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Nach und nach leert sich die Kantine, die Küchenhilfen beginnen, das schmutzige Geschirr zu waschen. Allein ein einziger Tisch bleibt besetzt, doch selbst auf diesem wird nichts gesprochen. Bis Frau Tarassow hinter der Glasvitrine hervorkommt und ruft: „Meine Güte, so viel ist schon lange nicht mehr passiert."

„Ich hätte dir niemals zugetraut, dass du ein Mörder bist. Wobei ich dich nicht einmal als Drogenhändler eingeschätzt hätte", murmelt Ian, hebt jedoch nicht seinen Blick von der Tischplatte.

Auf den einzig freien Sitz, der zuvor noch Cher gehört hatte, lässt sich die ältere Dame nieder und nimmt sich die weiße Kappe vom Kopf. Sie legt die Mütze ab und verschränkt ihre Hände. „Styles, ich bin mir nicht sicher, ob du nicht einfach nur Maya verteidigen willst. Wegen dieser idiotischen Liebe", spricht Tarassow ihre Zweifel aus und starrt dem Angesprochenen direkt in die Augen.

Harry schüttelt sofort abwehrend den Kopf und versichert ihr: „Bei ihrer Verurteilung war es genau umgekehrt."

„Wie denkst du, dass du es beweisen kannst?", fordert die Dame heraus, die rechte Augenbraue nach oben gezogen. Mit leisen Stimmen wiederholen die anderen an dem Tisch die Frage und wenden sich alle dem Lockenkopf zu.

„Der Einzige, der auch an dem Abend dabei war, ist Mayas Stiefbruder und ich fände es peinlich, wenn sie ihn anrufen muss, nur, weil ihr Cher mehr vertraut als mir", motzt Harry trotzig, wie ein kleines Kind.

Er verschränkt die Arme und sieht zu dem Eingang der Kantine, durch die soeben, wie durch ein Wunder, Maya marschiert. Zielgerichtet bewegt sie sich an den anderen Tischen vorbei, ruft schon von weitem: „Nehmt ihn jetzt nicht in die Mangel. Er lügt nicht, ich kann es auch beweisen."

„Wie willst du das anstellen? Dir glauben wir absolut gar nichts", zischt Tessa missmutig, woraufhin die Angesprochene lediglich genervt ihre Augen verdreht.

Sie deutet Harry stumm, dass sie sich auf seinen Schoß setzen will. Sofort rutsch er auf dem Stuhl ein Stück zurück und macht ihr somit genügend Platz. Während Maya sich niederlässt, zieht sie aus der rechten Tasche ihrer grauen Weste ein Stück Papier hervor.

„Sieht das danach aus, als hätte ich eine verdammte Waffe in der Hand?", fährt sie alle Anwesenden an und wirft das Blatt auf den Tisch.

Neugierig beugt sich Tarassow über das Foto. Dieses ist verpixelt und unscharf, dennoch sind drei Personen klar und deutlich zu erkennen. Der Mann trägt lediglich ein Hemd, das auf der Vorderseite nur zur Hälfte zugeknöpft ist, sowie schwarze Jeans und hellbraune Stiefeletten. Sein rechter Arm ist nach vorne ausgestreckt, in der Hand hält er eine Pistole. Links an ihn gedrängt ist eine knapp bekleidete Frau, die wie eine Stripperin aussieht. Ihre roten Haare identifizieren sie jedoch als Maya.

„Das war von der Überwachungskamera, die unsere Männer im Laufe der Nacht gesichert und die kritischen Videos vernichtet haben. Doch mein Vater hat sich dieses Foto aufgehoben, damit ich nicht als Schuldige verhaftet werden kann", erzählt diese und lenkt somit die Aufmerksamkeit der anderen, die sich hintereinander alle das Bild ansehen, wieder auf sich.

Skeptisch fragt Tessa nach: „Wieso wurdest du dann trotzdem für schuldig befunden?" „Weil nur ich gefasst wurde, Harry war auf der Flucht. Das Gericht kannte seinen echten Namen nicht, da wir immer unter Decknamen agiert haben. Ich wäre eine Idiotin gewesen, hätte ich ihn ausgeliefert", gibt Maya zur Antwort und lehnt sich leicht gegen die Brust des Lockenkopfes.

Unwillkürlich legt er beide Arme um ihre Hüfte und platziert sein Kinn auf ihrer rechten Schulter. „Es ist komisch, dass dein Vater unter allen Umständen die Schuld auf mich schieben wollte", raunt er belustigt und leise.

Prison / h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt