Nervös nimmt Harry seine Unterlippe zwischen zwei Finger, während er auf Dauerschleife einer mechanisch klingenden Frauenstimme zuhört: „Ihr Gesprächspartner wird über Ihren Anruf informiert. Bitte haben Sie Geduld."
„Wen rufst du an?", fragt ihn eine Person hinter seinem Rücken, doch er dreht sich nicht um. Seufzend lehnt er sich gegen die kahle, weiße Wand und hält sich weiterhin den altmodischen Hörer an das rechte Ohr.
„Redest du noch immer nichts mit mir?", forscht Maya erneut nach und wählt währenddessen eine Nummer. Endlich wendet Harry sich ihr zu, da sein Gesprächspartner noch auf sich warten lässt.
Er schüttelt stumm den Kopf, die Frau hält sich nun ebenfalls einen Hörer ans Ohr. „Ach komm schon, findest du das nicht kindisch?", stöhnt sie genervt auf und verdreht die Augen.
„Ich finde es kindisch, dass du die Leben anderer Menschen hier noch beschissener machen musst", fährt Harry sie an und sendet stumme Stoßgebete an den Himmel, dass die angerufene Person endlich abhebt. Diese monotone Warteschleife macht ihn unglaublich nervös, je länger er neben Maya stehen muss, desto weniger kann er seine Gefühle kontrollieren.
Er weiß, dass er wütend auf sie sein muss. Sie hat Alice, zuvor auch Carl so sehr angespornt und provoziert, bis sie in die Einzelhaft gekommen sind. In eine einsame Zelle, ohne jeglichen Kontakt zu anderen Menschen, um ihre Fehler zu überdenken. Allein Maya ist daran schuld. Sie und ihre chaotische, impulsive Art.
Doch andererseits sieht er auf ihre zu einem frechen Grinsen verzogenen Lippen und erkennt wieder das Mädchen, das Angst vor ihren eigenen Gefühlen hatte – sofern diese echt waren oder noch immer sind. Ihre Augen, die so strahlend und klar sind, dass sie in seine Seele blicken können.
Ruckartig wird er aus seiner starrenden Beobachtung gerissen, als er die ruhige, sanfte Stimme seiner Mutter durch den Hörer an seinem Ohr hört: „Harry, bist du das? Ich hoffe, dass meine Nummer nicht an irgendeinen anderen Insassen gelangt ist." „Mum, ich vermisse dich", ist das Einzige, das er hervorstößt.
Tränen sammeln sich in seinen Augen und lassen die Sicht auf Maya verschwimmen. Auch sie scheint ihren gewünschten Gesprächspartner erreicht zu haben, ihre Worte versteht er nicht.
„Ich vermisse dich auch", haucht Anne und Harry kann sich ihre Mimik perfekt vorstellen. Wahrscheinlich sind ihre Lippen gerade zu einem Lächeln geformt, wie sie ihm es früher immer geschenkt hat, als er ihr Blumen gebracht hat. Doch diese glücklich aussehende Vorstellung ihres Gesichts wird weggewischt, als sie fortsetzt: „Doch mehr vermisse ich meinen Sohn, der niemals gegen unzählige Gesetze in mehreren Ländern verstoßen hätte. Wo ist nur der Harry, der jedes Wochenende mit uns spazieren gegangen ist und andauernd Witze gerissen hat?"
„Diesen Harry gibt es nicht mehr, Mum", gesteht er sich leise ein und schließt resigniert die Augen. Mit zwei Fingern seiner freien Hand massiert er den Nasenrücken und wischt anschließend die Tränen aus den Augenwinkeln.
Am anderen Ende der Leitung scheint Anne soeben eine Tür zugeworfen zu haben, da ein lauter Knall ertönt. Anschließend atmet sie laut aus, so wie sie es immer macht, wenn sie angespannt ist, und bringt zwischen zusammengepressten Zähnen hervor: „Was habe ich bei deiner Erziehung falsch gemacht? Ich weiß, dass ich dir nie alles geben konnte, was die anderen Kinder hatten, aber deswegen wird man doch nicht zum gesuchtesten Mann in den Staaten."
„Bitte gib dir nicht die Schuld an meinem Verhalten. Ich habe mich einfach verliebt und zwar so gefährlich, dass mir die Gesetze egal waren", murmelt Harry und versucht mit schnellem Blinzeln, die Tränen zurückzuhalten.
Er wirft einen Blick auf Maya. Diese scheint ihrem eigenen Gespräch weniger als seinem zu folgen, ihre Augen brennen sich förmlich in seine Brust. Als würde es plötzlich kälter in dem Gang werden, bildet sich Gänsehaut auf seinen Unterarmen, die er schnell abschüttelt, bevor er seiner Mutter erzählt: „Außerdem wollte ich euch endlich das Geld geben, das ihr verdient. Ihr verdient ein schönes Haus in einer sauberen Siedlung, vor dem ihr ein poliertes Auto abstellen könnt. Schöne Kleidung und all den Schmuck, den du mir früher in deinen Magazinen gezeigt hast."
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Prison / h.s
FanfictionHarry hat sie seit drei Jahren nicht mehr gesehen. In dieser Zeit war er auf der Flucht vor dem Rechtsstaat, den illegalen Geschäften, in die er von ihr hineingezogen wurde, und vor allem vor seiner Vergangenheit mit ihr. Nach all er der Zeit hat e...