzig sind. Jedenfallskaufe ich mein Buch und die junge Frau an der Kasse meint, dass laut einerjungen Kundin, das Buch fantastisch sein soll. Sie hatte es in drei Tagen gelesenund war wieder hergekommen auf der Suche nach mehr dieser Autorin. Also hatteich anscheinend einen Glücksgriff.
Zufrieden verließ ich die Buchhandlung, als mir die Straße entlang eine Gestalt auffiel. Er standziemlich weit weg, aber seinen Hinterkopf und seine Schultern würde ich überall erkennen. Es war Aidan und bei ihm wareine junge Frau. Hatte er nicht gesagt, er wollte zu seinem Onkel gehen?
Wie erstarrt stand ich da und wusste nicht, was ich tun sollte. Regungslosschaute ich zu, wie sie in ein Café gingen und dann starrte ich einfach nur dieTische an, auf denen sich umgedrehte Stühle stapelten, zu Überwinterung.
Ganz ehrlich, ich hatte keine Ahnung, was ich denken sollte. Wer war die Frau?War sie Familie, war sie eine Freundin, ein Geheimnis? Wieso hatte er mir nichtdavon erzählt? Er hatte von seinem Onkel gesprochen, seinem Onkel. Das da war kein Onkel,wenn mich nicht alles täuschte.
Ich wusste nur eins, ich würdejetzt nicht eifersüchtig in das Café stürzen und eine Szene machen. Ich würde heute Abend mit ihm sprechen, vielleichtheute Mittag, wenn ich die Chance bekam. Jedenfalls in Ruhe. Es musste schließlich nicht sein, dass er sich mit einer anderenFrau traf. Ich meine, vielleicht war es einfach eine Bekannte...aber sie war nicht sein Onkel. 

Ich drehte mich stocksteif um und steuerte die Millennium Bridge an. Sie kam mirheute voller vor als sonst und ich kam mir so unglaublich winzig und einsamvor. Und ich konnte nicht aufhören,an die mysteriöse Frau zu denken. Sie hatte ja ganz hübsch ausgesehen...bestimmt hatte sie das, auch wenn ich ihrGesicht nicht gesehen hatte.
Ich rempelte ausversehen einen dieser kleinen Wagen an, die karamellisierteMandeln und Haselnüsse für zwei Pfund anboten.
 Ich erinnerte mich, dassAidan und ich einmal hier welche gekauft hatten und ich versuchen sollte, ihmdie Mandeln in den Mund zu werfen. Ich hatte es immerhin geschafft, seine Nasezu treffen. Irgendwann waren Tauben aufgetaucht und hatte die auf den Bodengelandeten Mandeln gegessen.
Ich erinnerte mich, wie wir an der Mauer lehnten,gegenüber dem Globe, direkt an der Themse. Aidan nahmsich stets zwei Mandeln aus dem Becher hatte seinen Arm um mich gelegt. Icherinnerte mich an sein herzliches, tiefes Lachen und seine leuchtenden Augen,wie er mir eine Mandel aus den Haaren fischte und mich küsste, noch etwas süßen Zucker auf den Lippen. 

Smoke and Roses (Aidan Turner)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt