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Stille tritt in der Zelle ein, niemand wagt es, einem der anderen in die Augen zu sehen. Nervös spielt Harry mit dem Saum seines T-Shirts und aus dem Augenwinkel erkennt er, dass Maya das selbe macht. Er räuspert sich und fügt hinzu: „Bis heute habe ich keine Ahnung, wieso ich ihr nicht einfach geholfen habe."

„Und bis heute habe ich keine Ahnung, wieso ich nicht einfach gerannt bin, als er es mir befohlen hat. Wahrscheinlich hatte ich zu große Angst vor meinem Vater", spricht auch die Frau mit gleichgültiger Stimme und zuckt mit den Schultern. Sie sieht von dem Boden, auf dem eine Wolldecke ausgebreitet ist, auf, nach und nach in die Gesichter der drei Männer gegenüber von ihr.

Ian, der rechts sitzt, atmet tief aus, als hätte er die ganze Zeit die Luft angehalten. „Weswegen solltet ihr Einwanderungsbescheide klauen?", fragt er leise und dennoch voller Neugier.

„Wie du dir vielleicht denken kannst, ist die Arbeit meines Vaters nicht komplett legal, genauso wie seine Arbeiter, die meist aus anderen Ländern wie Mexico, Argentinien oder Nigeria kommen. Er wollte zu diesem Zeitpunkt eine weitere Fabrik eröffnen, in Los Angeles, und brauchte dafür die richtigen Dokumente, um seine Handlanger nach Amerika zu bringen", erklärt Maya. Gegen Ende verdreht sie die Augen und lacht humorlos auf. „Das war das erste Mal, dass er die Regierung als wichtig empfunden hat."

„Was für ein Arschloch", kommentiert Carl, wird jedoch sofort von Niall unsanft angestoßen. Mit einem verurteilenden Blick des Iren wird er verurteilt für diese Aussage, woraufhin er eine leise Entschuldigung murmelt.

Doch die Frau kichert nur amüsiert und beruhigt ihn: „Ich weiß, dass er ein Arschloch ist. Aber was hätte ich gegen ihn unternehmen sollen, ich war 20 Jahre jung? Leider habe ich erst zu spät gemerkt, wie skrupellos er ist, selbst, wenn es sich um seine Tochter handelt."

„Bis er die Pistole an Harrys Brust angesetzt hat, oder?", forscht Ian vorsichtig nach und sieht in ihr Gesicht. Maya zögert einige Momente, ihr Mund leicht geöffnet und mehrmals blinzelnd, bevor sie wortlos nickt und ihren Kopf dem Mann neben sich zuwendet.

Sie ergreift seine rechte Hand, die bis eben noch immer mit dem Stoff, der seinen Oberkörper bedeckt, gespielt hat. Während sie leichten Druck auf seine Finger ausübt, fügt sie hinzu: „Genau zu diesem Zeitpunkt wurde mir bewusst, wie viel Scheiße ich gebaut habe und dass unser Vorhaben so verdammt falsch war."

„Ich Idiot habe natürlich ihre Angst ignoriert, wegen meiner eigenen Angst. Ich habe nur um unsere Leben gefürchtet, während Maya alles hinter sich lassen wollte", gibt Harry zu und wendet den Blick von ihr ab, da er es nicht mehr ertragen kann, in ihre Augen, die aus Bernstein zu bestehen scheinen, zu sehen.

„Hast du in diesen fünf Jahren jemals deine Familie gesehen?", wechselt Niall das Thema, sich der unangenehmen Stimmung zwischen den beiden bewusst.

Abrupt entzieht Harry seine Hand dem Griff der Frau und wendet sich wieder den drei Insassen in der Zelle zu. Langsam nickend antwortet er: „Einige, wenige Male bin ich nach England gereist und habe sie gesucht. Gesprochen habe ich kein einziges Wort, aber ich wollte einfach sicherstellen, dass es ihnen gut geht. Aber scheinbar hätte ich doch mit ihnen Kontakt aufnehmen sollen, denn jetzt ist meine Schwester in der Psychiatrie und ich habe keine Ahnung, warum."

„Ich denke, dass ich etwas beichten muss", meldet Maya sich mit unnatürlich hoher Stimme zu Wort. Den Kopf eingezogen, als würde sie Schläge befürchten, wartet sie darauf, dass der Mann sie stumm dazu auffordert, zu sprechen. Mit hochgezogenen Augenbrauen macht er dies auch, woraufhin sie fortsetzt: „Kannst du dich noch daran erinnern, als du mir immer gesagt hast, wie wichtig dir deine Familie wäre?"

Sie lächelt ihn gezwungen an und atmet tief durch, bevor sie gehetzt zugibt: „Seitdem habe ich einen unserer Leute angeheuert, jedes Ereignis zu eruieren und mir in regelmäßigen Abständen mitzuteilen."

Prison / h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt