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Schon von weitem erkennen Ian, Niall und Harry einen Mann, der an dem Gitter ihrer Zelle lehnt. Sein Gesicht ist dem Boden zugewendet und wird zur Hälfte von brünetten Locken verdeckt. Dennoch beschleunigt der Ire seine Schritte und ruft: „Carl, bist du es wirklich?"

„Nein, ich bin eine verfickte Illusion, die dich ab sofort heimsuchen wird, Idiot! Kannst du noch dümmer fragen?", fährt der Jüngere Niall an und hebt seinen Blick, als alle drei Männer direkt vor ihm stehen. Sofort stechen die tiefen, dunklen Augenringe aus seinem blassen Gesicht hervor, als hätte er seit Nächten keinen Schlaf bekommen.

Das beige T-Shirt sowie die farblich dazu passende Hose hängen schlaff an seinem Körper herab, die Schlüsselbeine stehen heraus. Seine einst leicht gewellten Haare liegen wirr auf dem Kopf und es würde bestimmt einige Zeit brauchen, um die Locken zu entwirren. Nervös kratzt Carl sich über die Unterarme und murmelt: „Es tut mir leid, ich wollte nicht so aggressiv sein."

„Das ist nicht schlimm! Wir sind froh, dich wieder unter uns zu haben", wehrt Niall lächelnd ab und breitet seine Arme aus. Er sieht zuerst nach links, anschließend nach rechts, bevor er hinzufügt: „Es ist keine Wache in Sicht, also komm' her und lass dich umarmen, Ghettobaby."

Schneller, als Harry reagieren kann, wird er in eine Umarmung gezogen, Carl in ihrer Mitte. Leises Lachen dringt aus dessen Mund heraus und Falten bilden sich bei seinen Augen. Doch nach einigen Sekunden lösen sich die Männer wieder von einander, lediglich Ian hat eine Hand auf dem Rücken des Jüngeren platziert und schlägt vor: „Wie fändest du es, wenn wir uns gemeinsam gemütlich auf den Boden setzen und du kannst über alles reden?"

„Wird das eine beschissene Therapierunde?", fragt Carl scherzend und betritt die Zelle. Dicht hinter ihm treten alle anderen durch die offene Gittertür, Niall zuletzt. Mit einem entspannten Seufzer lässt der Jüngste sich auf die Kante von Harrys Bett fallen und streckt die Beine aus. Er tritt sich die Schuhe von den Füßen und stützt sich mit beiden Händen auf der Matratze ab.

Harry nimmt rechts neben ihm Platz, die anderen zwei Männer auf dem gegenüberliegenden Schlafplatz. „Glaubt mir, ihr wollt gar nicht wissen, wie es in der Einzelhaft ist", teilt Carl ihnen mit, sofort verfinstert sich sein Gesichtsausdruck.

Da sie ihn neugierig ansehen und ihn somit stumm auffordern, fortzufahren, schüttelt er sich, als wäre ihm kalt. Er kratzt sich wieder über die Unterarme und spricht: „In der Nacht konnte ich nicht schlafen, weil andauernd irgendein Irrer geschrien hat."

Seine Augen weiten sich, bevor er mit schriller Stimme ruft: „Satan ist hier, er kommt, um uns zu holen! Er wird deine Augen aushöhlen, dir deine Finger entreißen und deine Zunge verknoten. Unsere Sünden werden bestraft."

„Der hat doch gewaltig einen an der Waffel", murmelt Niall in einem Versuch, die Stimmung zu lockern. Dennoch lacht niemand und Carl setzt fort: „Er befand sich in der Zelle neben mir und hat sich des Öfteren gegen die Wand geworfen."

Der Jüngste zieht die Knie an seinen Oberkörper und umarmt seine Beine. „Außerdem klebte von meinem Vorgänger das Blut auf der Klobrille, die Wärter sahen es scheinbar nicht als notwendig, diese Scheiße entfernen zu lassen. Daher musste ich im Stehen scheißen und pissen, es war ekelhaft", erzählt er mit leiser Stimme und erzittert.

Sein Blick wendet sich zu Harry und er flüstert: „Das Schlimmste waren dennoch die konstanten Selbstgespräche, ohne die ich nicht mehr gewusst hätte, wie sich eine Stimme anhört."

„Bereust du es, so sehr ausgerastet gewesen zu sein?", fragt der Lockenkopf nach, Niall und Ian lehnen sich gespannt nach vorne.

Sie erwarten alle, dass Carl den Kopf schüttelt. Dass er seiner Frau vergibt oder lediglich sagt, dass sie ihm den Arsch lecken kann. Doch er schlägt mit der Faust auf die Matratze und zischt: „Ich bereue lediglich, dass ich nicht genügend Zeit hatte, sie zu erwürgen."

Prison / h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt