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Harry sieht blitzartig zu der älteren Frau mit kurzen, grauen Haaren, die eine ihrer Genossinnen unsanft unterbricht: „Edna, du solltest die Klappe halten, dein Alzheimer zerstört die ganze Geschichte." „Du solltest mir nicht sagen, was ich tun und lassen soll. Außerdem stimmt es, dass Maya Rattengift in Essen gerührt hat, als sie noch in der Küche angestellt war", kontert Edna und deutet mit einem Zeigefinger auf die andere Dame.

Über den Rand ihrer Lesebrille wirft sie Harry einen Blick zu und fragt ihn: „Wo waren wir stehengeblieben, bevor mich Susanna so unhöflich unterbrochen hat?"

„Ich denke bei dem Rattengift im Essen", antwortet der Lockenkopf ihr schmunzelnd und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Die sechs Frauen an dem Tisch haben nach seiner Frage nach Mayas Vergangenheit sofort ihre Zeitschriften zur Seite gelegt, bereit, ihm sämtlichen Klatsch und Tratsch des Gefängnisses zu erzählen.

Mittlerweile sitzen vier Damen nur mehr teilnahmslos da, während Susanna und Edna es sich zur Aufgabe gemacht haben, Harry mit Informationen – mal übertrieben, mal fehlerhaft dank ihrer fortgeschrittenen Alter – zu bombardieren.

„Ach ja, genau. Seit Mayas erstem Tag hat sie es auf Cher abgesehen und umgekehrt", erklärt die kurzhaarige Edna ihm, woraufhin sich seine Augenbrauen verwirrt zusammenziehen. Er sieht zu der Frau, die noch immer mit Niall und Ian vor dem Fernseher sitzt, und fragt: „Ist das Cher?"

Susanna nickt übertrieben und tippt mit der Kuppe ihres linken Zeigefingers auf die Tischplatte. „Dieses Weib ist mir nicht ganz koscher", raunt sie verschwörerisch und starrt Harry mit ihren eisblauen Augen an. So sehr, dass er kurzeitig die Sorge hat, sie könne direkt in seine Seele blicken.

„Meiner Meinung nach kein Stück besser als Maya. Wenn ich eine Seite wählen müsste, würde ich mich sogar auf die deiner Liebhaberin schlagen", stimmt Edna ihr zu und schüttelt den Kopf. Mit ihren faltigen, knochigen Händen, geschmückt mit deutlich sichtbaren Adern, umfasst sie Harrys linke und fügt hinzu: „Und ich würde bei Gott Maya niemals vertrauen."

„Verlogen ist sie. Jedem macht sie weiß, dass sie das Opfer ist. Dabei ist sie der Teufel höchstpersönlich", presst Susanna zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und wirft Cher einen vernichtenden Blick zu. Währenddessen umfasst sie die rechte Hand des Lockenkopfes und lehnt sich leicht zu ihm. So leise, dass die alte Dame auf seiner anderen Seite es dank ihres nicht funktionierenden Hörgerätes nicht hören kann, flüstert sie: „Aber man wird sie nicht stoppen können."

Harry sieht zu dem Eingang des Gemeinschaftsraumes, durch den Maya gerade marschiert, begleitet von drei Männern. Alle vier lachen leise, während sie den Saal durchqueren und die Aufmerksamkeit der meisten Anwesenden auf sich ziehen.

Abrupt verstärkt Edna den Druck um seine Hand, wodurch er erschrocken zusammenzuckt. „Wann auch immer Maya und Cher in demselben Raum sind, kann man sich auf etwas gefasst machen", lässt sie ihn wissen und deutet auf die Braunhaarige in der Ecke des großen Zimmers, deren Blick nach wie vor auf den Fernseher gerichtet ist.

Schmunzelnd geht Maya an dem Tisch der älteren Frauen sowie Harry vorbei, bleibt jedoch nur einige Schritte von ihnen entfernt. Mit einer Hand deutet sie auf Edna und Susanna, während sie den Mann mit gespielter Verletztheit fragt: „So schnell ersetzt du mich?"

„Ich hatte schon immer eine Schwäche für reifere Frauen", gibt Harry ihr als Antwort, ein Lächeln schleicht sich auf seine Lippen.

Leise lachend verdreht die Rothaarige die Augen und fasst sich ans Herz. „Das hat mich verletzt", raunt sie und setzt sich langsam wieder in Bewegung.

Eine der Männer, die sie begleiten, tippt ihr auf die Schulter und flüstert ihr etwas für Harry Unverständliches ins Ohr. Sofort wendet Maya sich der Frau zu, die mit schnellen, selbstsicheren Schritten auf sie zukommt.

Prison / h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt