No. 1

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Meine Schuhe geben schmatzende Geräusche von sich, während ich über die nassen Blätter durch den kalten, düsteren Novembermorgen eile. Ich versenke meine klammen, kalten Hände in meinen Manteltaschen und versuche, meine Schritte noch etwas zu beschleunigen.

In ein paar Minuten wird die zweite Stunde beginnen und zu der will ich wenigstens pünktlich erscheinen. Dann haben wir Englisch.

Ich kann mir schon vorstellen, wie unsere alte, dicke Lehrerin Mrs Hiller mich über die Ränder ihrer Brillengläser tadelnd anschauen wird. Das ist schon das dritte Mal in diesem Monat, Ms Price. Ihre Mutter wird nicht erfreut sein, wenn sie schon wieder einen Elternbrief bekommt. Sie wird mir mit einer gebieterischen Geste erlauben, mich auf meinen Platz bei meinen Freunden setzen zu dürfen und ich werde die Zähne zusammenbeißen, bis mein Kiefer schmerzt, um mir eine zynische Bemerkung zu verkneifen.

Oder eine Erklärung. Dass ich gestern meine kleine Schwester, Emily, ins Bett gebracht habe und dann meiner Mutter Essen gekocht habe, damit sie das nicht auch noch machen muss, wenn sie von ihrer Spätschicht aus dem Krankenhaus zurückkommt.

Und dass ich sie heute morgen nicht wecken wollte und deshalb Emily in den Vorschule gebracht habe. Dass ich zu spät bin, weil sie hingefallen ist, sich das Knie aufgeschlagen hat, ich sie danach tragen musste und meinen Bus verpasst habe.

Und dass Mrs Hiller nicht das kleinste bisschen von mir weiß und nicht das Recht hat mich anzuschauen, als wäre ich eine Aussätzige.

Ich werde schweigen, meine Hefte auspacken und ihren Unterricht nicht weiter stören.

Eine Gänsehaut kriecht mir den Rücken hoch als ich in die nächste Gasse abbiege, eine meiner Abkürzungen. Sie ist komplett leer und die wenigen Straßenlaternen geben nur ein spärliches Licht ab, um mich herum spielen die Schatten. Innerlich verfluche ich den Regen, der die Straßen heute Nacht feucht unf glitschig zurückgelassen hat, sodass Emily hingefallen ist.

Meine Mitschüler sitzen wahrscheinlich im Moment im warmen Klassenraum und lauschen den Worten unserer Chemielehrerin.

Immer wieder blicke ich links und rechts über meine Schultern, schaue in die nicht erhellten Eingänge, das Gefühl, verfolgt zu werden, breitet sich allmählich in mir aus. Ich muss mich zurückhalten, nicht loszurennen, versuche mich zu beruhigen

. Noch ein paar Meter, dann links und dann muss ich nurnoch die Straße überqueren. Dann habe ich es geschafft.

Mein Herz pocht laut gegen meine Rippen und mein Atem geht unregelmäßig. Ich zwinge meinen Blick geradeaus, meine Schritte in einen Rhythmus, der nicht hektisch ist und meine Gedanken in eine andere Richtung.

Mein Verhalten ist total paranoid und kindisch. Bevor ich um die Ecke biege, erlaube ich mir noch einmal einen Blick zurück.

Meinem Körper entfährt ein undefinierbarer Laut, eine Mischung aus einem verschlucktem Schrei, dem Schnappen nach Luft, Unglauben und panischer, alles einnehmender Angst.

Wie gelähmt schaue ich sie an. Es sind mindestens zwanzig und meine Augen können ihnen gar nicht folgen, ich nehme nur Bruchteile wahr. Anmutige, blitzschnellen Bewegungen. Wunderschöne, leichenblasse Gesichte. Rotglühende Augen. Und der Blick, der nichts anderes bedeutet, als dass ich ihre Beute bin.

Das Adrenalin breitet sich in meinem Körper aus und ich beginne zu rennen. Ohne mich umzuschauen bin ich auf der Straße, stolpere durch die Pfützen, höre das Hupen eines Autos und weiter entfernt das Leuten unserer Schulglocke, bevor eine eiskalte Hand mich fasst und zu Boden würft.

Einen Augenblick schaue ich in ihre Augen, sehe ihr Gesicht und noch bevor ihre Zähne sich in die Ader in meinem Hals bohren weiß ich, dass ich sterben werde.

Charlotte Cullen | Twilight FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt